Anna Sawerthal aus Kalomo und Monze

Die Sandkörner dringen in die Plastikschuhe von Charity Chilenga. Die Bäuerin stapft über den Boden; ihr Chitenge, der sambische Wickelrock, streift im Sand. Sie zeigt, wo früher ihr Fisolenfeld war: von dort oben über die Büsche da drüben bis hin zu den zwei Bäumen.

Es ist knapp nach Mittag, die Sonne brennt auf den Sandteppich. Frau Chilenga streckt ihren Arm weiter über den Kopf: So hoch stand hier das Wasser – vor rund zwei Monaten, als der Sichikwenge-Damm brach und die Wassermassen über den Boden strömten. Chilenge und ihr Mann Mike wohnen einige Gehminuten entfernt auf einem Hügel. Die Bäuerin war gegen fünf Uhr morgens gerade aufgewacht, als sie einen gewaltigen Lärm hörte. "Bum, bum", so in etwa hat es sich angehört. Sie muss selbst über ihren Versuch lachen, das Geräusch eines Dammbruchs nachzumachen.

Die Wassermassen trugen die Häuser ihrer Nachbarn, die näher am Fluss wohnen, fort. Ihre eigenen Felder wurden großteils zerstört. Außerdem verlor sie fast alle ihre Tiere. Für Chilenga und ihren Mann war das eine Katastrophe. Die Kleinbauern im Süden Sambias wirtschaften von der Hand in den Mund. Wenn auch nur eine Ernte ausfällt, gibt es über die Dürreperiode nicht genug zu essen. Und diese hat heuer besonders heftig eingesetzt: Knapp nach den verheerenden Fluten trocknet das Land schon wieder aus.

Fragiles Ökosystem leidet besonders

Länder wie Sambia tragen wenig zur globalen Klimakrise bei. In dem wirtschaftsschwachen Land kommen Bauern und Bäuerinnen gerade einmal über die Runden. Aber diese fragilen Ökosysteme leiden unter dem Klimawandel ungleich stark. Unbemerkt vom internationalen Rampenlicht kämpfen Menschen in Sambia verzweifelt mit den Folgen.

Der Sichikwenge war nur einer von mindestens vier Dämmen, die in dieser Regensaison im Südwesten Sambias brachen. Anfang des Jahres hat extremer Regen den Kafue, einen Nebenfluss des Sambesi, anschwellen lassen. Allein im Bezirk Kalomo, wo Chilenge und ihr Mann wohnen, wurden über 90 Häuser zerstört. Im benachbarten Monze sind 500 Haushalte schwer betroffen. Dort leben immer noch hunderte Menschen in 14 Zeltcamps.

Weggeschwemmtes Dorf

Im Zelt von Mary Maroon ist es brütend heiß, untertags hält man es innen keine halbe Stunde aus. Sie waren im Jänner ins Camp in Monze gekommen, nachdem ihr Dorf weggeschwemmt wurde. Auch die 22-Jährige hat ihr Haus verloren, Tiere sind verschwunden, die Felder überschwemmt. Schon 2008 war die Community nach Überflutungen hierhergekommen. Doch Maroon meint, so schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie. Darüber sind sich alle Betroffenen, egal ob in Kalomo oder in Monze, einig: Diese Überschwemmungen, gepaart mit der nun einsetzenden Dürre, sind ein absolutes Novum.

Ein ganzes Dorf wurde von den Fluten zerstört. Hier leben die Bewohner und Bewohnerinnen nun in Zelten.
Der Standard/Sawerthal

Sambia ist zehnmal größer als Österreich, hat aber nur doppelt so viele Einwohner. Das Land im Süden Afrikas ist dünn besiedelt, die weite Steppe ist durch kurze Hügelabschnitte durchbrochen. Sambia ist eigentlich ein reiches Land. Entlang des sogenannten Copper Belt im Norden bauen riesige Konzerne seit Jahrzehnten Kupfer ab: Am Straßenrand sieht man häufig chinesische Schriftzeichen. Auch japanische oder indische Firmen sind hier tätig. Doch es ist der übliche Mix aus kolonialem Erbe, Korruption und ausländischen Firmen, der dazu führt, dass der Reichtum einfach nicht bei den Leuten ankommt.

Im Herbst 2020 musste das Land Bankrott anmelden. Mit dem Internationalen Währungsfonds wird auf Hochtouren an einer Lösung gearbeitet. In den neuen Präsidenten, Hakainde Hichilema, setzen die Sambier ihre Hoffnung: Er stammt selbst aus einem Dorf in der Südprovinz, wo auch Kalomo und Monze liegen. Er würde sich nun um die Leute hier kümmern, sind sich Lokalpolitiker sicher.

Der frühere Brotkorb

Früher galt die Südprovinz als Brotkorb Sambias. Sonnenblumen, Süßkartoffel, Raps und der allgegenwärtige Mais werden hier angebaut. Doch aus dem Brotkorb wurde eine Problemprovinz, denn die Landwirtschaft hat sich unter den neuen Wetterextremen als immer weniger ertragreich erwiesen. Brunnen trocknen aus, Überschwemmungen unterbrechen den natürlichen Erntezirkel. Und jahrelange Abholzung haben die Böden hier noch karger gemacht. Manche Großbauern können den einen oder anderen Ausfall verkraften. Aber die lokalen Bäuerinnen wie Charity oder Mary haben keine Puffer.

Veniah, ebenfalls Kleinbäuerin im Bezirk Kalomo, wollte den Süden eigentlich schon verlassen, so wie ihr Bruder. Besonders schwer war es 2019, als der Brunnen im Dorf ganz ausgetrocknet war. Da mussten die Frauen bis zu zehn Kilometer gehen, um Wasser zu holen.

Doch Veniah blieb. Denn vor wenigen Jahren hat sich die Community zusammengetan und überlegt, wie man den Veränderungen gemeinsam begegnen kann. Hilfsorganisationen wie Care haben dabei Impulse oder finanzielle Starthilfe gegeben. Da war die Gründung eines lokalen Sparvereins, mit dessen Hilfe der eine oder andere sich eine Ziege oder Schweine kaufen konnte. Da wurden neue Bäume gepflanzt, um so längerfristig die Felder wieder ertragreicher zu machen.

Neue Lagermethoden, robusterer Mais

Da waren auch neue Lagermethoden, um etwa den Mais länger haltbar zu machen: Veniah und die Bauern ihrer Community stehen im losen Halbkreis auf einem kargen Stück Erde. Auf den ersten Blick ist hier nichts Besonderes zu sehen. Doch sie zeigen alle auf den Boden in ihrer Mitte: Hier haben sie Boxen mit dem Mais der heurigen Ernte eingegraben. Das Grundnahrungsmittel soll so länger haltbar bleiben – und idealerweise bis ans Ende der Dürreperiode, also September, haltbar bleiben.

Patricia hat dieses Jahr erstmals "Orange Maize" angepflanzt. Die robustere Maissorte hielt den Fluten stand.
Der Standard/Sawerthal

Auf der Farm von Patricia hat das Wasser auch viel zerstört. Doch ein Feld hat standgehalten, nämlich eines, auf dem sie "Orange Maize" angepflanzt hatte. Das ist eine Maissorte, die robuster gegen Wasser und zugleich gegen Trockenheit ist. Während der Orange Maize weitergedeiht, ist von den anderen Maissorten nur wenig übrig. Ein paar Stauden hat sie zusammengebunden, damit diese sich gegenseitig stützen können und noch Früchte tragen.

Es ist eine Sisyphusarbeit, keine Frage. Auch Probleme, die man hier eigentlich schon im Griff hatte, kommen wieder häufiger vor. So gibt es wieder mehr unterernährte Kinder, weil die Ressourcen für ausgewogene Mahlzeiten schwinden.

Doch die Leute zeigen sich resilient. Charity Chilenga und ihr Mann machen sich an die Reparaturen auf den Feldern, die die Flut verschont hat. Es heißt, Zäune reparieren, neu aussähen, neue Konzepte für die Bewässerung überlegen. Hinter ihnen, über dem Sandteppich, klafft das riesige Loch im Damm. In zwei Jahren würde der ausländische Besitzer die Reparatur angehen, hat er ihnen gesagt. Vorher hat er einfach kein Geld dafür. (REPORTAGE: Anna Sawerthal aus Monze, Kalomo, 2.6.2023)