Mit dem Akronym Geas können auf die Schnelle wohl nicht viele etwas anfangen, tatsächlich ist es aber am Donnerstag beim Treffen der EU-Innenministerinnen und -minister in Luxemburg der Hoffnungsschimmer. Denn mit einem Schritt hin zu einem Geas, also einem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem, soll in Sachen EU-Asylpolitik endlich der große Wurf gelingen. 

Die Hoffnung ist einfach erklärt: Einigen sich die EU-Länder endlich auf ein gemeinsames Vorgehen in Asyl- und Migrationsfragen, könnte man den Trend der stetig steigenden Ankunftszahlen in der Union endlich beenden. Neu ist der Ansatz beileibe nicht, seit Jahrzehnten wird schon darüber diskutiert. Im September 2020 hat die EU-Kommission ein umfangreiches Migrations- und Asylpaket präsentiert. Doch aufgrund der Uneinigkeit zwischen den 27 Hauptstädten in Kernfragen ist bislang kaum etwas umgesetzt worden.

Mittelmeer Flüchtlinge Migranten Tunesien
Die tunesische Küstenwache stoppt ein Boot voller Migranten und Flüchtlinge. Zuletzt kamen über das nordafrikanische Land immer mehr Menschen nach Europa.
REUTERS/Jihed Abidellaoui

Nun aber drängt die Zeit. Eine Einigung müsste bis Sommer erzielt sein, um die Maßnahmen rechtzeitig vor den EU-Wahlen im Frühling 2024 durch das Gesetzgebungsverfahren zu bringen. Und so haben sich in den vergangenen Wochen mehrere Initiativen entwickelt, die nun beim Treffen zumindest besprochen und im Idealfall beschlossen werden sollen. 

Ampel strenger als vereinbart

Deutschland etwa forciert in Person von Innenministerin Nancy Faeser die Idee, Asylverfahren zumindest teilweise an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Dies hatte bereits die EU-Kommission in ihrem Paket vorgeschlagen. Berlin geht damit strenger vor als im Koalitionsvertrag der Ampelregierung vereinbart. Es heißt, man wolle damit einen Kompromiss innerhalb der EU ermöglichen. 

Im Detail geht es um eine Zulässigkeitsprüfung an den EU-Außengrenzen. Dabei könnten Asylgesuche aus verschiedenen Gründen ohne Prüfung der Asylgründe abgelehnt werden, etwa weil sie aus Ländern mit geringer Schutzquote oder aus einem als sicher eingestuften Drittstaat kommen. Hierbei wird der Wunsch aus Deutschland laut, Länder wie Marokko, Indien, Algerien oder Georgien als sicher einzustufen. Die geplante Zulässigkeitsprüfung soll aber nicht für unbegleitete Minderjährige und Familien mit Kindern gelten, auch wenn man sich diesbezüglich innerhalb der Ampelkoalition nicht ganz einig zu sein schien.

Eigenen Angaben zufolge hat sich Faeser bereits mit anderen Ländern wie Italien oder Spanien abgestimmt. Bei ihrem Vorhaben bleiben aber einige Fragen offen: Was geschieht mit jenen, die an den EU-Außengrenzen negativ beschieden werden? Die meisten Herkunfts- und Transitstaaten nehmen diese Menschen nicht zurück. So drohen an den Außengrenzen überfüllte Lager, die die betroffenen Länder mit Sicherheit nicht haben wollen. Hierbei ist auch nicht zu vernachlässigen, dass zwei dieser Länder, Griechenland und Spanien, am 25. Juni sowie am 23. Juli Neuwahlen abhalten.

Faire Verteilung gefordert

Die andere offene Frage ist, was mit jenen Asylwerbern geschehen soll, die an den EU-Außengrenzen einen positiven Bescheid erhalten. Im Idealfall werden sie fair auf alle Mitgliedsstaaten verteilt. Entsprechende Initiativen sind in den letzten Jahren krachend gescheitert. Das hält Berlin aber nicht davon ab, erneut einen verbindlichen Solidaritäts- und Verteilmechanismus anzupeilen.

Einen Schritt weiter geht Österreich, das gemeinsam mit Dänemark Asylzentren außerhalb der EU fordert. Diese Idee wird seit Jahrzehnten regelmäßig vorgeschlagen. Just Dänemark schlug schon in den 1980er-Jahren entsprechende Einrichtungen in Drittstaaten unter Kontrolle des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) vor. In den 2000ern waren es unter anderem Großbritannien und Deutschland, die "Lager" in Afrika forderten. 

Mit Beginn der großen Fluchtbewegung nach Europa im Jahr 2015 wurde der Vorschlag in immer kürzer werdenden Abständen propagiert. Nun-doch-nicht-SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil forderte 2016 in seiner Funktion als Verteidigungsminister Asylzentren in Afrika, Sebastian Kurz warb ein Jahr später als Außenminister für Auffanglager in Georgien oder auf dem Westbalkan. 

Konzept der "Ausschiffungsplattformen"

Im Juni 2018 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf einem Gipfel tatsächlich auf einen solchen Plan. Demnach sollten Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer abgefangen und zu "Ausschiffungsplattformen" in Nordafrika gebracht werden. Allerdings, erklärte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos nur Monate später, sei kein Land dort bereit, solche Einrichtungen auf seinem Territorium zuzulassen. Und das wird bei den Überlegungen von europäischen Politikern auch gerne vernachlässigt: dass nahezu alle Drittstaaten überhaupt kein Interesse an – möglicherweise überfüllten – Lagern auf ihrem Territorium haben.

Ganz zu schweigen von der Frage, wie das alles mit menschenrechtlichen Standards vereinbar sein soll. Kritik an derlei Plänen gibt es permanent, zuletzt auch von Volker Türk, dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte. Er verweist auf die Flüchtlingspolitik Australiens, das in diesem Fall gerne als Vorbild hergenommen wird, weil es Migranten auf hoher See abfängt und in Lagern auf kleinen Pazifik-Inseln interniert. Dies, so Türk, sei "eine Politik der Grausamkeit, die Menschenrechte verletzt, das Flüchtlingsrecht verletzt".

Das ändert nichts an dem Wunsch Wiens und Kopenhagens, die EU dazu zu bringen, gemeinsam solche Asylzentren außerhalb des eigenen Territoriums umzusetzen. Dänemark hat bereits bilaterale Gespräche mit Ruanda geführt, diese dann aber Anfang des Jahres gestoppt, in der Hoffnung, dies EU-weit realisieren zu können. 

Britischer Plan stockt

Mit Ruanda hat das Nicht-mehr-EU-Land Großbritannien schon einen entsprechenden Deal abgeschlossen. Im vergangenen Sommer sollten die ersten Migranten von der britischen Insel ins ostafrikanische Land geflogen werden. Allerdings stoppte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Abschiebungen aufgrund rechtlicher Bedenken in letzter Minute. Mittlerweile müssen auch mehrere britische Gerichte darüber befinden, bevor das Abkommen umgesetzt werden kann.

In der Zwischenzeit will die Regierung von Premier Rishi Sunak unerwünschte Migranten auf vor der britischen Küste ankernden Schiffen unterbringen. Ein erster Lastkahn soll bereits vor dem südenglischen Hafen Portland im Einsatz sein. Solch einen Vorschlag wird aber, soweit bekannt, niemand beim Treffen der EU-Innenministerinnen und -minister in die Runde werfen. (Kim Son Hoang, 8.6.2023)