Jo Angerer aus Moskau

Nach den jüngsten Angriffen auf Russlands Hauptstadt fragen sich viele, nicht nur in Moskau: Warum konnten mehrere Drohnen, mutmaßlich aus der Ukraine, unbehelligt so weit fliegen? Erst auf Moskauer Gebiet wurden drei Drohnen mittels Störsignalen vom Kurs abgebracht. Und fünf wurden durch das Pantsir-Flugabwehrsystem abgeschossen, das rund um Moskau stationiert ist – drei davon im Nobelviertel Rubljowka, wo viele Reiche sowie Kreml-Chef Wladimir Putin Immobilien besitzen. Russlands Präsident forderte eine Verbesserung der eigenen Flugabwehr: Zwar habe das System ordentlich funktioniert, aber es gebe Handlungsbedarf.

Im Winter wurde das Pantsir-Flugabwehrsystem in und um Moskau getestet – nun kommt es dort tatsächlich zum Einsatz.
Reuters / Alexander Ermochenko

Der Vorfall vergangene Woche war nicht der erste Drohnenangriff auf Moskau: Schon Anfang Mai war eine Mini-Drohne über dem Senatspalast im Moskauer Kreml abgeschossen worden. Die Hintergründe des vereitelten Drohnenangriffes sind ungeklärt. Moskau beschuldigte die Ukraine, Kiew wies dies zurück.

Schon mehrere Vorfälle

Bereits im Dezember 2022 flogen Drohnen der ukrainischen Armee rund 600 Kilometer über russisches Gebiet bis zum Militärflugplatz Engels im Gebiet Saratow. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurden bei den Angriffen drei Soldaten getötet und vier weitere verletzt. Die ukrainischen Drohnen waren demnach uralte Modelle vom Typ TU-141, gebaut noch zu Sowjetzeiten. Später wurden sie zwar modifiziert, sie sind aber nicht vergleichbar mit modernen Geräten.

Wie steht es um die russische Luftabwehr, zumal rund um die Hauptstadt, die besonders geschützt sein müsste? Dort ist das Raketen- und Geschützsystem Pantsir stationiert. Ein modernes Waffensystem – in offen zugänglichen Quellen wird es als "leistungsfähig" beschrieben. Jede Einheit hat zwölf Abwehrraketen und zwei Maschinenkanonen. Die Ziele würden per Zieloptik und per Radar erfasst.

Diesmal hat die russische Luftabwehr alle anfliegenden Drohnen abgefangen. Doch wird das auch in Zukunft so sein? Experten, befragt vom Onlinemedium RBC, haben Zweifel: etwa Verteidigungsexperte Sergej Chatyljow, er war von 2007 bis 2009 Chef der Flugabwehrraketentruppen des Spezialkräftekommandos der russischen Armee.

Zweifel an Effizienz

Seiner Meinung nach ist die Luftabwehr rund um Moskau heute drei- bis viermal kleiner als in den 1990er-Jahren. Damals sei beschlossen worden, die Streitkräfte zu reduzieren, einschließlich der Luftverteidigung. Hauptproblem sei die niedrige Flughöhe von Drohnen, zum Teil weniger als 50 Meter. Darauf müsste sich die Luftabwehr nun einstellen, so Chatyljow: "Wir müssen unbedingt die Zahl der Flugabwehrraketendivisionen und der Radarstationen erhöhen, die Ziele in niedrigen und extrem niedrigen Höhen erkennen können."

Rund um Russlands Hauptstadt wird die Luftverteidigung nun massiv ausgebaut. Im Jänner bemerkten Bewohnerinnen und Bewohner Luftabwehrgeschütze im Zentrum Moskaus: Es handelte sich um die beschriebenen Pantsir-Systeme. Damals wurde eine Übung durchgeführt, heute sind die Luftabwehrraketen aus dem Zentrum Moskaus wieder verschwunden. Im Großraum der Hauptstadt würde sie allerdings seit Jahresbeginn verstärkt, so das Onlinemedium The Insider: Hunderte Hektar Wald würden dafür abgeholzt. Das Verteidigungsministerium kommentierte das nicht.

Russland wappnet sich also gegen Angriffe. Eigentlich sollte die Ukraine nicht direkt auf russisches Staatsgebiet vorstoßen: Diese Zusage hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj seinem US-Amtskollegen Joe Biden gegeben. Jedoch stand die russische Grenzstadt Schebekino am vergangenen Wochenende unter ukrainischem Beschuss, so Wjatscheslaw Gladkow, der Gouverneur der Region Belgorod. In den Dörfern Nowaja Tawolschanka und Besliudowka habe es bei diesen Angriffen auch Tote gegeben. (Jo Angerer, 6.6.2023)