Sie finden sich in so unterschiedlichen Produkten wie Lebensmittelverpackungen, Pfannen, Schuhsprays, Löschmitteln oder Kosmetika – überall, wo ihre praktischen Eigenschaften gefragt sind: Chemikalien aus der Stoffgruppe PFAS (kurz für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen). Diese Substanzen sind öl- und wasserabweisend und beugen auch Verschmutzung vor. Doch ihrem offensichtlichen Nutzen stehen enorme Nachteile gegenüber: PFAS sind unter Umweltbedingungen nicht oder nur extrem langsam abbaubar. Gelangen sie in die Natur, verbleiben sie dort praktisch dauerhaft, daher werden sie auch "Ewigkeitschemikalien" genannt. Sie können sich zudem in menschlichen und tierischen Körpern anreichern – mit potenziell gesundheitsschädlichen Folgen.

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Forschende untersuchen Trinkwasser in den USA auf die Kontamination mit Ewigkeitschemikalien. Diese potenziell gesundheitsschädlichen und extrem langlebigen Substanzen werden in vielen Produkten verwendet und gelangen leicht in die Umwelt.
AP

In den vergangenen Jahren ist die Aufmerksamkeit für die Umwelt- und Gesundheitsrisiken dieser Substanzen stark gestiegen. Während Fachleute allein in Europa mehr als 20.000 mit PFAS kontaminierte Orte identifiziert haben, plant die EU-Kommission, die gesamte PFAS-Stoffgruppe zu verbieten. Inzwischen umfasst die Gruppe deutlich mehr als 10.000 unterschiedliche Fluorchemikalien.

Wie lange die Problematik der PFAS aber in der Industrie eigentlich schon bekannt ist, berichtet aktuell eine US-amerikanische Forschungsgruppe im Fachblatt "Annals of Global Health": Demnach hatten große US-Hersteller bereits vor Jahrzehnten klare Hinweise auf die enorme Giftigkeit mancher PFAS und die Problematik für Mensch und Umwelt. Doch anstatt die Öffentlichkeit darüber zu informieren oder auf die betreffenden Chemikalien zu verzichten, wurden interne Forschungsergebnisse unter Verschluss gehalten und die gesetzliche Regulierung dieser Stoffe verzögert.

Jahrzehntelang unter Verschluss

Was Tracey Woodruff und ihre Kolleginnen Nadia Gaber und Lisa Bero von der University of California, San Francisco, berichten, erinnert an die Methoden der Tabakindustrie und großer Öl- und Gaskonzerne, wenn es um den Umgang mit geschäftsschädigenden Fakten geht: Anhand von internen Dokumenten lässt sich nachzeichnen, dass die beiden US-Unternehmen DuPont und 3M spätestens in den 1970er-Jahren eindeutige Hinweise auf die Giftigkeit von PFAS hatten. "Diese Dokumente belegen klar, dass die chemische Industrie über die Gefahren von PFAS Bescheid wusste und es verabsäumt hat, die Öffentlichkeit, die Behörden und sogar ihre eigenen Mitarbeiter aufzuklären", sagte Woodruff. 

Für ihre Analyse griffen Woodruff und Kolleginnen auf interne Unternehmensdokumente aus den Jahren 1961 bis 2006 zurück, die ein Anwalt im Zuge einer erfolgreichen Klage gegen DuPont erlangt hatte. "Durch den Zugang zu diesen Dokumenten können wir nachvollziehen, was die Hersteller wann wussten und wie für die öffentliche Gesundheit wichtige Informationen geheimgehalten wurden", sagte Gaber, die Erstautorin der aktuellen Studie. Die Methoden, die die Forscherinnen dabei aufdecken, sind altbekannt: Verzögerung, Verzerrung und Ergebnisunterdrückung.

Die Untersuchung zeigt unter anderem, dass DuPont bereits in den 1960er-Jahren begründeten Verdacht hegte, dass die lange Zeit für die Herstellung von Teflon-Pfannen verwendete Chemikalie Perfluoroctansäure (PFOA) hochgiftig sein könnte. Versuche der Unternehmensforschung brachten Hinweise auf Leberveränderungen bei Ratten, die dem Stoff ausgesetzt worden waren. PFOA wurde dennoch weiter verwendet, auch dann, als die Giftigkeit in internen Untersuchungen in den 1970ern noch eindeutiger festgestellt wurde: Ein Bericht kam zum Schluss, dass die Chemikalie "hochgiftig bei Inhalation und moderat giftig bei Injektion" sei. Zwei Hunde, denen PFOA verabreicht wurde, starben binnen zwei Tagen. 

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In vielen wasserabweisenden Kleidungsstücken finden sich PFAS, ebenso in Kosmetika oder Batterien.
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Mitarbeiterinnen über Gefährdung im Dunkeln

1980 wurden laut den internen Dokumenten dann PFAS-bedingte Gesundheitsschäden an Menschen festgestellt: DuPont und 3M erfuhren, dass zwei Arbeiterinnen in der PFOA-Produktion Kinder mit Geburtsschäden zur Welt gebracht hatten. Wieder wurden Öffentlichkeit und Belegschaft über die Risiken im Dunkeln gehalten. Stattdessen wurde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einem Memo mitgeteilt, die Chemikalie habe eine geringe Toxizität, "wie Kochsalz". Zwar entschied sich DuPont in weiterer Folge dazu, Frauen im gebärfähigen Alter aus der betreffenden Produktion abzuziehen, intern wurde das aber nur als allgemeine Vorsichtsmaßnahme kommuniziert. Hinweise auf Gesundheitsschäden wurden dementiert. In der medizinischen Literatur tauchten Geburtsschäden durch PFOA erstmals Jahrzehnte später auf.

Gesundheitsuntersuchungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden indes mitunter so angelegt, dass unliebsame Ergebnisse unterdrückt werden konnten. So stellte ein Unternehmensarzt 1978 zwar ungewöhnlich hohe Leberenzymwerte bei mehr als der Hälfte von 31 untersuchten Mitarbeitern fest. Das Ergebnis wurde aber als "statistisch nicht signifikant" eingestuft, damit war die Sache erledigt. Einige Jahre später wurde dann bei Laboruntersuchungen das Protokoll überhaupt geändert, wodurch zuvor auffällige Werte als normal eingestuft werden konnten. 

Als in den 1990er-Jahren PFAS in die Schlagzeilen gerieten und Sorgen über kontaminiertes Grundwasser in der Umgebung von Chemiefabriken laut wurden (DuPont hatte kontaminierte Abwässer abgeleitet), wurde das Problem heruntergespielt. "Laut Studien von DuPont und 3M hat C-8 (so die damalige Bezeichnung der Chemikalie PFOA, Anm.) keine bekannten toxischen oder gesundheitsschädlichen Auswirkungen auf den Menschen bei den festgestellten Konzentrationen", hieß es in einer Presseaussendung 1991 – mehr als 20 Jahre nach den ersten eindeutigen Ergebnissen zur Giftigkeit in Unternehmensstudien. 

Mangelhafte Regulierung

Unter wachsendem Druck der Environmental Protection Agency (Epa), der US-Behörde für den Schutz der Umwelt und menschlichen Gesundheit, wurden Ende der 1990er-Jahre genauere Untersuchungen angeordnet. In der Folge gab 3M einen Rückzug aus der Produktion von PFOA bekannt, DuPont stellte die Substanz weiterhin her. In der EU ist die Verwendung von PFOA und Vorläuferverbindungen seit 2020 verboten – Spuren dieser Chemikalie sind freilich kaum mehr wegzubekommen. Das gilt auch für viele andere PFAS, die allgegenwärtig sind. Deren Konzentrationen in der Umwelt und in Produkten führen zwar nicht unmittelbar zu Erkrankungen, bei Ansammlung im Körper können sie aber Risiken für Krebserkrankungen, Organschäden und Entwicklungsstörungen erhöhen.

Woodruff und Kolleginnen orten im langjährigen Umgang der Chemieindustrie mit diesem Problem eine klassische Verschleierungstaktik. Anders als bei der Tabak- und Fossilindustrie ließen sich aus den vorliegenden Unterlagen zwar keine großangelegen Desinformationskampagnen mit gezielt lancierten Zweifeln an wissenschaftlichen Ergebnissen nachweisen. Vergleichbar sei aber die Strategie, unliebsame Ergebnisse unter Verschluss zu halten und geschäftsschädigende Vorschriftsänderungen, die im Interesse der Öffentlichkeit liegen, hinauszuzögern.

Das Ausmaß dieser Verschleierung lege auch offen, wie mangelhaft die Regulierung gefährlicher Chemikalien lange Zeit und vielerorts noch heute ist, schreiben die Autorinnen. Sie schicken auch eine Warnung an die Wissenschaft: "Forschende sollten sich bei der Auswertung von Daten zur Chemikaliensicherheit der Bemühungen der Industrie bewusst sein, die Grundsätze der Forschungsintegrität zu untergraben." (David Rennert, 2.6.2023)