T. C. Boyle: "Wir zerstören die Umwelt, die wir brauchen. Das macht mich fertig."
dpa-Zentralbild/Britta Pedersen

"Der blaue Himmel lächelt mich an, / Nichts als blauen Himmel sehe ich. / ... Vorbei sind all die traurigen Tage, / Nichts als blauer Himmel von nun an.“ So hieß es in Irving Berlins Blue Skies, einem Hit der 1920er-Jahre, Roaring Twenties in den USA, Jazz-Age, das Land war zur Weltmacht geworden, Optimismus herrschte. "Nie sah ich die Sonne so hell scheinen. / Niemals sah ich, dass die Dinge so gut laufen."

Auch in T. C. Boyles neuem Roman Blue Skies scheint die Sonne ohne Unterlass. Er spielt in der Gegenwart in Kalifornien, vielleicht in einer nahen, erkennbaren Zukunft, und der Titel ist bittere Ironie. In dem dystopischen Staat verdorrt der Boden, Bäume fallen Waldbränden zum Opfer, Häuser brennen nieder, Insekten sterben – wie man es aus den Nachrichten kennt, nur noch heißer, 47 Grad ohne Aussicht auf Abkühlung.

Die Familie Cullen will alles richtig machen, um Schlimmeres zu verhindern, angetrieben durch ihren Sohn Cooper, einen Umweltaktivisten und Insektenforscher. Sie recyceln, leben vegetarisch (abgesehen von Insektenmenüs), sammeln Wasser – aber alles ohne erkennbaren Nutzen. Die Tochter Cat ist zu ihrem Mann nach Florida gezogen und erlebt dort, am anderen Schauplatz im Buch, das Gegenteil: Wasser als Feind. Es regnet beständig, der Meeresspiegel steigt wegen der Gletscherschmelze und bedroht ihr Haus, das zu nah am Meer liegt. Stürme tragen das Ihre dazu bei, dass der Alltag zum Kampf mit den Elementen geworden ist. "Sunshine State", wie man es auf den Nummerntafeln lesen kann, ist nur mehr ein schlechter Witz.

Humor von der schwarzen Sorte

T. C. Boyle,
AP

Nicht Umweltschutz allerdings bewegt Cat, vielmehr der Wunsch, als Influencerin zu reüssieren, unter anderem durch den Kauf einer Tigerpythonschlange. Keine kluge Entscheidung, vielmehr beschleunigt sie den tragischen Verlauf, den der Roman an beiden Küsten des Kontinents nimmt. Ob ehrgeizige Vorsätze oder egoistische Naivität, dem Klimawandel entkommen die (nicht) handelnden Personen nicht. Zwar lässt der Autor die Erzählung am Schluss eine kleine hoffnungsvolle Wendung nehmen – es kommen wenigstens Schmetterlinge wieder in die kalifornischen Sierras zurück –, doch Happy Endings lesen sich anders.

Die fast realistische, nur knapp ins Extreme verdichtete Entwicklung erlebt man nicht zuletzt durch die Gedankenwelt von Cooper, Cat und deren Mutter Ottilie. In ihren inneren Monologen und Assoziationen führt Boyle­ meisterhaft deren Befürchtungen vor und ihre kleinen Triumphe, ihre Wut aufs Wetter und auf Mitmenschen. In postmoderner Manier sind ihre Perspektiven gegenläufig und ergeben ein dissonantes Ganzes, was wohl vor allem die Rat- und Machtlosigkeit der Menschen widerspiegelt, die die globale Erwärmung erleben. Wenn Boyle dem noch ­Humor abgewinnen kann, dann eher einen von der schwarzen Sorte. Bei einem Begräbnis kreisen die Gedanken der Anwesenden bereits um den ersten Drink, doch die Bar "war bis nach der Zeremonie geschlossen, und das war eine Tragödie, eine echte Tragödie in der Tragödie".

Blue Skies ist nicht Boyles erstes Buch über den Kampf der Menschen gegen die Fährnisse der Natur, über die mehr oder weniger ­erfolglosen Versuche, Tier- und Pflanzenwelt zu dominieren. Seit Wassermusik (im Original 1982 erschienen) kreist die Mehrzahl seiner Romane und Kurzgeschichten um diese Auseinandersetzungen. Damals war die Klimakrise noch kein Thema, doch seitdem der Autor in Kalifornien lebt, erlebt er die Pro­blematik mit wachsender Dringlichkeit vor seiner Tür in Montecito bei Santa Barbara am Pazifik.

In Wenn das Schlachten vorbei ist schilderte er, faktenbasiert, den Streit um den besten Tier- und Umweltschutz auf einer Santa Barbara vorgelagerten Inselgruppe. Auch Ein Freund der Erde handelt von radikalen Umweltaktivisten, die in die ökologische Abwärtsspirale eingreifen wollen. Der Roman spielt zu einem Teil um 1990, zum anderen wagt Boyle einen literarischen Vorgriff auf das, was für ihn, als er das Buch schrieb, ferne Zukunft war: auf das Jahr 2025, in dem die Biosphäre bereits kollabiert ist.

Allgegenwärtiger Alkohol

Nun sind wir mit Blue Skies in dieser Zukunft angekommen, und Boyle sieht sich bestätigt. "Die meteorologische Katastrophe ist eingetreten", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD, "und sie betrifft nicht mehr nur radikale Aktivisten, sondern normale Familien wie die Cullens." Zwar ist Kalifornien nicht wie prognostiziert von Dauerregen bedroht, sondern vom Gegenteil, dafür hat nun – Ironie der Geschichte – Florida den Part der Sintflut übernommen. Auf diesen Schauplatz hätten ihn die alarmierenden Botschaften eines Freundes gebracht, "und ich bin dann hingeflogen und habe recherchiert und zum Beispiel gesehen, dass manche Bewohner tatsächlich bereits Boote benutzen, wo sie früher mit dem Auto fahren konnten, weil die Straßen überflutet sind".

Manches hat er in seinem neuen Roman übertrieben. So ist zum Beispiel der plötzliche Tod aller Insekten in Kalifornien praktisch über Nacht eine Erfindung, "aber ich habe mich auf Untersuchungen des Entomologischen Vereins Krefeld berufen, über die ich gelesen hatte und die vor den Konsequenzen eines solchen Massensterbens warnen". Er habe diese Warnung nur verdichtet. "Ich meine: Was ist, wenn die Basis der Nahrungskette wegfällt? Was werden wir essen?"

Wut und Ohnmacht

Die Figuren des Romans sind wütend über die Zustände, sie beschuldigen ihre Mitmenschen und ominöse Mächte; einmal bloß werden Roundup und weitere Insektizide und Pestizide erwähnt (und nur im Original – sind sie bei uns zu wenig bekannt?), nie jedoch wirtschaftliche oder politische Faktoren. "Das wäre ein anderes Buch", sagt Boyle, in diesem habe er sich nicht mit Politik beschäftigt, sehr wohl hingegen in einer Kurzgeschichte, die im Juli im US-Magazin Esquire erscheinen soll.

Hier gehe es ihm darum, wie die Menschen die Probleme sehen, er überlasse es den Lesern zu entscheiden, wer recht hat: "Für ihren Bruder ist Cat mit ihrer Schlange einfach eine verantwortungslose Verrückte, die mithilft, den Planeten zu zerstören." Boyle spielt damit auf die Vernichtung der Säugetiere in den Everglades von Florida durch entkommene Pythons an. "Aber andererseits kann man sich in die Situation von Cat hineinversetzen, die immer alles richtig machen will, aber als Alkoholikerin in immer größere Schwierigkeiten gerät."

Alkohol ist in Blue Skies fast mehr noch als in Boyles anderen Büchern allgegenwärtig. Kein Zufall, sagt er, er stamme von vielen Generationen von Alkoholikern ab und sei dem Fluch nur dank der Arbeit entkommen, "meiner Droge", wie er stets betont. Eigentlich, ist er überzeugt, seien alle Schriftsteller irgendwie süchtig. In allen seinen Arbeiten suche er nach Antworten auf die Frage, wie wir unseren Umgang mit der Natur gestalten sollen. "Wir leben auf diesem seltsamen Planeten. Wir erfinden Religionen, Wissenschaft, Ethik. Aber es gibt auf nichts eine Antwort. Wir zerstören die Umwelt, die wir brauchen, um zu überleben. Das macht mich fertig." (Michael Freund, 11.6.2023)