Till Lindemann im Jahr 2017. Die Band dementierte die ersten öffentlichen Vorwürfe.
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"Sex, Drugs and Rock'n Roll" - das vermeintlich coole Mantra der 1970er hat Schattenseiten, die nun wieder publik werden. Bereits vor einigen Tagen erklärte eine junge Frau auf Social Media, dass ihr beim Tournee-Auftakt der Band Rammstein in der litauischen Hauptstadt Vilnius Drogen verabreicht worden wären.

Sie wäre benommen gewesen, stärker als bei Alkoholisierung der Fall. Rammstein-Sänger Till Lindemann habe Sex mit ihr gewollt, sie hätte abgelehnt. Der 60-Jährige sei daraufhin zornig gewesen. Später habe sie den Vorfall der Polizei gemeldet, der Drogentest war negativ. Das muss nicht viel heißen, Liquid Ecstasy ist schon nach wenigen Stunden nicht mehr nachweisbar. Die Band dementierte die Vorwürfe, unter anderem auf Twitter.

Nun melden sich in einer Recherche von NDR und Süddeutscher Zeitung weitere Frauen zu Wort - und berichten ähnliche oder noch schlimmere Vorfälle in Zusammenhang mit der Band.

Fans für Party "rekrutiert"

Das Umfeld der Band rekrutiere gezielt junge Frauen für Partys und letztlich für Sex mit Lindemann. Die Frauen gaben eidesstattliche Erklärungen ab, Screenshots von Chatnachrichten untermauern die Erzählungen. Die eine sagt, sie sei benommen in einem Bett mit Lindemann aufgewacht, eine andere, sie habe sich nicht getraut, Nein zu Sex mit ihm zu sagen. Wie so oft bei einem Machtgefälle: ein Superstar, 60 Jahre alt, eine junge Frau, die die Band oder ihn super findet. So etwas nennt man Machtmissbrauch – und das ist auch eine ethische Kategorie. Was an den Vorwürfen wegen heimlich verabreichter Drogen und nicht konsensualen Sex strafrechtlich relevant ist, müssen Gerichte entscheiden. Allerdings ist die Verurteilungsrate in diesem Feld besonders niedrig, die Nachweisbarkeit schwierig. Wort steht gegen Wort. Star gegen Fan. Älterer Mann gegen junge Frau, die ja womöglich keinen Tequila verträgt. Schon gar nicht zwei.

Was wir jedenfalls wissen: Wir haben es mit einem gewaltigen gesellschaftlichen Problem zu tun. K.-o.-Tropfen sind in den vergangenen Jahren zu einem riesigen Problem geworden. Delikte im Zuge einer Verabreichung von K.-o.-Tropfen sind ebenso stark angestiegen wie Anrufe deswegen bei Frauennotrufen. Und die Zahlen zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen kennen wir auch: Fast jede dritte Frau hat sexuelle Gewalt erlebt.

Schön "unaufgeregt"

Genau vor diesem Hintergrund sollte auf Vorwürfe wie jene gegen das Umfeld der Band Rammstein und Till Lindemann reagiert werden. Stattdessen gilt es aber noch immer als "objektiver" oder zumindest "unaufgeregt", wenn man sich erst einmal zurücklehnt und lässig meint: Na ja, das ist halt zwischen Fans und Stars so – denen taugt das eh, und getrunken und so weiter wird auch. Auch wenn es Groupies geben mag: Es gibt auch eine große Zahl an Frauen, denen derlei nicht gefällt. Die keinen Sex mit einem Popstar wollen. Statistiken belegen: Vorwürfe müssen ernst genommen und untersucht werden. Sie zu relativieren kann Täter schützen.

Die Vorwürfe ernst zu nehmen und zu überprüfen ist noch keine Vorverurteilung. Es ist eine Anerkennung zahlreicher Belege zur Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen. Trotzdem stellten sich nun zahlreiche Fans hinter Rammstein. Fein, wenn sie es womöglich bei einer After-Show-Party oder einem Konzert lustig hatten, nur: Das tut gerade nichts zur Sache. Andere sagen, dass es nicht lustig bis traumatisch gewesen sei. Aber: Auf sozialen Medien darf sich jede:r zu Wort melden, auch die, die jetzt blindlings verteidigen. Das ist okay, sonst hätten es die ersten Vorwürfe wohl erst gar nicht an die Öffentlichkeit geschafft. Aber dass Medien nun auch noch die Ex bitten, ihren Senf dazuzugeben, muss wirklich nicht sein. "Das sagt seine Ex Sophia Thomalla", titeln gleich mehrere Medien. Völlig wurscht, was sie sagt. Und eine andere Zeitung schreibt, was die junge Frau da beschrieben habe, sei "nahezu unvorstellbar". Nein, eben nicht. (Beate Hausbichler, 2.6.2023)