Die bulligen Männer, die am Montag in dem nordkosovarischen Ort Zvečan auf die ungarischen und italienischen Soldaten der Nato-geführten Kfor-Truppen einprügelten, waren teilweise aus Serbien gekommen. Etwa der ehemalige serbische Polizist Dragan Smigić, der einen Schlagstock der Polizei verwendete. Der Gewaltausbruch der militanten Aktivisten ließ 30 Soldaten verletzt zurück, einige wurden so stark durch Knochenbrüche und Verbrennungen verwundet, dass sie von ihren Kollegen aus dem Geschehen herausgezogen werden mussten. Die Kfor sprach von einem "unprovozierten Angriff". Österreich hat 273 Soldaten bei der Kfor, sie sind aber nicht im Nordkosovo im Einsatz. Das österreichische Verteidigungsministerium erhöhte trotzdem den Truppenschutz.

Insgesamt wurden 53 Personen verletzt, ein Serbe erlitt Schusswunden. Auch Journalisten wurden bedroht und an ihrer Arbeit gehindert. Die Angreifer verwendeten Blendgranaten, Steine und andere Wurfgeschoße. Die Kfor wollte mit drei gepanzerten Fahrzeugen der kosovarischen Polizei helfen, den Ort Zvečan zu verlassen. Dies wollten die Aktivisten verhindern.

Auch 30 Kfor-Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt. Insgesamt wurden 53 Personen verletzt. Ein Serbe erlitt Schusswunden.
Auch 30 Kfor-Soldaten wurden zum Teil schwer verletzt. Insgesamt wurden 53 Personen verletzt. Ein Serbe erlitt Schusswunden.
EPA

Fünf Personen wurden festgenommen. Der kosovarische Premier Albin Kurti sprach von "Protesten einer Gruppe von Extremisten unter der Leitung des offiziellen Belgrad". Der Konflikt war bereits am Freitag eskaliert, als kosovarische Polizisten die Amtseinführung von vier Bürgermeistern eskortierten. Aufgebrachte Serbinnen und Serben verhinderten, dass die Bürgermeister die Gemeindeämter betreten konnten. Die Bürgermeister – alle Albaner – waren nur deshalb bei der Kommunalwahl am 23. April gewählt worden, weil die Serben im Norden des Kosovo auf Anweisung der Partei Srpska Lista, die vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić kontrolliert wird, die Wahlen boykottiert hatten. Im Norden des Kosovo leben mehrheitlich Serben.

Die Kommunalwahlen waren notwendig geworden, weil die Kosovo-Serben auf Anweisung von Vučić Anfang November des vergangenen Jahres alle Institutionen des Kosovo verlassen hatten, auch die Bürgermeisterämter. Viele Serbinnen und Serben werden von Belgrad instrumentalisiert, um die politischen Interessen Vučićs zu unterstützen.

Ablenken von Innenpolitik

Dieser wiederum steht seit Wochen in der Kritik. In Belgrad fanden nach zwei Amokläufen mit 18 Toten Anfang Mai Massendemonstrationen statt, bei denen der Rücktritt Vučićs gefordert wurde. Der Gewaltausbruch im Kosovo ist für das Regime in Belgrad nun eine Möglichkeit, von den innenpolitischen Problemen abzulenken. Vučić hat bereits einige Krisen im Norden des Kosovo mitinszeniert.

Am Dienstag vor dem Gemeindeamt von Zvečan.
Am Dienstag vor dem Gemeindeamt von Zvečan.
REUTERS

Er sagte nun, Kurti wolle einen Konflikt zwischen der Nato und den Serben heraufbeschwören. Tatsächlich haben viele Serben und Serbinnen im Norden des Kosovo Angst vor der kosovarischen Polizei, und die Amtseinführung der Bürgermeister ist umstritten. Der US-Botschafter im Kosovo, Jeffrey Hovenier, rief die kosovarische Regierung von Kurti vergangene Woche dazu auf, die Bürgermeister nicht mit Gewalt in ihre Ämter zu bringen. Hovenier forderte, dass diese nicht in den Gemeindeämtern, sondern woanders arbeiten sollten. Die kosovarischen Behörden lehnten dies jedoch ab. Die Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und Italiens – mit den USA gemeinsam "die Quint" genannt – schlossen sich der Kritik der kosovarischen Regierung an.

Kommentar von Djoković

Die westlichen Staaten hatten zuvor allerdings die Wahl, bei der wegen des Boykotts der Serbinnen und Serben nicht einmal 3,5 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen, anerkannt. Weil die Quint am Freitag vor allem Kurti die Schuld zuschob, wirkte das für die serbischen militanten Aktivisten dann offenbar wie ein Freibrief.

Auch der serbische Tennisstar Novak Djoković mischte sich in die Ereignisse ein und nutzte seinen Auftaktsieg bei den French Open für eine politische Botschaft. Er schrieb "Kosovo ist das Herz Serbiens" auf die Linse einer TV-Kamera. Djokovićs Vater kommt aus dem Kosovo.

Nun wird von Diplomaten die Wiederholung der Kommunalwahlen als eine Lösung eingebracht. Allerdings ist unklar, ob Vučić wieder dazu aufrufen wird, die Wahlen zu boykottieren. Er hatte am Freitag den Befehl gegeben, die Kampfbereitschaft der Armee auf das höchste Niveau zu erhöhen und sie an die Grenze zu Kosovo bringen. Der serbische Verteidigungsminister und neue Chef der Regierungspartei SNS, Miloš Vučević, behauptete sogar: "Es ist klar, dass Terror gegen die serbische Gemeinschaft im Kosovo verübt wird." Die serbische Premierministerin Ana Brnabić sagte: "Über unsere Partner in der EU und Kfor kann ich kein einziges nettes Wort sagen, ihre Reaktion kam spät." Und: "Sie schützen nicht die Demokratie, sondern die Usurpation."

Explosive Lage

Infolge der gewaltsamen Proteste stockt die Nato ihre Truppen in dem Westbalkanland auf. "Als Antwort auf die jüngsten Unruhen und die Verletzung von Mitgliedern der Kosovo Force hat die Nato die Stationierung ihrer Operational Reserve Forces (ORF) für den westlichen Balkan angeordnet", hieß es in einer Erklärung der Allianz am Dienstag. 700 zusätzliche Soldaten der ORF sollen laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in das Land entsandt werden.

Am vergangenen Samstag demonstrierten tausende Serben und Serbinnen in Belgrad gegen Vučić und seine Regierung.
Am vergangenen Samstag demonstrierten tausende Serben und Serbinnen in Belgrad gegen Vučić und seine Regierung.
AP/Darko Vojinovic

Der Konflikt hat aber auch eine geopolitische Dimension, denn der Kreml unterhält enge Verbindungen zu dem autokratischen Regime von Vučić in Serbien, erst im Vorjahr wurde ein Abkommen zur außenpolitischen Zusammenarbeit geschlossen. Russland verhindert auch die Mitgliedschaft Kosovos in den Vereinten Nationen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte am Montag: "Im Herzen Europas braut sich eine äußerst explosive Situation zusammen, genau an dem Ort, an dem die Nato 1999 eine Aggression gegen Jugoslawien verübte." Weiters meinte Lawrow: "Es ist alarmierend, aber der Westen hat einen Kurs der völligen Unterwerfung all jener eingeschlagen, die in irgendeiner Weise ihre eigene Meinung äußern." Vučić traf am Dienstag in Belgrad den russischen Botschafter Aleksander Botsan-Chartschenko. (Adelheid Wölfl, red, APA, 30.5.2023)