Ein 21-Jähriger meldet sich im Vorjahr mit einer – wie er selbst meint – "ungewöhnlicheren Anfrage" beim Rauchfrei-Telefon. Er sei kein Raucher, nehme aber seit drei Jahren Snus beziehungsweise Nikotinbeutel. In seiner Schulzeit sei er zum täglichen Konsumenten geworden, habe dann aufhören wollen, es beim Bundesheer aber nicht geschafft. In stressigen Phasen habe er "täglich drei Packungen, teils bis hin zur Übelkeit" konsumiert. Im Telefongespräch erörtert eine Psychologin mit dem Anrufer alternative Verhaltensweisen. Der 21-Jährige will den Urlaub nutzen, um aufzuhören.

Dreimal mehr E-Zigaretten

Die Konsumenten von Nikotinbeuteln oder elektronischen Inhalationsprodukten wie E-Zigaretten und Tabakerhitzern machen in Österreich zwar noch einen kleinen Anteil der Nikotinsüchtigen aus (wobei es auch noch wenig Datenmaterial dazu gibt). Doch ihr Anteil steigt – und das beträchtlich: So zeigt eine aktuelle große Umfrage der Gesundheit Österreich (GÖG), dass der Anteil von Personen, die täglich oder fast täglich E-Zigaretten oder Tabakerhitzer konsumieren, von zwei Prozent im Jahr 2020 auf sechs Prozent im Jahr 2022 gestiegen ist. 23 Prozent konsumieren Rauchwaren – darunter fallen Zigaretten, Pfeifen oder Zigarren – und/oder elektronische Inhalationsprodukte täglich oder fast täglich. Das ist fast ein Viertel aller Personen in Österreich. Bei der repräsentativen Online-Erhebung wurden laut GÖG österreichweit mehr als 6700 Personen befragt.

Auch die Industrie reagiert auf den Trend hin zu neuen Nikotinprodukten. Laut einem Bericht der "Welt" will der Zigarettenhersteller Philip Morris sein Geschäft mit der klassischen Tabakzigarette und somit seiner berühmtesten Marke Marlboro auslaufen lassen. Stattdessen wolle der Konzern künftig ausschließlich Tabakerhitzer sowie elektronische Zigaretten für Flüssigkeiten anbieten, wie die "Welt" Philip Morris' Vorsitzenden für Deutschland und Österreich, Markus Essing, zitiert.

Junge Frau mit E-Zigarette
E-Zigaretten (Vapes) und Nikotinbeutel (Snus) sind vor allem unter jungen Menschen in Österreich immer stärker verbreitet.
AP/Diego Fedele

Laut der Wiener Sucht- und Drogenkoordination, der die Umfragezahlen für die Hauptstadt vorliegen, sind die Konsumentinnen und Konsumenten von E-Zigaretten und Snus vor allem junge Personen: In der Altersgruppe 15 bis 34 Jahre nutzen gleich neun Prozent E-Rauchprodukte regelmäßig und elf Prozent gelegentlich. Zwei Prozent greifen täglich zu Nikotinbeuteln, sieben Prozent machen es gelegentlich. Das ist der höchste Anteil unter allen Altersgruppen.

Wieder öfter täglicher Griff zur Zigarette

Ein Sprecher der GÖG verweist im Gespräch mit dem STANDARD aber darauf, dass nach einem langjährigen Rückgang bei den klassischen Rauchern nach der Corona-Pandemie wieder ein Anstieg verzeichnet werden konnte. So griffen im Vorjahr 20,3 Prozent der Gesamtbevölkerung in Österreich täglich oder fast täglich zur Zigarette. Zum Vergleich: 2020 waren es noch 17,2 Prozent. Vor allem bei jungen Frauen konnte zuletzt ein deutlicher Anstieg verzeichnet werden. Dabei ist der Anteil der Tabakkonsumierenden in Österreich in 20 Jahren stetig gesunken (siehe Grafik, Anteil der täglich und gelegentlich Tabakprodukte Konsumierenden).

Österreich bei Tabaknutzung vom Spitzen- ins Mittelfeld
Anteil der über 14-jährigen Bevölkerung europäischer und benachbarter Staaten, die regelmäßig Tabakprodukte* konsumiert (Entwicklung zwischen den Jahren 2000 und 2020
mcmt

Snus und Co beschäftigen Rauchfrei-Telefon

Das Beispiel des oben genannten 21-jährigen Snus-Konsumenten ist nur eines von mehreren aus dem Jahresbericht des Rauchfrei-Telefons 2022, bei dem es nicht (nur) ums Zigarettenrauchen geht, sondern – teils zusätzlich zum Rauchen – um die Sucht nach nikotinhaltigen Produkten wie Nikotinbeuteln, E-Zigaretten und dergleichen. "Wir bemerken, dass diese neuen Produkte seit circa zwei Jahren in der Beratung präsenter sind", sagt Sophie Meingassner, die fachlich verantwortliche Psychologin des Rauchfrei-Telefons. Die Hotline ist werktags erreichbar von 10 bis 18 Uhr unter 0800 810 013.

Das Tückische an dieser Sucht: "Die neuen Produkte machen es den Konsumentinnen und Konsumenten so einfach, süchtig zu werden", sagt Meingassner. Nikotinbeutel können unbemerkt in der Schule unter die Lippe geschoben werden oder zu Hause unauffällig vor dem Schlafengehen. An E-Zigaretten (Vapes) kann man zwischendurch einmal ziehen und sie dann einfach wieder in der Jackentasche verschwinden lassen.

Nikotin sei aber ein Nervengift und "sicher kein gesundheitsförderndes Produkt", sagt Meingassner. Oft ist es in den neuen Produkten hochdosiert. Viele Anrufende würden an der Sucht leiden. Klare Rahmenbedingungen würden die Hemmschwelle für den Einstieg in die Konsumation erhöhen sowie den Ausstieg erleichtern – zum Beispiel werden Ex-Rauchende durch das Rauchverbot in Lokalen nicht mehr ständig an die Tschick erinnert. Für Snus, Vapes und Co gibt es aber noch keine klaren gesetzlichen Vorgaben. "Tabak- und Nichtraucherschutzgesetz waren vor Aufkommen der neuen Produkte gut, nun wird ein Schlupfloch genutzt", sagt Meingassner.

Wien fordert Gesetzesnovelle

Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, verwies am Dienstag darauf, dass Nikotinbeutel "irreführenderweise als gesunde Alternative zur Zigarette beworben" würden: "Die Werbung zielt ganz bewusst auf eine junge Zielgruppe ab." Lochner fordert, auch Nikotinbeutel rasch in das Gesetz aufzunehmen, damit sei auch ein Werbeverbot möglich.

Nichtraucherschutz im internationalen Vergleich
https://www.datawrapper.de/_/jY0JD/
mcmt

Das von den Grünen geführte Gesundheitsministerium kündigte eine weitere Novelle des Tabak- und Nichtraucherschutzgesetzes an. Sie soll neue Nikotinprodukte umfassen sowie weitere Einschränkungen fürs Rauchen – zum Beispiel auf "zusätzlichen öffentlichen Orten im Freien" wie etwa "Kinderspielplätzen und Freizeitflächen für Kinder und Jugendliche" – vorsehen. Anfang 2023 hätte die Novelle in Begutachtung gehen sollen, hieß es Ende 2022. Im März verlautete das Ministerium, dass sich die Novelle "in finaler Abstimmung" mit dem schwarzen Koalitionspartner befinde. Auf aktuelle STANDARD-Nachfrage ist die Antwort dieselbe. Inzwischen geht man im Büro von Gesundheitsminister Johannes Rauch davon aus, dass diese in der zweiten Jahreshälfte vorliegt. (David Krutzler, Gudrun Springer, 31.5.2023)