Alma Zadić (Grüne, links) und Karoline Edtstadler (ÖVP) tun sich schwer, das "Beste aus beiden Welten" zu finden.
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Zu tun gäbe es genug. Ob Weisungsrecht beziehungsweise Installierung eines Bundesstaatsanwalts, ob Beschuldigtenrechte oder Modernisierung der Technologie an den Gerichten: Die Aufgabenliste für die Regierung im Bereich der Justiz ist lang.

Einig sind sich Justizministerin Alma Zadić (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) allerdings nur in einem Punkt: Es braucht Reformen. Inhaltlich sind die Verhandlungen aber nahezu zum Erliegen gekommen, in vielen Bereichen ist seit Monaten nichts mehr weitergegangen.

Auf der politischen Bühne haben die Protagonisten und Protagonistinnen ihre Positionen längst eingenommen und stehen dort wie einbetoniert fest. Doch statt wechselseitige Überzeugungsarbeit zu leisten, haben derzeit beide Seiten Aufführungen für die Öffentlichkeit ins Programm genommen.

Sobotka lädt ein

Ministerin Edtstadler etwa hat ihren Auftritt am Montag im Lokal 3 des Parlaments, benannt nach Theophil Hansen. Dort findet ab 13 Uhr ein Symposion zu "aktuellen Fragen einer Reform der Strafprozessordnung" statt – veranstaltet von niemand Geringerem als Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Peter Lewisch, der an der Universität Wien Strafrecht lehrt und Rechtsanwalt ist.

Was in Teilen der Justiz durchaus für Irritationen sorgt. Sobotka ist selbst Beschuldigter, ihm wird Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit Postenbesetzungen in seiner Zeit als Innenminister vorgeworfen. Er bestreitet die Vorwürfe, und es gilt die Unschuldsvermutung. Lewisch wiederum sprach in einem Gutachten für Sebastian Kurz (ÖVP) davon, dass es "keine konkrete Verdachtslage" gegen den Ex-Kanzler gebe. Weil dieses Gutachten auf Papier mit dem Logo der Universität Wien verfasst war, handelte sich Lewisch öffentliche und auch Kritik aus dem Rektorat ein. Auf der Einladung zum Symposion ist nun nicht nur das Logo des Parlaments, sondern auch jenes des Instituts für Strafrecht der Universität Wien abgebildet.

Gegenveranstaltung

Worum es laut Parlamentshomepage geht: um "teilweise überlange Verfahrensdauern, de facto öffentlich geführte Ermittlungsverfahren, ineffektiv erscheinenden Schutz von Persönlichkeitsrechten, historisch überkommene niederschwellige Sicherstellungs und Auswertungsregeln für Kommunikationsgeräte, ‚bestrafungsgleiche‘ Verfahrensführung mit teilweise extremen finanziellen Belastungen für den Beschuldigten ohne Ausgleich bei Einstellung oder Freispruch". Vortragen sollen dazu, neben Lewisch, etwa Eckart Ratz, einst Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH), die Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes, der Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Wien Michael Rohregger sowie Bernd Ziska, Vizepräsident der Staatsanwälte-Vereinigung.

Die zuständige Ressortministerin wird der Veranstaltung dem Vernehmen nach fernbleiben. Was nicht heißt, dass sich Zadić mit dem Reformthema nicht intensiv auseinandersetzte. Sie hatte bereits für Donnerstag eine Art Gegenveranstaltung organisiert: einen "Justizdialog" zum Thema Weisungsrecht. Dort unterstützten beispielsweise Altbundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) und Clemens Jabloner, ehemaliger Präsident des Verwaltungsgerichtshofs und Ex-Vizekanzler, Zadićs Reformideen für eine Generalstaatsanwaltschaft.

Streit um Bundesstaatsanwalt

Eine solche Behörde soll ja künftig statt der Justizministerin oder des Justizministers die Entscheidungen über staatsanwaltschaftliches Vorgehen treffen, womit das Weisungsrecht nicht mehr in der Sphäre der Politik liegen würde. Einig sind sich die Regierungsparteien nur darin, dass eine Generalstaatsanwaltschaft sinnvoll wäre. Das war’s aber auch schon. Denn über die nähere Ausgestaltung gibt es konträre Vorstellungen. Zadić möchte dem Vorschlag einer Arbeitsgruppe zum Thema folgen, wonach künftig ein Dreiergremium als Weisungsspitze zuständig wäre. Die ÖVP will hingegen eine Person. Unstimmigkeiten gibt es auch bei der Art der Bestellung: Die ÖVP will, dass das Parlament den Leiter oder die Leiterin einer solchen Behörde wählt; aus Sicht von Zadić und zahlreichen Experten, etwa vom Antikorruptionsvolksbegehren, würde das zu viel politischen Einfluss ermöglichen. Außerdem stellt die ÖVP weitere Bedingungen, nämlich eine Reform für mehr Beschuldigtenrechte. Worum es ihr da geht:

  • Handysicherstellung: Wenn die Ermittler von Staatsanwaltschaften Mobiltelefone beschlagnahmen, soll es dafür extra eine richterliche Bewilligung geben, wie es zum Beispiel auch bei Hausdurchsuchungen der Fall ist. Die ist derzeit bei der "Sicherstellung" von Geräten nicht notwendig. Argumentiert wird, dass auf Smartphones viele höchstpersönliche Daten gespeichert seien und deren Auslesen Persönlichkeits- und Datenschutzrechte verletze. Nach einer Beschwerde wird sich auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) am 22. Juni mit diesem Thema befassen.
  • Zufallsfunde: Wenn im Zuge von Ermittlungen – also Hausdurchsuchungen oder Chatauswertungen – andere Verdachtsmomente entdeckt werden als jene, nach denen gesucht wird, leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein. Geht es nach der ÖVP, soll es da künftig höhere Hürden geben.
  • Beweisverwertungsverbot: Von Anwälten wird vor allem kritisiert, dass bei Hausdurchsuchungen sichergestellte Beweismittel auch dann noch verwendet werden dürfen, wenn ein Gericht die Hausdurchsuchung nachträglich für rechtswidrig erklärt hat.
  • Zitierverbot: Die ÖVP hat wiederholt ein Verbot des Zitierens aus Ermittlungsakten angeregt. Medien dürften dann nicht mehr wörtlich aus Ermittlungsakten berichten, das Abdrucken von Chats wäre dann beispielsweise nicht mehr möglich. Verwiesen wird dabei immer wieder auf Deutschland, wo es eine solche Regelung gibt. Ein indirektes Zitieren oder ein Zusammenfassen der Akteninhalte ist dort freilich gang und gäbe und erlaubt.
  • Kostenersatz Einigkeit herrscht darüber, dass Angeklagte nach einem Freispruch einen höheren Ersatz für ihre Anwaltskosten bekommen sollen als bisher. Zadić hat den Ball an Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) weitergespielt, weil das Kosten in Höhe von hunderten Millionen Euro verursachen würde. Auf die Problematik aufmerksam gemacht haben so unterschiedliche Betroffene wie Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), der für seine Anwaltskosten sogar Spenden sammelte, und der frühere Grünen-Politiker Christoph Chorherr, der nach seinem Freispruch seine Anwaltskosten auf rund 100.000 Euro beziffert hat
  • Verfahrensdauer Ein seit Jahren heftig diskutierter Punkt – wenngleich sich alle Seiten einig sind, dass Ermittlungen schneller abgeschlossen werden sollten. Kritiker behaupten, dass die Justiz in manchen Verfahren zu ausufernd und ineffizient ermittle. Legendär in diesem Zusammenhang ist etwa der Ausspruch des suspendierten Sektionschefs im Justizministerium Christian Pilnacek. Er riet der WKStA in der Causa Eurofighter, einzelne Stränge zu "derschlagen". Aus großen Teilen der Justiz heißt es aber, die Verfahren seien zum Teil auch deshalb so lang, weil die Betroffenen ihre Beschuldigtenrechte ausübten. Dazu kämen komplexe Sachverhalte mit internationalen Tangenten und chronischer Ressourcenmangel.

Die koalitionäre Pattsituation schlägt sich längst in der Realität nieder: ÖVP und Grüne lähmen einander bei der Besetzung der Spitzenjobs des Bundesverwaltungsgerichts und der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB).

Beide Posten sind nach wie vor nur interimistisch besetzt, was nun auch schon für Kritik des Bundespräsidenten sorgt. Lösung: nicht in Sicht. (Renate Graber, Fabian Schmid, 3.6.2023)