Auf einem der letzten Fotos, die von Dom Phillips aufgenommen wurden, sitzt der britische Journalist Anfang Juni 2022 auf einem Bretterstapel am Ufer des Itaquai-Flusses, ins Gespräch vertieft mit einem Fischer. Der Itaquai ist ein Fluss im brasilianischen Amazonasgebiet, und Philipps, khakifarbene Hose, Flipflops und schwarzes Cap, recherchiert zu dieser Zeit für sein Buch "How To Save The Amazon" die großen Bedrohungen des Regenwalds. Die illegalen Rodungen, die Brände, die Gier der Menschen. Doch er wird das Buch nicht fertigstellen können: Zwei Tage nachdem das Foto am Flussufer entstanden ist, werden der Journalist und sein Amazonas-Guide, der Indigenen-Experte Bruno Pereira, getötet. Nach allem, was man weiß: auf dem Itaquai, am 5. Juni 2022.

Erst vier Monate nach dem Mord finden Pereiras Kollegen, Mitglieder der Union der indigenen Völker im Javari-Tal (Univaja), im Fluss Pereiras Handy. Es muss wochenlang am Grund des Itaquai gelegen haben, bis der Wasserspiegel sank und das Mobiltelefon unter einer Schicht von Morast gefunden werden konnte, mit einem Metalldetektor. Und entgegen jeder Wahrscheinlichkeit konnten Spezialisten der Polizei tatsächlich noch Daten auf dem Handy retten – darunter auch die letzten Fotos.

Projekt "Dom und Bruno"
Journalist Dom Phillips und Indigenen-Experte Bruno Pereira kurz vor ihrer Ermordung
TV Globo

Konsortium führt Recherchen fort

Zu dieser Zeit läuft das Projekt "Bruno und Dom" schon seit etlichen Wochen: Koordiniert von der Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories führt eine Gruppe von mehr als 50 Journalistinnen und Journalisten die Recherchen der beiden Getöteten weiter: die organisierte Ausbeutung des weltgrößten Regenwaldes – durch illegale Fischerei, Abholzung für die Viehzucht oder durch Goldabbau sowie durch die Gefahr, die all das für die indigene Bevölkerung des Gebiets bringt.

Das Konsortium von 16 Medien aus zehn Ländern, darunter neben dem britischen "Guardian" und "Le Monde" aus Frankreich auch DER STANDARD, versuchte auch, die letzten Tage im Leben der beiden Ermordeten zu rekonstruieren. In diesem Zug gelangte das Team an die Bilder vom Ufer des Itaquai: die letzten bekannten Fotos vor dem Mord. Eine Journalistin des Recherchekollektivs war vor Ort, als Pereiras Kollegen sein Handy sowie Dom Phillips' Brille, Notizbücher und selbst seinen Presseausweis im Schlamm des Flusses fanden.

Mord im Amazonas
Dom Phillips' Presseausweis im Schlamm.
TV GLOBO / GLOBOPLAY

Die Reise von Phillips und Pareira war kein Geheimnis, den beiden schien sie auch nicht übermäßig gefährlich. "Ich werde mich mit Fischern treffen. Was sie tun, ist illegal, aber es ist in Ordnung, mit ihnen zu reden", soll Dom Phillips vorher seiner Frau erklärt haben. Die Fischwilderer, mit denen sich Phillips und Pereira trafen, fischen unerlaubt in den Flüssen des Javari-Tals. Die Fischerei dort ist streng reglementiert, und oftmals geht es um bandenmäßige, fast industrielle Abfischung, nicht etwa um eine Art Mundraub. Indigenenexperte Pereira dokumentierte die illegalen Geschäfte der Fischwilderer, um ein Dossier für die Staatsanwaltschaft anzufertigen. Phillips begleitete seinen Freund, um Material für sein Buch zu sammeln. 

Etwa, wie die illegalen Fischer ihre Arbeit organisieren, auf welchen Tellern der Fisch am Ende landet und wie Drogenbarone die Fischwilderei finanzieren und damit Geldwäsche und Drogenschmuggel betreiben.

Die fortgeführten Recherchen über illegalen Goldabbau zeigen, wie Goldgräber im Herzen des Amazonas unter den Augen der Behörden Gold aus den Flüssen holen und im Gegenzug das Quecksilber hineingeben, das Tiere und Menschen vergiftet. Um an Dom Phillips' Arbeiten über den Zusammenhang von illegaler Regenwaldabholzung mit der Rindfleischindustrie anzuknüpfen, recherchierte der STANDARD mit den anderen Medien, wie das betroffene Fleisch unter anderem nach Europa gelangt. Außerdem zeigen Recherchen über organisierten Landraub, wie die Plattform Facebook genutzt wird, um Landverkäufe im Amazonasgebiet – einschließlich des Verkaufs von geschütztem öffentlichem Land – zu erleichtern.

Vom Musikjournalisten zum investigativen Reporter

Der Brite Dom Phillips, geboren und aufgewachsen in der Gegend um Liverpool, begann seine Karriere als Musikjournalist. Brasilien besuchte er 1998 erstmals, um über die dortige Musikszene zu schreiben, 2007 wurde das Land zu seiner Wahlheimat – erst, um Ruhe für das Schreiben eines Buches zu finden, später dann, um für namhafte Zeitungen wie "The Guardian", die "Financial Times" oder die "Washington Post" aus Rio de Janeiro zu berichten. Zum Gegenstand seiner Berichterstattung wurde bald auch der Amazonas, die Kultur der dort lebenden Menschen und die Bedrohungen für den tropischen Regenwald. "Er hatte eine tiefe Liebe, einen Respekt, eine Faszination und ein Bedürfnis, die Komplexität [des Amazonas] zu verstehen", sagte seine Frau Alessandra Sampaio der brasilianischen Tageszeitung "O Globo".

Diese Leidenschaft verband den Journalisten mit Bruno Pereira, der ihn in den vergangenen Jahren immer wieder auf den Recherchen im Amazonas begleitete. Pereira, Vater von drei Kindern, war ein anerkannter Experte für Indigene in dem Gebiet und arbeitete lange bei Funai, einer staatlichen Stiftung für indigene Völker. Er stand in Kontakt mit isolierten Völkern des Javari-Tals, eines Gebiets im Westen Brasiliens, das größer als Österreich ist. In dem Tal hatten sich die beiden 2018 kennengelernt, dort befanden sie sich auch im Juni vergangenen Jahres, bei ihrer letzten gemeinsamen Expedition, die brutal endete.

Der Itaquai-Fluss
In diesem Gebiet suchten brasilianische Behörden nach Phillips und Pereira.
APA/AFP/JOAO LAET

Das Verschwinden der beiden Männer ging damals um die Welt, auch die Suche nach ihnen, die bangen Tage des Wartens und Hoffens. Zehn Tage dauerte es am Ende, bis die Leichen von Phillips und Pereira gefunden wurden, und entscheidend waren die Geständnisse des Fischers Amarildo da Costa Oliveira, genannt Pelado. Er war schon wenige Tage nach dem Verschwinden als Verdächtiger verhaftet worden und hatte zugegeben, die beiden getötet zu haben. Auch der Fischer, mit dem Phillips auf dem Foto am Ufer des Itaquai zu sehen ist, soll laut der brasilianischen Justiz jener Wilderergruppe angehören, die Pelado anführte.

Von Fischern ermordet

Laut der Anklageschrift, die dem Rechercheteam von Forbidden Stories vorliegt, trafen Pelado und andere Fischer am Morgen der Tat auf Bruno Pereira und Dom Phillips, die von ihrem Boot aus die Fischwilderer fotografierten. Die Fischer sollen mehrfach auf die beiden Männer geschossen und beide getötet haben. Auch Pereira, der wegen seiner Arbeit schon öfter bedroht worden war und deshalb eine Waffe mit sich führte, gab im Lauf der Auseinandersetzung offenbar mehrere Schüsse ab. Laut dem Polizeibericht warfen die Fischer die beiden Leichen erst ins Wasser, kehrten später aber zurück, um sie zu verbrennen, mit einer Machete zu zerstückeln und im Dickicht des Dschungels zu vergraben.

Den Ermittlern zufolge besteht kein Zweifel daran, dass Bruno Pereira und Dom Phillips getötet wurden, um keine "Zeugen des Verbrechens" der illegalen Fischerei zu hinterlassen. Das Projekt "Bruno und Dom" hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Vorhaben ins Gegenteil zu verkehren. (Julius Bretzel, Carina Huppertz, Dajana Kollig, Bastian Obermayer, Cécile Andrzejewski, 1.6.2023)