Johannes Dieterich aus Johannesburg

Der Senegal, bisher einer der wenigen stabilen Staaten Westafrikas, wird von immer heftigeren politischen Beben erschüttert. Nach einem umstrittenen Gerichtsverfahren gegen den prominenten Oppositionspolitiker Ousmane Sonko kam es in den vergangenen Tagen in zahlreichen Teilen des Landes zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Demonstrantinnen und der Polizei, denen mindestens 15 Menschen zum Opfer fielen. Es handelt sich um die schwersten Unruhen im Senegal seit Jahrzehnten.

Im Zentrum der am Donnerstag begonnen Zusammenstöße stand die Scheich Anta Diop Universität in der Hauptstadt Dakar. Dort gingen zahlreiche Gebäude und Fahrzeuge in Flammen auf, die Hochschule wurde vorübergehend geschlossen. In mehreren Städten des Landes plünderten Mobs Geschäfte, Bahnhöfe und Tankstellen angezündet, selbst Polizeiwachen sollen vom Zorn der Protestierenden nicht verschont geblieben sein.

Sperrung der sozialen Medien

Die Regierung setzte am Freitag auch das Militär ein. Außerdem wurden die Sozialen Netzwerke wie Twitter, Facebook und WhatsApp abgeschaltet – das erste Mal in der Geschichte des Senegals. Babacar Ndiaye, Direktor des Forschungsinstituts Wathi, kritisiert den Blackout der Netzwerke: "Bislang wurden diese Plattformen als Raum für freie Meinungsäußerung immer in Ruhe gelassen." Innenminister Antoine Félix Diome rechtfertigte die Netzunterbrechung mit dem "Hass" und den "subversiven Botschaften", die über sie verbreitet worden seien. Selbst in ihren "schlimmsten Alpträumen" habe sich Senegals Bevölkerung keine "derart apokalyptische und irrationale Gewalt" ausgemalt, kommentiert Alioune Tine, Gründer der Denkfabrik "Afrikajom" in Dakar.

Senegal, Demos, Ousmane Sonko
Brennende Barrikaden in Dakar.
REUTERS/Zohra Bensemra

Ausgelöst wurden die Unruhen von einem am Donnerstag ergangenen Richterspruch, der Oppositionspolitiker Sonko zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilte. Der 48-jährige Chef der Pastef-Partei wurde der Verführung einer Minderjährigen für schuldig befunden sowie zu einer Geldstrafe von 600.000 CFA-Franc (umgerechnet 915 Euro) verurteilt. Die jetzt 22-jährige Angestellte eines Massagesalons hatte Sonko eigentlich wegen Vergewaltigung angezeigt. Von diesem Vorwurf sprachen die Richter den Politiker allerdings frei. Ein Urteil, das für keine der Seiten zufriedenstellend sein kann.

Verurteilter sieht politische Motive

Sonko selbst war dem Verfahren ferngeblieben: Er bezeichnet es als einen "politischen Prozess". Damit solle er von den für Anfang nächsten Jahres geplanten Wahlen ausgeschlossen werden, argwöhnt Sonko. Der ehemalige Steuerbeamte genießt vor allem unter Jugendlichen ein hohes Ansehen. Bei den Wahlen vor vier Jahren belegte er den dritten Platz. Inzwischen wird ihm – auch wegen seines Streits mit dem Präsidenten – eine noch größere Popularität zugesprochen.

Im zutiefst konservativ-religiösen Senegal, wo Vergewaltigung erst seit 2020 als Verbrechen strafbar ist, rief Sonko seine Anhänger nach der Bekanntgabe des Urteils zu Straßenprotesten auf. Wo er sich derzeit selbst aufhält, ist nicht bekannt. Verhaftet wurde er jedenfalls noch nicht. Auch das sei ein Beweis dafür, dass es der Regierung in Wahrheit weniger um eine Gefängnisstrafe als um den Ausschluss Sonkos von den Wahlen gehe, sagen seine Verteidiger.

Debatte um die Amtszeitbegrenzung

Der Oppositionspolitiker wirft Präsident Macky Sall vor, eine dritte Amtszeit anzustreben, die von der Verfassung eigentlich ausgeschlossen wird. Sall leugnet das weder, noch hat er es bislang bestätigt. Bekannt ist allerdings, dass er seine zweite Amtszeit als die erste betrachtet, weil die Verabschiedung einer neuen Verfassung 2016 den Zähler der Amtszeiten zurückgesetzt habe. Wie überall in Afrika wird die Debatte um die Amtszeitbegrenzung eines Präsidenten auch im Westen des Kontinents leidenschaftlich geführt: Mehrere Staatschefs wollen das Limit loswerden; andere haben es bereits geschafft oder sind – wie der gambische – daran gescheitert.

Für Senegals Opposition war der Prozess gegen Sonko ein weiterer Beleg für den zunehmend autoritären Regierungsstil Macky Salls. Immer häufiger landen Kritiker des Präsidenten im Gefängnis. Justizminister Ismaila Madior Fall bestätigt die harte Gangart der Regierung, wenn er den brutalen Einsatz der senegalesischen Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen mit den Worten rechtfertigt: "Wir sind eine Insel der Stabilität in einer aufgewühlten Region. Diese Stabilität müssen wir bewahren – egal was es kostet." (Johannes Dieterich, 4.6.2024)