Im New Yorker Central Park tummeln sich normalerweise so viele Menschen, dass ein Waschbär kaum gemütlich spazieren gehen kann. Während der ersten strengen Lockdowns war das ganz anders.
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Zu Beginn der Corona-Pandemie war ein neues Meme im Trend: Unter dem Titel "Nature is healing" wurde der positive Einfluss der strengen Lockdowns auf Ökosysteme dokumentiert, erst durchaus ernsthaft, später zunehmend ironisch. Weil weniger Menschen unterwegs waren, sah das Wasser in den Kanälen von Venedig klarer aus, Delfine tummelten sich vermehrt an Küsten, und auch an Land verschlug es Wildtiere in Ortschaften und Städte, die diese sonst eher mieden. Wildziegen grasten in Blumenbeeten von Llandudno in Wales, Bären wagten sich in Südtirol weiter in die Täler, Pumas streiften durch die Straßen von Santiago de Chile.

Aus wissenschaftlicher Sicht stellte sich allerdings die Frage, ob es sich dabei nur um anekdotische Beobachtungen handelte. Das beschäftigte auch die Ökologin Marlee Tucker von der niederländischen Radboud-Universität: "Wir wollten wissen: Gibt es dafür Beweise? Oder haben die Menschen einfach besser aufgepasst, wenn sie zu Hause waren?" Wie sie und ihr internationales Team nun im Fachmagazin "Science" berichten, ließ sich tatsächlich ein Trend dokumentieren, der vor allem die Umweltauswirkungen des Autoverkehrs deutlich macht.

Unter Tuckers Leitung wurden die Bewegungsdaten von 2.300 mit GPS-Sendern ausgestatteten Landsäugetieren aus aller Welt ausgewertet. Dabei handelte es sich um 43 verschiedene Arten, von Elefanten und Giraffen bis hin zu Bären und Hirschen. Dann verglichen sie das Verhalten der Tiere in den ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 mit dem Vergleichszeitraum im Jahr davor. Eingeflossen sind auch Daten aus Österreich.

Längere Strecken zurückgelegt

Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter stellten fest, dass die Tiere während der Lockdowns in einem Zeitraum von zehn Tagen bis zu 73 Prozent längere Strecken zurücklegten als im Jahr zuvor, als es keine Restriktionen gab. Weiters bewegten sich die Tiere im Schnitt um 36 Prozent näher an Straßen als im Jahr davor. "Das liegt wahrscheinlich daran, dass diese Straßen während der strengen Lockdowns ruhiger waren", sagt Tucker. Zudem hielten sich während der strengen pandemiebedingten Einschränkungen weniger Menschen im Freien auf, was scheueren Tieren die Möglichkeit gab, neue Gebiete zu erkunden.

Im Gegensatz dazu beobachteten die Forschenden in Regionen mit weniger strengen Regelungen, dass die Tiere kürzere Strecken zurücklegten. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Menschen während der Lockdowns dort verstärkt in die Natur gingen, vermutet das Team. Für Tucker lässt die direkte Reaktion der Tiere auf Veränderungen im menschlichen Verhalten jedenfalls für die Zukunft hoffen. "Im Prinzip bedeutet dies, dass sich eine Anpassung unseres eigenen Verhaltens positiv auf die Tiere auswirken könnte", sagt die Ökologin.

Ausflüge in den Wald

Aus Österreich lieferte Horst Leitner vom Büro für Wildökologie und Forstwirtschaft in Klagenfurt Daten aus zwei Telemetriestudien mit Rotwild – eine in Kärnten im Bereich Gerlitzen und Mirnock im Bezirk Villach und eine in Deutschland im Bereich Ruhpolding (Bayern). Bei diesen Tieren seien ihm diese Unterschiede nicht aufgefallen, betonte Leitner. Der Wert der "Science"-Studie bestehe wohl in der großen Stichprobe: "Wir haben aber von Jägern nicht jagdliche Störungen aufzeichnen lassen, und da ist das Jahr 2020 im Vergleich mit 2021 im Zeitraum von Mai bis Dezember mit einer deutlich erhöhten Frequenz von Erholungsuchenden im Wald hervorgestochen."

Auch Petra Kaczensky vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat Daten vom asiatischen Wildesel (Khulans) aus der Wüste Gobi im Süden der Mongolei für die Studie geliefert. Auch sie hat keine Verhaltensänderungen während der Lockdowns festgestellt. Das sollte angesichts der Wüstenregion wenig überraschend sein. Dort sind weitaus weniger Menschen unterwegs, ihr Einfluss auf die Ökosysteme ist geringer, es zeigte sich also kein "erholender" Effekt. Eine frühere Studie konnte die Auswirkungen der Lockdowns sogar bei Zootieren nachweisen: Anubispaviane fühlten sich während der Besuchspause wohl weniger beobachtet und hatten mehr Sex. (APA, red, 9.6.2023)