Der neue SPÖ-Chef Andreas Babler.
Christian Fischer

Die SPÖ hat in verschiedenen Phasen der Zweiten Republik unterschiedliche Akzente gesetzt. Die Wiederaufbaujahre nach 1945 waren vom (erfolgreichen) Kampf um die Stärkung der Arbeitnehmereinkommen und Arbeitnehmerrechte bestimmt. Mit Bruno Kreisky kam eine massive gesellschaftspolitische Öffnung dazu: Liberalisierung im Familienrecht, Emanzipation der Frau, Fristenlösung, Entkriminalisierung der Homosexualität. Wirtschaftspolitisch dominierte der "Austro-Keynesianismus". Kreisky tätigte damals die legendäre Aussage: "Eine Milliarde Schulden machen mir weniger Sorgen als 100.000 Arbeitslose."

Franz Vranitzky musste das Verstaatlichten-Dogma aufweichen (nach der Fastpleite des Sektors) und den innerparteilichen Widerstand gegen den EU-Beitritt überwinden. Er benannte die Partei von "Sozialistisch" auf "Sozialdemokratisch" um.

Es begann sich aber auch ein Thema aufzubauen, für das die SPÖ noch keine Lösung gefunden hat: die Zuwanderung. Inzwischen haben in Wien rund 40 Prozent, in Österreich rund 24 Prozent der Menschen "Migrationshintergrund". Mit ein Grund, dass scharenweise Arbeiter von der SPÖ zur FPÖ wechselten.

In der SPÖ-Führung existierten zuletzt traditionelle Strömungen neben urbanen, liberalen und lebensstilorientierten "Bobos". Gleichzeitig gab es in den Reihen des SPÖ-Nachwuchses immer eine junge, ziemlich linke Gruppierung, die irgendwie zu den Wurzeln des "Sozialismus" zurückkehren möchte und für die "Marxismus" eine "gute Brille" zur Betrachtung der Welt ist. Mit Andreas Babler rückt sie nun erstmals zur Parteispitze auf, trifft aber auf ersten internen Widerstand, besonders in den westlichen Bundesländern.

Der junge Andreas Babler.
Privat

Umverteilung - Bei der Vermögenssteuer ist Babler im Einklang mit der Mehrheit

Eine Vermögenssteuer sei Bedingung für jede künftige Koalition, sagt Babler. Wie genau soll diese aussehen? Vor allem geht es um eine "progressive Millionär:innensteuer ab einer Million Euro", die "nur die reichsten vier Prozent der Haushalte trifft". Die Steuer wird auf die Substanz erhoben (mit progressiven Steuersätzen je nach Vermögenshöhe), nicht auf den Zuwachs. Ein konkreter Tarif (o,5 bis ein Prozent?) sei "politischer Aushandlungsprozess". Es geht um Nettovermögen (abzüglich Schulden) und einen Freibetrag von einer Million. Bei 1,1 Millionen Nettovermögen und einem Prozent Steuer wären das 1000 Euro pro Jahr. Dazu will Babler eine Erbschaftssteuer (Freibetrag eine Million). Und eine "sozial treffsichere" Schenkungssteuer – de facto eine Immobiliensteuer. Mit ÖVP und Neos ist das kaum zu machen. Aber: Die Österreicher wollen mehrheitlich, dass "die Reichen" zahlen. Zwei Drittel sind laut einer Sora-Befragung für eine Vermögenssteuer, da Einkommen und Vermögen so ungleich verteilt seien.

Arbeitszeitverkürzung - Die Forderung mit den massivsten Auswirkungen, parteiintern umstritten

Die Maßnahme mit den massivsten Auswirkungen auf die Arbeitswelt wäre zweifellos Bablers Forderung nach einer schrittweise einzuführenden Viertagewoche (32 Stunden) bei vollem Lohnausgleich. In seiner Parteitagsrede wies er zu Recht darauf hin, dass die Geschichte der Arbeiterbewegung auch eine der Arbeitszeitverkürzung sei. Mit ÖVP und Neos ist das aber derzeit wohl nicht zu machen. Auch der Salzburger SPÖ-Chef David Egger meinte, das sei angesichts des Arbeitskräftemangels, etwa in der Gastronomie, nicht überall umsetzbar und die Forderung nicht Teil des Parteiprogramms. Grundsätzlich ist aber die Viertagewoche auch außerhalb linker Kreise in Diskussion und wird in irgendeiner Form auf der Agenda bleiben.

Maiaufmarsch der SPÖ: Es ging zuletzt um die Seele der Partei. Beim Wahlparteitag vor einer Woche beeindruckte Babler mit einer fulminanten linken Rede, verlor (scheinbar) gegen Doskozil und war wenig später doch Vorsitzender.
Helena Lea Manhartsberger

Äußeres & Sicherheit - Früher "Antiimperialismus", angesichts der Realität etwas abgeschwächt

Die Haltung lässt sich aus den Äußerungen Bablers und seiner Mitstreiter und Mitstreiterinnen ablesen: früher "Antiimperialismus", zuletzt angesichts der Realität des echten russischen Imperialismus etwas abgeschwächt. Der junge Andi Babler hielt Brandreden gegen das Eingreifen der Nato gegen das serbische Milošević-Regime zur Beendigung der ethnischen Säuberung, die dieses im Kosovo betrieb. Er veranstaltete ein "Tribunal" gegen die Bundesregierung wegen deren Nato-Unterstützung. Der schon etwas gereiftere Andi wollte 2010 das Bundesheer abschaffen und aus der EU austreten. Der reife Babler faselte vor drei Jahren etwas von der EU als "das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat, schlimmer als die Nato". Das ist Unsinn und entspringt einer Mentalität, wie sie in antikapitalistischen Seminaren der Sozialistischen Jugend gelehrt wird. Antiamerikanismus, Anti-EU gehen da einher mit Sowjetnostalgie und Putin-Versteherei. Bablers Mitstreiterin Julia Herr rief 2014 als SJ-Chefin nach der Annexion der Krim dazu auf, "endlich die Sanktionen gegen Russland zu beenden". Beide verurteilen inzwischen die russische Aggression gegen die Ukraine.

Gleichberechtigung - Staatliche Sanktionen gegen ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern

Ein großer Sprung wäre auch Bablers Forderung nach einem Rechtsanspruch auf gleichen Lohn für Männer und Frauen – gekoppelt mit "Lohntransparenz". Heißt das Offenlegung aller Gehälter? Jedenfalls sollen staatliche Stellen prüfen, ob Männer und Frauen in einem Betrieb gleich bezahlt werden. Wenn nicht, sollen Strafzahlungen fällig werden. Alleinerzieherinnen sollen eine staatliche Unterhaltgarantie erhalten. Das soll Koalitionsbedingung werden.

Wohnen - Weitere starke staatliche Eingriffe

Eine Maßnahme gegen die Verteuerung des Wohnens wäre das Verbot "grundlos befristeter Mietverträge" (derzeit gibt es den Trend, private Mietverträge nur auf wenige Jahre zu begrenzen). Eine potenziell dirigistische Maßnahme wäre die "verfassungsmäßige Absicherung" der Flächenwidmung für sozialen Wohnbau. Manche Bundesländer widmen jetzt schon Grundstücke für sozialen Wohnbau. Laut Team Babler könne da eine verfassungsrechtliche Absicherung helfen. Mit Enteignung habe das nichts zu tun.

Migration - "Nicht rechts blinken", Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtern

In der Tonalität unterscheidet sich Babler bei diesem Thema stark von Hans Peter Doskozil oder gar Herbert Kickl: "Europa kann keine Festung werden." Und: "Ich lehne es ab, bei der Migration nach rechts zu blinken." Aber viel Konkretes ist da bisher noch nicht gekommen. Arbeitsmigranten mit langem Aufenthalt sollen, irgendwie, künftig wählen dürfen. Es soll leichter werden, die Staatsbürgerschaft verliehen zu bekommen. Allerdings ließ Babler anklingen, dass das SPÖ- "Migrationskonzept" überarbeitet werden müsse. Konkret sagt er: "Arbeits-und Wirtschaftsmigration muss von der Flucht getrennt werden." Er will keine FPÖ-Themen übernehmen: "Mit rechts blinken macht man nur die Rechten groß."

Andreas "Andi" Babler, aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie (Semperit) in Traiskirchen, trat mit 16 der Sozialistischen Jugend bei.

Demokratie - Innerparteilich entscheidet die Basis. Eine Koalition mit der KPÖ? "Vieles ist denkbar"

Innerparteiliche (Basis-)Demokratie ist für Babler in zweifacher Hinsicht unerlässlich: Künftig soll der oder die Parteivorsitzende durch eine verpflichtende Mitgliederentscheidung bestimmt werden – und auch die Entscheidung für eine Koalition soll einem Mitgliedervotum unterliegen. Damit wären die Parteigremien entmachtet. Eine Koalition mit der FPÖ lehnt er klar ab, ursprünglich auch eine mit der "radikalisierten" ÖVP. Ausnahme: Die ÖVP müsse allerdings "glaubhaft machen", dass sie sich von der FPÖ gelöst habe. Wie steht es mit der KPÖ, sollte diese den Sprung ins Parlament schaffen? "Vieles ist denkbar", sagte Babler zur Krone. Der erfolgreiche Salzburger KPÖ-Spitzenkandidat habe mit einem "klassischen sozialdemokratischen Programm" gewonnen.

Internationaler Vergleich - "Sozialismus plus" als Programm. Und wie hält es Babler nun mit dem Marxismus?

Sehr viel an Bablers Programm ist "Sozialismus plus": klassische sozialstaatliche Programme, erweitert um Sozialausbau wie Grundsicherung für Kinder, Energiegrundsicherung (die ersten 60 Prozent des Normverbrauchs sollen gratis sein), Rechtsanspruch auf hochwertige Pflege usw. Die Rolle des Staates soll (noch) größer werden – und die Rückabwicklung etlicher "Reformen" von Türkis-Blau, etwa: "Unabdingbar ist die Wiederherstellung der demokratischen Arbeitnehmer:innen-Selbstverwaltung in der Österreichischen Gesundheitskassa". Soll heißen: Die Entmachtung der Gewerkschafter und SP-Funktionäre in der Sozialversicherung wird revidiert. Auch der Ansatz von Bablers Klimapolitik ist eher staatlich-dirigistisch: EU-weites Verbot von Privatjets und ein 20-Mrd-Euro-Fonds, um die Dekarbonisierung von Unternehmen zu fördern – plus eine Quote für die Entsiegelung des Bodens. Insgesamt haben Bablers Pläne manche Ähnlichkeit mit den Ideen linker europäischer Politiker wie Labour-Führer Jeremy Corbyn oder dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Er nennt sie aber angesichts ihres Scheiterns nicht als Vorbilder. "Marxist" sei er, wenn es um Analyse gehe, nicht wenn es um Aufhebung des Privateigentums, Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Diktatur des Proletariats gehe. (Hans Rauscher, 10.6.2023)