Alma Zadić
Alma Zadić ist im Tauziehen mit der ÖVP
APA/HELMUT FOHRINGER

Viel Zeit bleibt nicht mehr. Denn regelmäßig an- und abschwellende Neuwahlgerüchte hin oder her: Spätestens im kommenden Jahr muss wieder gewählt werden. Und es wird eine neue Bundesregierung geben. Um angekündigte Reformen und Gesetzesänderungen umzusetzen, bleiben Türkis-Grün also nur noch wenige Monate. Am Programm, das sich die Regierungsparteien vorgenommen haben, ist für diesen kurzen Zeitraum noch ziemlich viel offen, auch unter den großen Brocken. Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses und das angekündigte Klimaschutzgesetz zum Beispiel – aber auch die bei Justizministerin Alma Zadić (Grüne) ressortierende Einrichtung einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft, die auf ÖVP-Seite vor allem Verfassungsministerin Karoline Edtstadler betrifft. Der Idee nach sollen die Staatsanwaltschaften damit unabhängig vom Einfluss der Politik – konkret: vom Justizminister oder der Justizministerin – gemacht werden.

Um das Thema zumindest wieder auf die Agenda zu holen, lud Zadić am Donnerstag zum "Justizdialog" ins Ministerium. An der Veranstaltung mit Vorträgen und Podiumsdiskussion nahm Politik- und Justizprominenz von Ex-Bundespräsident Heinz Fischer und Justizminister a.D. Clemens Jabloner, bis zu (Ober)Staatsanwältinnen und NGO-Vertretern teil. Daran, dass eine Generalstaatsanwaltschaft noch in dieser Legislaturperiode eingeführt werden könnte, dürften angesichts des kurzen Zeitfensters zwar auch unter den Anwesenden nicht mehr viele glauben. Debattiert werden darf darüber natürlich trotzdem.

"Politische Vergiftungsversuche"

Es gehe um eine "weisungsfreie Justiz ohne politische Einflussnahme", sagte Zadić bei der Veranstaltung. Jeder und jede habe das Recht auf ein faires und von der Politik freies Verfahren. Die "politischen Angriffe gegen die Justiz", die "politischen Vergiftungsversuche" der vergangenen Jahre hätten auch in der Justiz Spuren hinterlassen. Man darf davon ausgehen, dass die Ministerin damit nicht zuletzt auf ihren Koalitionspartner, die ÖVP anspielte, die im Zuge der Ermittlungen gegen zahlreiche Parteigranden von Ex-Kanzler Sebastian Kurz abwärts mitunter scharf gegen die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geschossen hatte. Die Justiz habe zwar bewiesen, dass sie auch unter schwierigen Umständen ihrer Aufgabe nachkommt, sagte Zadić. Dennoch stelle sich die Frage, ob es noch zeitgemäß sei, dass an der Spitze des justiziellen Systems immer noch eine Politikerin oder ein Politiker stehe.

Hintergrund der Debatte: Die Staatsanwaltschaften stehen in Österreich unter Weisungsbefugnis des Justizministers beziehungsweise der Justizministerin. Ob es tatsächliche Einflussversuche gibt oder nicht: der Eindruck möglicher Befangenheit kann dadurch jedenfalls leicht entstehen. Vor allem, wenn Staatsanwältinnen Ermittlungen gegen Politiker führen – und diese derselben Partei angehören, wie der Justizminister oder die Justizministerin.

Koalitionspartner uneins

Die Grünen wollen deshalb ein bis zwei Dreiersenate an der Spitze – eine "kollegiale Struktur", wie sie sagen, die gemeinsame Entscheidungen trifft. Die drei Personen sollten weisungsfrei und mit gleichem Stimmrecht ausgestattet sein. Das würde aus Sicht von Zadić die Unabhängigkeit von parteipolitischem Einfluss erhöhen, weil die Macht nicht auf eine Person konzentriert sei, sondern gleichsam gedrittelt werde. Zadić bezieht sich dabei auf einen Entwurf von Fachleuten aus der Justiz, Universitäten und Ministerien, der im Vorjahr präsentiert worden war.

Darin wird eine unabhängige und weisungsfreie Generalstaatsanwaltschaft im Wesentlichen nach diesem System vorgeschlagen. Die ÖVP ist hingegen gegen einen Dreiersenat. Sie argumentiert, dass letztlich eine Person die politische Verantwortung tragen sollte und will, dass ein etwaiger künftiger Generalstaatsanwalt vom Parlament gewählt wird. Außerdem junktimiert sie eine Zustimmung zu einem Gesetz mit einer Reform der Beschuldigtenrechte etwa im Hinblick auf Handy-Sicherstellungen und den Ersatz von Anwaltskosten. Dass die Verhandlungen mit der ÖVP nicht einfach seien, sei kein Geheimnis, sagte Zadić.

Der Bestellvorgang für eine neue Generalstaatsanwaltschaft soll laut dem Expertenvorschlag nach ähnlichem Muster erfolgen wie bei Richterinnen und Richtern: Ein Personalsenat aus hohen Vertreterinnen und Vertretern der Justiz solle demnach Besetzungsvorschläge erstellen. Die Auswahl soll letztlich durch den Justizminister oder die Justizministerin erfolgen, die Ernennung durch den Bundespräsidenten. Die aktuell bestehende parlamentarische Kontrolle soll bei Angelegenheiten der Justizverwaltung weiterbestehen, laufende Ermittlungsverfahren davon aber generell ausgenommen sein.

"Ziel der Politikferne"

Ex-Bundespräsident Fischer lobte den Expertenbericht als "umfassend" und "ausgewogen". Gleichzeitig sei offenkundig, dass es in Teilen des Parlaments Sympathien für die Wahl einer Generalstaatsanwaltschaft per Zweidrittelmehrheit im Parlament gebe. Das "Ziel der Politikferne" würde damit laut Fischer aber nicht ausreichend erreicht. Denn erfahrungsgemäß könne einer Abstimmung dadurch ein "heftiges politisches Tauziehen" vorausgehen und auch politische Absprachen, etwa in Form von "Sidelettern" zu Koalitionsabkommen seien immer denkbar. Das Junktimieren von Beschuldigtenrechten mit einer Generalstaatsanwaltschaft hält Fischer nicht für nötig. Vielmehr könne man beides machen: eine Bundesstaatsanwaltschaft einführen und den Status der Beschuldigtenrechte evaluieren und gegebenenfalls reformieren.

Verfassungsrichter Johannes Schnizer sprach sich indessen gegen eine kollegiale Struktur der Generalstaatsanwaltschaft aus. An der Spitze solle ein monokratisches Organ stehen, das dem Parlament verantwortlich ist und von diesem bestellt werden solle.

Ex-Justizminister Jabloner gab an, seine Meinung zum Thema geändert zu haben. Einst sei er skeptisch gewesen, am bestehenden System etwas zu ändern und neben einem demokratisch legitimierten Minister beziehungswiese einer Ministerin eine zweite "ähnliche Institution" zu schaffen. Ein etwaiger Anschein politischer Befangenheit sei aber "schwer aushaltbar".

„Herrschaft der Generalsekretäre"

Ob man einem Minister Einflussversuche zutraue, hänge zwar entscheidend von der jeweiligen Person ab, sagte Jabloner. Generell habe sich der Einfluss auf Ministerinnen und Minister aber verstärkt. Seiner Erfahrung nach könnten Ressortchefs kaum noch Entscheidungen ohne Einbindung des restlichen Regierungsteams treffen. "Alles muss abgestimmt werden, Entwürfe dürfen nur an die Öffentlichkeit gehen, wenn alle einverstanden sind".

In der Zeit der türkis-blauen Bundesregierung unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe es zudem eine Art „Herrschaft der Generalsekretäre" gegeben. Das habe unabhängige Entscheidungen der Ressortchefs und -Chefinnen zunehmend schwieriger gemacht. Heute sei er daher für die Einführung einer Generalstaatsanwaltschaft. Ein Mitwirkungsrecht des Nationalrats bei der Bestellung und Abberufung der Generalstaatsanwaltschaft hält der einstige Minister für in Ordnung. Ohne Zustimmung der Justiz dürfe aber weder bestellt noch abberufen werden. (Martin Tschiderer, 1.6.2023)