Im Gastblog berichtet Harald Havas von aktuellen Entwicklungen in Sachen "unbekannter anormaler Phänomene".

In den letzten Wochen: das zweite Ufo-Hearing vor dem US-Kongress, die erste öffentliche Sitzung des neuen UAP(unidentified anomalous phenomena)-Forschungsteams der Nasa, neue Fotos, neue Videos von offizieller Quelle und am 5. Juni ein Whistleblower. Und noch immer rauscht es nur sanft im Blätterwald, und der Skeptizismus schlägt nach wie vor hohe Wellen. Nicht nur der Idee gegenüber, dass wir von Außerirdischen besucht werden, sondern auch gegenüber derjenigen, dass es da überhaupt irgendetwas zu erforschen gibt. Ein Update mit philosophischen Überlegungen.

US-Flagge vor dem Kapitol
Vor kurzem fand im US-Kapitol ein Ufo-Hearing statt, doch die größere Sensation ereignete sich abseits davon.
Foto: IMAGO/UPI Photo/PAT BENIC

David Grusch, der Mann, der alles ändert?

David Charles Grusch, 36 Jahre alt, ein hochdekorierter ehemaliger Kampfoffizier in Afghanistan, Veteran der National Geospatial-Intelligence Agency (NGA) und des National Reconnaissance Office (NRO), war von 2019 bis 2021 bei der Unidentified Aerial Phenomena Task Force (UAPTF). Und entdeckte aufgrund seiner geheimdienstlichen Freigaben und vieler persönlicher Kontakte, dass Teile der US-Verwaltung seit Jahrzehnten geborgene Flugobjekte nicht menschlichen Ursprung horten, verstecken und erforschen – und das auch vor hochrangigen Politikern wie dem US-Kongress geheim halten. Rechtswidrig. Dagegen hat der allgemein als untadelig angesehene Offizier eine offizielle Beschwerde vor dem Kongress eingereicht. Das berichten Leslie Kean und Ralph Blumenthal in einem aktuellen Zeitungsartikel. Die beiden waren auch Teil des Teams, das im Jahr 2017 in der "New York Times" erstmals öffentlich gemacht hat, dass die US-Regierung entgegen anderen Behauptungen das Ufo-Phänomen sehr wohl erforscht.

In einem einstündigen Fernsehinterview mit dem eher neuen, aber als seriös geltenden Sender NewsNation, geführt von dem preisgekrönten Investigativjournalisten Ross Coulthart, berichtet David Grusch ausführlich – nach Freigabe höchster militärischer Stellen – über alle Details seiner Entdeckungen. Die Sache ist noch immer Breaking News und in Entwicklung. Was daraus wird, werde ich in einem zukünftigen Blog berichten.

Endlich Langeweile

Am 19. April 2023 fand das zweite UAP-Hearing im amerikanischen Parlament statt. Konkret war es ein obligatorischer Bericht der im vorigen Jahr etablierten UAP-Taskforce vor dem Senate Armed Services Committee. Es wurde live übertragen und dauerte ziemlich genau eine Stunde.

Am 31. Mai 2023 fand das erste Treffen der von der Nasa eingesetzten UAP-Gruppe, bestehend aus 16 Wissenschaftern und Wissenschafterinnen unterschiedlicher Felder, statt. Es wurde live übertragen und dauerte vier Stunden.

Statistik über UAP-Sichtungen.
Übersichtstabelle des All-domain Anomaly Resolution Office zu UAP-Meldungen.
Foto: AARO, Kirkpatrick, US Gov.

Der Großteil dieser insgesamt fünf Stunden offizieller Diskussionen und Verlautbarungen zu einem bis vor kurzem noch komplett tabuisierten Thema war ... langweilig. Aber nicht deshalb, weil es nichts zu sagen gab, es gab durchaus einige hochinteressante Aspekte. Es war über lange Strecken langweilig, weil es sich um akribische, wissenschaftliche Betrachtungen des Themas handelte. Niemand erzählte von Ufo-Entführungen, von brennend abstürzenden außerirdischen Raumschiffen oder plötzlich auftauchenden Geheimpolizisten. Der Leiter der UAP-Taskforce AARO (All-domain Anomaly Resolution Office), Sean M. Kirkpatrick, berichtete vielmehr trocken von bürokratischen Hürden, einerseits finanzieller Natur und andererseits aufgestellt durch andere Regierungsteile, die bisher nur zögerlich und langsam mit seinem Team zusammenarbeiteten. Ähnlich das Nasa-Team, das sich in erster Linie dazu äußerte, dass fast alle zugänglichen Daten sehr dürftig seien und es zu wenige aussagekräftige, nicht als geheim eingestufte Sensordaten gebe.

Wie gesagt, alles etwas langweilig. Aber die gute Art von langweilig! Denn was man hier zu sehen bekam und was gerade passiert – und das ist neu im Bereich der Ufo-Forschung –, ist Wissenschaft bei der Arbeit. Ernsthafte Forscher und Forscherinnen aus verschiedenen Bereichen, die sich einer Aufgabe stellen und Überlegungen dazu anstellen, wie man sie bewältigen könnte. Und genau das ist der Paradigmenwechsel, über den ich bereits seit ein paar Jahren in diesem Blog berichte. Dass es hier noch keine (sensationellen) Ergebnisse gibt, liegt in der Natur der Sache. Wissenschaft dauert. Man muss Geduld haben. Aber der tonnenschwere, träge Zug hat sich endlich in Bewegung gesetzt.

Seltsame Kugeln

Was nicht bedeuten soll, dass die beiden Hearings nicht durchaus Brisantes zu bieten hatten. Insbesondere jenes vor dem Senatsausschuss. Ein guter Teil dieser Brisanz kam allerdings sehr versteckt und nonchalant daher und auch gar nicht vom Leiter der Taskforce, sondern von den fragenden Politikerinnen (kleines i). In ihren Eröffnungsstatements und auch im Zuge der Befragungen stellten diese nämlich mehrfach eindeutig fest, dass es inzwischen klar ist, dass es unbekannte Flugobjekte, nämlich tatsächlich Maschinen und Geräte, mit seltsamen bis unerklärlichen Luftbewegungen gibt, dass ihre Existenz eindeutig bewiesen ist und man sich nun der Frage widmen muss, worum es sich handelt. Mit anderen Worten sagt die US-Regierung offiziell: Ufos sind real. Wir wissen nicht, was sie sind, aber sie sind real.

Ein gutes Beispiel lieferte der AARO-Chef Kirkpatrick selbst mit einem mitgebrachten Video. Allerdings präsentierte er es auf die denkmöglich unaufgeregteste Art. Er zeigte nämlich zwei Videos, um darzulegen, womit es seine Taskforce normalerweise zu tun hat. Eines davon, ein unscharfer Fleck irgendwo am Himmel, hatte dem Team eine Weile Rätsel aufgegeben, sich dann allerdings als Flugzeug in der Ferne entpuppt. Fall abgeschlossen. Das andere zeigt eine mehrere Meter durchmessende, nun ja, Flipperkugel, die offenbar ein paar Dutzend Meter über von US-Truppen besetztem und überwachtem Gebiet im Nahen Osten in einem geraden Kurs dahinflog. Ohne Verminderung der Geschwindigkeit, ohne sich der Gravitation zu beugen und auch völlig ohne ersichtliche Flügel, Rotoren oder sonst irgendeinem Antrieb. Kirkpatrick merkte sehr trocken an, dass sie diese Art von Objekt "dauernd" beobachten würden und man eben noch keinerlei Erklärung dafür hätten. Tatsächlich ist das Video allerdings mehr als verblüffend.

Ebenso unterspielt und brisant waren die statistischen Daten, die der AARO-Leiter vorlegte. Laut diesen handelt es sich tatsächlich bei der Mehrzahl der gesichteten Objekte um kugelförmige Objekte von wenigen Metern Durchmesser, die entweder auch bei starkem Wind oder in großer Höhe stillstehen oder sich mit bis zu zweifacher Schallgeschwindigkeit bewegen (siehe Tabelle). Außerdem gab er bekannt, dass es mehr als 650 Sichtungen gibt, alle aus dem Militär, die derzeit von seinem Forschungsteam untersucht würden. Im Hearing zeigte sich der Leiter auch nicht ohne Humor und antwortete auf die Frage, ob er hinter einigen dieser Beobachtungen militärische Bedrohungen vermuten würde, dass solche nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fielen und er, sobald es sich um etwas Militärisches handeln könnte, dies sofort an andere Stellen der Streitkräfte weitergeben würde. Denn dann würde es sich aus seiner Sicht um "somebody else's problem" handeln. Ein Begriff, den er zweimal mit deutlichem Schmunzeln verwendete.

Freunde gepflegter Science-Fiction erkennen darin natürlich ein "Hitchhiker's Guide through the Galaxy"-Zitat (deutsch "Per Anhalter durch die Galaxis“). In dieser Buchserie sind außerirdische Raumschiffe nämlich mit einem "SEP-Feld" getarnt. Soll heißen, jeder würde Ufos zwar sehen, sie aber automatisch für ein Problem von jemandem anderen ("somebody else's problem") halten und damit aus seinem Bewusstsein verbannen. Nur ein Scherz für Science-Fiction-Insider oder ein wissendes Augenzwinkern in Richtung der gespannt lauschenden Öffentlichkeit? Wer weiß.

Hass im Netz

Die Nasa-Sitzung lieferte ebenfalls Zündstoff. Etwa Berichte über Schikanen und Angriffe, denen die 16 Personen der Wissenschaft ausgesetzt waren, sobald sie ihre Teilnahme an der Forschungsgruppe bekanntgegeben hatten, die sich bis zu persönlichen Bedrohungen steigerten. Von mehreren Personen auf dem Panel wurde betont, dass so etwas inakzeptabel sei und die Vorstellung, dass ein Wissenschafter oder eine Wissenschafterin dafür angegriffen werde, weil er oder sie sich wissenschaftlich mit einem, egal welchem, Thema beschäftige, der Idee der Wissenschaftlichkeit diametral entgegenstehe. So betonte die Gruppe auch, dass sie es als eine ihrer Hauptaufgaben ansehe, das Stigma, das noch immer schwer auf der wissenschaftlichen Beschäftigung mit außergewöhnlichen Phänomenen laste, bekämpfen und womöglich auflösen zu wollen.

Durchgehend betont wurde auch, dass alle Anwesenden die Phänomene für real und bedeutend halten. Weiters kam ein kleines Detail zur Sprache, das oft unter den Tisch fällt: Viele militärische und wissenschaftliche Instrumente würden UAP-Objekte gar nicht wahrnehmen können, weil deren Größe und Verhalten nicht in den Suchparametern und Justierungen der Sensoren vorgesehen seien. Tatsächlich wurden auch die chinesischen Spionageballone Anfang des Jahres nur deshalb entdeckt, weil das US-Militär gerade dabei ist, seine Sensoren auch für das Aufspüren ungewöhnlicher Objekte zu kalibrieren.

Worum es geht

Was mich als Beobachter all dieser Hearings und Aktivitäten am meisten verblüfft, ist, dass die breite Medienlandschaft nach wie vor nur wenig und, wenn, dann sehr verhalten darüber berichtet. Eine Ausnahme bildete vor kurzem DER STANDARD.

Die von mir hier absichtlich hervorgehobenen Details wurden vor allem in den US-Medien oft gar nicht oder nur am Rande berichtet – dafür jedoch andere, abwiegelnde Details prominent hervorgehoben. Wie die Aussage bei beiden Veranstaltungen, dass den Anwesenden bisher "keinerlei Beweise für einen außerirdischen Ursprung von UAPs" vorlägen. No na ned. Es gibt allerdings auch keine Beweise für das Gegenteil, das wurde nämlich ebenfalls betont, und genau deshalb laufen die Forschungen ja. Auch die Tatsache, dass es nach gründlicher Analyse nur sehr wenige Prozent von Fällen gibt, die als anormal einzuordnen wären, laut Kirkpatrick zwei bis fünf Prozent, wird gerne dazu benutzt, alles herunterzuspiele und damit davon abzulenken, dass es eben zwei bis fünf Prozent von Fällen gibt (!), also viele Dutzend, die sich, nachdem die Forschungsgruppen alle alternativen Möglichkeiten peinlich genau überprüft haben, allen unseren Erklärungen standhaft entziehen. Siehe Flipperkugel.

Denn genau darum geht es: um die Erforschung des Unbekannten. Ob es sich am Schluss um bisher unbekannte Wetterphänomene, um unbekannte physikalische Anomalien oder um etwas noch Außergewöhnlicheres handelt, werden wir dann ja sehen. Aber wenn wir die Thematik mit Häme überschütten und gar nicht erst hinschauen – weil offenbar ein Problem anderer Leute –, verschließen wir bewusst die Tür zu potenziell neuen Erkenntnissen. Ohne auch nur versucht zu haben, dahinterzublicken. (Harald Havas, 7.6.2023)