Das Gesetz soll auch für nichteuropäische Unternehmen gelten, die ihre Waren in der EU verkaufen, wenn sie im Jahr über150 Millionen Euro Umsatz erzielen.
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Acht Stockwerke krachten in sich zusammen, mehr als 1.100 Menschen starben. Das hätte leicht verhindert werden können: Bereits am Tag zuvor waren Risse an den Wänden der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch entdeckt worden, die Polizei hatte den Zutritt gesperrt. Doch die Betreiber der Fabrik, die unter anderem Modeketten wie Benetton, Mango und Primark belieferte, verlangten von ihren Angestellten, weiterzuarbeiten – mit fatalen Konsequenzen.

Knapp über zehn Jahre liegt der Einsturz von Rana Plaza mittlerweile zurück. In Frankreich gab die Tragödie Anstoß, große Unternehmen gesetzlich zu mehr Sorgfalt zu verpflichten, auch die Niederlande und Deutschland verankerten ähnliche Gesetze. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der freiwilligen Labels, mit denen Unternehmen ihren Kundinnen und Kunden faire Produktionsbedingungen versprechen.

"Aber wir sehen: Das reicht nicht aus. Als Einzelne können wir die Welt nicht verändern", eröffnete die niederländische Abgeordnete Lara Wolters am Mittwoch eine Debatte im EU-Parlament. "Deshalb wollen wir jetzt ein Gesetz verabschieden, das die Welt ein bisschen fairer macht." Die Rede ist vom europäischen Lieferkettengesetz, zu dem Wolters in den vergangenen Monaten federführend verhandelt hat. Die EU ist weltweit der erste Wirtschaftsraum, der ein solches Vorhaben umsetzen will. Für wen und wie das Gesetz aber konkret gilt, ist noch strittig. Die nächste Hürde nimmt das Gesetz am Donnerstagnachmittag: Dann legt das Parlament seine finale Position fest, mit der es in die Verhandlungen mit dem Rat geht. 

Schon ab 250 Mitarbeitenden

Klar ist bereits vor der Abstimmung am Donnerstag: Das Parlament wird ein sehr viel stärkeres Gesetz fordern als der Rat, die Mitgliedsstaaten haben sich im November auf eine schwächere Position geeinigt. Zum Beispiel sieht der Text, der ins Plenum geht, vor, dass die Regeln bereits für EU-Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden und einem Nettoumsatz von mindestens 40 Millionen Euro gelten sollen. Die Mitgliedsstaaten hingegen haben sich im November im Rat darauf geeinigt, dass das Gesetz für Unternehmen Anwendung finden soll, die mehr als 500 Mitarbeitende und einen Nettoumsatz von 150 Millionen Euro haben. Das war auch die Grenze, die die EU-Kommission vorgeschlagen hat. 

Auch die Vermeidung von Umweltschäden will das Parlament im Gesetz stärker verankern. Besonders könnte das neben der Erdölförderung den Bergbau betreffen.
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Auch mit Blick auf Klima- und Umweltschäden wird das Parlament voraussichtlich ein stärkeres Gesetz verhandeln wollen. So sieht der Kompromisstext vor, dass Unternehmen zeigen müssen, dass ihre Tätigkeiten mit dem Pariser Klimaabkommen übereinstimmen. Das heißt, dass sie ihren Teil dazu beitragen müssen, dass die Erderhitzung auf 1,5 Grad abgebremst werden kann – oder sie zumindest unter zwei Grad bleibt. "Das Gesetz kann ein Gamechanger werden, wenn das Parlament sich bei diesem Punkt durchsetzen kann", kommentiert die Anwältin Amandine Van den Berghe von der Umweltrechtsorganisation Client Earth.  

Entscheidend wäre dazu auch, dass der komplette Finanzsektor miteinbezogen ist, sagt Van den Berghe weiter. Während der Rat im November entschied, es den einzelnen Staaten zu überlassen, wie sie die Finanzindustrie regulieren wollen, sieht der Parlamentstext einheitliche Regeln vor. Hier liegt allerdings noch eine große Unsicherheit vor der Abstimmung am Donnerstag: So brachten Abgeordnete Änderungsanträge ein, die Teile des Finanzsektors – unter anderem Vermögensverwalter und Fonds – aus dem Gesetz herausnehmen wollen.  

Rote Linien

Der Text, über den das Parlament morgen abstimmt, ist ein lange verhandelter Kompromiss zwischen Abgeordneten fast aller Fraktionen. So stand zur Diskussion, dass die Regeln auch für kleine und mittlere Unternehmen ab einer gewissen Grenze gelten sollen, wenn diese in besonders risikobehafteten Sektoren arbeiten – das hätte etwa die Textilindustrie, aber auch den Bergbau betreffen können.

Auch wollten sozialdemokratische und grüne Parlamentarier erreichen, dass nicht Betroffene den Beweis erbringen müssen, dass ein Unternehmen ihnen geschadet hat, sondern dass umgekehrt im Falle einer Klage das Unternehmen hätte beweisen müssen, dass es nicht für die entstandenen Schäden verantwortlich ist. So eine Umkehr des Belastungsnachweises schaffte es aber ebenfalls nicht in den Kompromisstext.

"Das waren roten Linien für die EVP und Renew. Wenn ich darauf beharrt hätte, hätte ich das ganze Vorhaben gefährdet", verteidigt Lara Wolters den Text, der in die Abstimmung geht. Dieser bringe – wenn er im Plenum eine Mehrheit findet – Betroffenen überall auf der Welt die Möglichkeit, sich auf Grundlage des Lieferkettengesetzes an europäische Gerichte zu wenden, und auch Sammelklagen würden ermöglicht. Nach der Abstimmung soll es dann schnell gehen: Die Verhandlungen mit dem Rat könnten noch vor dem Sommer starten. Bis Jahresende, hofft Wolters, soll das Gesetz bereits stehen. (Alicia Prager, 1.6.2023)