BYD Atto 3 Design
Der Atto 3 soll ein möglichst breites Publikum ansprechen. Für das Design zeichnet Wolfgang Egger verantwortlich, von ihm stamm(t)en zum Beispiel auch Alfa Romeo 8C und Audi R8.
Stockinger

Sind Sie Vertikal- oder Horizontalseher? Die Frage müssen Sie nicht sofort beantworten, es geht auch während der Fahrt. Tesla und die Folgen: Die Muskisten haben damit begonnen, diese riesigen Tablets in ihre Autos einzubauen. Macht inzwischen fast jeder nach, so auch BYD, und damit zur in Österreich neuen China-Marke, zum Atto 3, den wir uns zur Begrüßung gleich einmal testhalber angesehen haben.

Infotainment mit Touch

Über eine Taste links auf dem Lenkrad oder direkt auf dem Touch-Schirm lässt sich das quasi frei schwebende Infotainment-Trumm in Hoch- oder Querstellung bringen, darauf reflektiert die Einstiegsfrage. Und dann gleich VW ID. und die Folgen: Als Hauptinstrument am Volant dient ein kleiner Satellit, wie Volkswagen es mit dem ID.3 eingeführt hat und inzwischen ebenfalls große Verbreitung findet.

Was wir vor uns haben, ist ein Elektro-SUV im Kompaktformat, mit 4,46 m entspricht seine Länge exakt einem Mazda3. Vorweg auch gleich die technischen Daten: Permanentmagnet-Synchronmotor mit 150 kW und 310 Nm Drehmoment, Frontantrieb, Lithium-Eisenphosphat-Batterie (LFP) mit 60,48 kWh Bruttokapazität, unterflur verbaut, Wärmepumpe serienmäßig. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 160 km/h, der Spurt von null auf 100 km/h ist in 7,3 Sekunden absolviert, und das Leergewicht beträgt zwei Komma … – wollte ich schon schreiben, aber siehe da, weit unter der Zweitonnenmarke, eher eine Seltenheit bei Elektroautos: 1750 kg. Geht doch.

BYD Atto 3 Design
Innen wirkt alles aufgeräumt und wertig, aber vielleicht etwas verspielt auf chinesische Art.
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Kleine Lachnummer vorweg

Und damit Schnitt, kleine Gedächtnisnotiz, abgerufen von der zerebralen Festplatte. Meine erste Begegnung mit dieser Automarke (oder war es Dongfeng? Nageln Sie mich nicht fest ...) muss so um 2006, 2007 gewesen sein. Detroit Auto Show, unten im Keller der Haupthalle, wo sich Zulieferer und Bastelbuden tummelten. Wir standen ratlos um dieses damals für China dennoch symptomatische Ding: eine Art Vollkarosserie-Rikscha-Studie mit Benzinmotor, ein Rad vorn, eins hinten, zwei in der Mitte, Grundriss Ellipse mit gekappten Hauptscheiteln, innen vieles aus Bambus. Es durfte gelacht werden. Zählt seitdem zu meiner eisernen Schmunzelration.

Ja, und so schnell kann es gehen, keine 20 Jahre später sitzt du in einem Ding, das alles andere als lachhaft ist, zeigt China seine beeindruckende Lernkurve. Die Europäer, Japaner und Amis haben über die Joint Ventures ihre Hochtechnologie frank-frei dort abgeliefert, um kurzfristig maximal Profit zu lukrieren, alte Weisheit: Die Gier bringt uns um. China sagte freundlich Danke und eilte davon, nämlich in der Batterietechnologie.

Ehrgeiziges Insourcing

Die Mobilitätswende spricht (vor allem) Mandarin, jedenfalls bei der Hauptkomponente, womit wir wieder bei BYD sind, hinter Catl zweitgrößter Akkuhersteller der Welt.

Warum nicht gleich selbst Autos rund um die Batterien bauen? Wo die meisten auf Outsourcing setzen, machen es Koreaner und Chinesen, auch BYD, andersrum: Insourcing lautet das ehrgeizige Motto. Von der Batterie bis zum Chip baut man am besten alles selbst, dann ist man von keiner Lieferkette abhängig. Den Europäern ins Stammbuch geschrieben.

Atto 3 also. In den Notizblock habe ich mir Folgendes gekritzelt: Türunterkanten innen verschmutzen schnell und stark. Keine Lenkradheizung – und hinsichtlich Klimaanlage steht nach zwei Testwochen fest: Wir werden keine Freunde. Heizt und kühlt auch in der Normalstufe so zurückhaltend, dass es einem meist zu kühl oder warm vorkommt.

Grafik: derStandard

Bequem, aber vergesslich

Die Chromkunststoffelemente in der Mittelkonsole blenden, wenn die Frühlingssonne ihr freundliches Licht darauf wirft. Für die ansonsten bequemen Sitze gibt es keine Positionsspeicher, keine Lordoseneinstellung, und die Oberschenkelauflage mag vielen Europäern und weniger Europäerinnen zu kurz vorkommen. Hinten liegen die Oberschenkel nicht auf der Sitzbank auf – ein allgemeines Problem bei unterflur verbauten Batterien. Dafür ist der Boden dort durchgehend plan, drei Gäste bringen ungestört ihre Füße unter.

Die Kopfstützen sind auf die Gattung Smartphonezombie zugeschnitten, Soziologen sprechen von der "gebeugten Generation": Da halten die Leute den Kopf schon von Natur aus so gesenkt, dass die gesetzeskonformen (und aber leider nicht tiefenverstellbaren) Kopfstützen nicht stören. Der Rest, wie stets bei diesen behördlich verordneten Dingern: Termin beim Orthopäden vereinbaren.

Beim Design will der Atto 3 nicht anecken, bestimmt wird er vielen gefallen, der deutsche Chefdesigner Wolfgang Egger ist ein alter Szenestar, der weiß, was er tut. Die verspielten Elemente drinnen sind aber wohl eher am chinesischen Gusto orientiert. Drei rote (danke, Mao!) Bassgitarrensaiten – hätte ich beinahe geschrieben – verleihen den in den Türseitenfächern eingeparkten Utensilien Halt, zupft man sie an, zeigt sich: Die sind nach chinesischer Musikharmonielehre gestimmt.

BYD Atto 3 Design
Chefdesigner Wolfgang Egger überzeugt mit schlichtem Design und verspielten Details.
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Musikalisches Wunder

Dann die Sache mit den Trommeln oder zylindrischen Ghettoblastern. Das Motiv taucht mannigfach auf, bei Türöffnern, Lüftungsdüsen, kleiner beim "Schalthebel" und andernorts. Und nachdem erwähnt ist, dass die Material- und Qualitätsanmutung wenig zu wünschen übrig lässt, da scheppert und knarzt nix, der Kofferraumboden höhenverstellbar ist und der Deckel allerdings mitunter, kabong, kabong, sich während der Fahrt akustisch bemerkbar macht, kurz ein paar Worte zu Fahrkapitel und Bedienkonzept.

Einzige Motorisierung ist die mit 150 kW, der Atto 3 schlägt also bei der Leistung nicht über die Stränge. Das ist ein Auto, das die p. t. Klientel eher betulich bewegen wird. Ruft man aber einmal die Leistung ab, um zum Beispiel zügig zu überholen, merkt man das in der Lenkung, der gute alte Radiergummi lässt grüßen. Frontantrieb, hatten wir schon erwähnt. Ungewöhnlich, weil die meisten Gegner auf Heckantrieb setzen. Wo nicht, wird gerne auch nachträglich umgestellt, wie jüngst beim Polestar 2 geschehen.

Recht komfortabel

Voll geladen zeigte unser Atto 3 stets volle 420 km Reichweite an, jetzt in der Übergangszeit sind auch bei reichlich Autobahnfahrt 300 und mehr realistisch. Testverbrauch? 19,3 kWh / 100 km. Ach ja, zum Ladekapitel kurz ein Wort. Mit 11 kW ist die Batterie in sechseinhalb Stunden auf 100, bei Gleichstrom mit 88 kW in 44 Minuten von zehn auf 80 Prozent, und weil Kernkompetenz, gibt BYD auf den Akku acht Jahre oder 200.000 km Garantie.

Das Fahrwerk wirkt grundsätzlich recht komfortabel, der Wagen rollt sauber ab, in den Kurven merkt man im Vergleich zu vielen anderen E-Autos, dass das nicht sooo ein Massemonster ist. Der Atto 3 lässt sich sogar recht lustig durch die Kurven zirkeln, aber übertreiben wollen wir es dann auch nicht. Die beiden per Wipptaste in der Mittelkonsole anwählbaren Rekuperationsstufen unterscheiden sich nicht signifikant voneinander, beide sind sie moderat, und auch zwischen Sport- und Normalmodus ist die Spreizung gering.

BYD Atto 3 Design
Der Kofferraumboden ist höhenverstellbar.
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Vorschrift ist Vorschrift

Der SUV lenkt sich sauber, allerdings indirekt, speziell beim Parkvorgang darf gekurbelt werden. Was richtig nervt, ist dieses Gesurre im Niedrigtempobereich. Vorschrift, damit Fußgängerinnen, sofern sie keine Stoppeln im Ohr haben (siehe: gebeugte Generation), die leisen Stromer hören. Schon, aber das muss nicht auch drinnen so präsent sein.

Zum Bedienkonzept lässt sich noch nicht viel sagen, weil laufend OTA-Updates reintrudeln, ein großes steht noch jetzt im zweiten Quartal an, um endgültig auch Deutsch als Systemsprache zu hinterlegen, aber an der grundsätzlichen Philosophie wird sich nichts ändern, und die lautet: Touch. Entlockt einem, wie überall, ein Seufzen. Jedenfalls, der Atto 3 ist vernetzt auf Teufel komm raus, eine Grundkaufbedingung für die besagte (weniger für die betagte) Generation, und an Sicherheitsassistenz ist ebenfalls alles da, was es heute so gibt. Akustisch und mit dem Einsatz von "Nah"-Bremsmanövern wirkt der Atto aber mitunter ein wenig übervorsichtig.

Fazit: Der Atto 3 macht seine Sache nicht übel. Er kann sich neben etablierter Konkurrenz sehen lassen, was bestimmt nicht selbstverständlich ist. Andererseits: Geschenkt ist er nicht, der Preis für die Topversion "Design" liegt bei 47.400 Euro. Ob der SUV das Zeug hat, die neue Automarke in Österreich, in Europa, zu etablieren? Die Wettbüros sind geöffnet. (Andreas Stockinger, 7.6.2023)