Die Lage im Norden des Kosovo ist weiterhin angespannt, nachdem die kosovarische Polizei am Freitag versucht hatte, die neu gewählten Bürgermeister in ihre Gemeindeämter zu eskortieren, und aufgebrachte Bürger und Bürgerinnen sie daran gehindert hatten. Es kam zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und diesen Leuten. Dabei wurden etwa ein Dutzend Menschen verletzt. Die von der Nato geführten Truppen im Kosovo zeigten nun am Montag in den Gemeinden im Norden verstärkte Präsenz und rüsteten sich für die Auflösung von Demonstrationen.

Die kosovarische Polizei geht gemeinsam mit der Kfor (International Military Mission to Kosovo) gegen militante Serben vor.
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Der Hintergrund: Am 23. April fanden in den vier mehrheitlich von Serben bewohnten Gemeinden im Nordkosovo Kommunalwahlen statt. Diese waren notwendig geworden, weil die Kosovo-Serben, die von der Partei Srpska Lista und damit vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić kontrolliert werden, Anfang November vergangenen Jahres alle Institutionen des Kosovo verlassen hatten, auch die Bürgermeisterämter und den Gemeinderat. Sie hatten damals damit dagegen protestiert, dass die kosovarische Regierung Strafen für das Verwenden von serbischen Nummerntafeln einführen wollte.

Boykott der Wahlen

Weil die Mehrheit der Kosovo-Serben jedoch die Wahlen am 23. April auf Geheiß von Belgrad boykottierte – nur 3,47 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab –, wurden Albaner als Bürgermeister gewählt, die vergangene Woche vereidigt wurden. Der US-Botschafter im Kosovo, Geoffrey Hovenier, hatte die Regierung von Albin Kurti bereits vergangene Woche dazu aufgerufen, die Bürgermeister nicht mit Gewalt in ihren Ämtern zu installieren. Die Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens – mit den USA gemeinsam "die Quint" genannt – schlossen sich der Kritik an der kosovarischen Regierung an, die die Bürgermeister aber dann doch mit Polizeischutz ihr Amt antreten lassen wollte.

"Wir fordern die Behörden des Kosovo auf, sich unverzüglich zurückzuziehen und zu deeskalieren und eng mit der EU-Rechtsstaatsmission Eulex und Kfor zusammenzuarbeiten", heißt es in der Erklärung der Quint. Vor allem die Sonderpolizei soll aus dem Norden abgezogen werden. Der Alleingang der kosovarischen Behörden wurde verurteilt.

"Friedlich und gewaltlos"

Allerdings ist unklar, wie die Bürgermeister andernfalls ohne Anwendung von polizeilichem Schutz überhaupt in die Gemeindeämter kommen können. Den kosovarischen Behörden ist daran gelegen, die Ergebnisse der demokratischen Wahlen umzusetzen. Nun werden neuerliche Neuwahlen von Diplomaten als eine Lösung genannt. Die Kfor forderte beide Seiten auf, von Schritten abzusehen, die zu Gewalt anstacheln könnten. Der Chefredakteur von TV Mir, Nenad Radosavljević, sagte gegenüber dem serbischen Sender N1, dass "Serben aus dem Norden des Kosovo und Metohija etwas Dummes getan haben, indem sie den Anweisungen aus Belgrad Folge geleistet haben, nicht an den Wahlen teilzunehmen", und dass sie "den Preis zahlen müssen".

Kfor-Präsenz, um albanische Bürgermeister in dem von einer serbischen Mehrheit bewohnten Nordkosovo zu schützen.
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Die serbische Premierministerin Ana Brnabić dankte "unseren Menschen im Kosovo und in Metochien, die in einem so erstaunlichen Maße würdevoll sind, sodass sie friedlich gewaltlosen Widerstand leisten und für ihre Vor- und Nachnamen, ihre Heimat und das Land Serbien kämpfen". Sie fügte hinzu: "Über unsere Partner in der EU und Kfor kann ich kein einziges nettes Wort sagen, ihre Reaktion kam spät" und "sie schützen sie nicht die Demokratie, sondern die Usurpation."

Serbien spricht von "Terror"

Der serbische Präsident Aleksandar Vučić hatte am Freitag der Armee kurz vor 14 Uhr den Befehl gegeben, die Kampfbereitschaft auf das höchste Niveau zu erhöhen. Verteidigungsminister Miloš Vučević, der neue Chef der Regierungspartei SNS, befahl die Armee an die Grenze zu Kosovo bringen: "Es ist klar, dass Terror gegen die serbische Gemeinschaft im Kosovo verübt wird", meinte Vučević.

Vor dem Gemeindeamt von Zvečan.
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Kosovo, eine ehemalige Provinz Jugoslawiens, hat sich im Jahr 2008 für unabhängig erklärt, doch Serbien hat die Unabhängigkeit nie anerkannt. Deshalb unterhält es Parallelstrukturen für die im Kosovo lebenden Serben. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo stützte sich darauf, dass Jugoslawien unter Slobodan Milošević zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung begangen hatte.

Fast gleichgestellt

Der Internationale Gerichtshof (IGH) befand im Jahr 2010, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht im Widerspruch zum Völkerrecht steht. Der Kosovo war ab der jugoslawischen Verfassung von 1974 eine autonome Provinz, die den sechs Republiken fast gleichgestellt war. Unter Milošević wurde die Autonomie aufgehoben, und Albaner und nicht regimetreue Serben waren massiven Repressionen ausgesetzt. Aus den sechs Republiken wurden unabhängige Staaten. Dabei kam analog zur Auflösung der Sowjetunion das Rechtsprinzip zur Geltung, wonach die früheren Grenzen der Republiken innerhalb der Föderation Jugoslawien zu den neuen Staatsgrenzen wurden. (Adelheid Wölfl, 29.5.2023)