Eine Demo in München gegen den deutschen Tourauftakt Rammsteins am 7. Juni.
EPA/ANNA SZILAGYI

"Die Spermakanone blieb dann diesmal doch im Depot", berichtet der "Spiegel" vom Rammstein-Konzert und deutschen Tourauftakt in München am 7. Juni. Der Artikel schildert das Paradox zwischen Feierlaune und Verunsicherung bei den Fans. In der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) ist zu lesen, dass Alena Makeeva, die Anfang der Woche gefeuerte Mitarbeiterin des Frontmanns Till Lindemann, deren Aufgabe die Kontaktaufnahme mit attraktiven, jungen Frauen gewesen sei, nun doch auf dem Konzert in München gesichtet wurde. Zwar gab es keine "Row Zero", doch eine Aftershowparty ließ sich die Band nicht nehmen. 

Hinsichtlich der Vorwürfe der systematischen Zuführung von Frauen für Sexualkontakte mit Frontsänger Lindemann und des mutmaßlichen Einsatzes von K.-o.-Tropfen habe bislang nur die Irin Shelby Lynn in Litauen Anzeige erstattet, wie die "SZ" berichtet. In Deutschland oder Österreich seien keine Anzeigen erstattet worden.

Weitere Vorwürfe, teils unter Eid

Der "Spiegel" sammelt unterdessen bereits publike und neue Stimmen zum Thema, die die Erzählungen von Frauen wie Shelby Lynn und der Influencerin Kayla Shyx stützen. Von den "rund zwei Dutzend Personen", mit denen der "Spiegel" gesprochen habe, stammten auch einige "aus dem engeren Arbeitsumfeld von Rammstein. Darunter sind viele Frauen, die von ihren eigenen Erfahrungen mit der Band und vor allem mit Till Lindemann berichten." Viele hätten Videos und Chatnachrichten als Belege, manche hätten eidesstattliche Erklärungen unterzeichnet, was bedeutet, dass sie sich vor Gericht strafbar machen würden, wenn sie gelogen hätten.

Kayla Shyx' Erzählung von einer systematischen Rekrutierung junger Frauen für Sänger Till Lindemann stützt etwa Sophie W., die mit ihrem echten Namen an die Öffentlichkeit getreten ist. Der Grund: "Ich möchte dazu beitragen, dass man den Mädchen glaubt." Von Ende 2018 bis Anfang 2020 war sie Teil des inneren Kreises von Rammstein, da ihr damaliger Freund für Rammstein und Lindemanns Soloprojekt arbeitete. Sie hatte nicht nur Zugang zu Bandmitgliedern, sondern auch zu fast allen abgesperrten Bereichen bei den Konzerten.

"W. sagt, dass sich bei jeder Rammstein-Show unter dem Bühnenboden ein Ort befinde, der nur von hinter der Bühne aus zu sehen sei. Ein Kon­strukt aus Metallstangen, das mit Planen abgehängt sei, sodass auch Crewmitglieder nicht sehen könnten, was darin passiere. Von ihrem damaligen Freund hörte W., dass dort Till Lindemann vor oder während der Show – in kurzen Pausen, etwa während des DJ-Breaks – mit jungen Frauen von der Pre-Party Sex habe. Von mindestens einem dieser Zusammentreffen gibt es offenbar Videoaufnahmen, die Lindemann während seiner Tour mit dem Soloprojekt 'Lindemann' verrückterweise als Teil seiner Bühnenshow gezeigt hat", berichtet der "Spiegel". Laut Informationen, die dem STANDARD vorliegen, könnte es sich dabei um Aufnahmen handeln, die 2019 im Wiener Ernst-Happel-Stadion während eines Konzerts entstanden sind.

Band habe Bescheid gewusst

Die Frauen, die für Lindemanns private Aftershowparty ausgewählt worden seien, seien von den Band- und Crewmitgliedern als  "Schlampenparade" bezeichnet worden: "Die Frauen, die nicht ausgewählt wurden, blieben danach auf der regulären Party und könnten von Mitarbeitern der Crew angemacht werden, 'Resteficken' heiße das intern."

International hat der Fall erste Reaktionen ausgelöst. Die kanadische Radiostation iHeart-Radio berichtete von dem Festival d'été de Québec (FEQ), das 2010 von der Band aufgefordert worden sei, junge Mädchen zu rekrutieren, was es abgelehnt habe. Indes habe niemand 2010 und 2016, als Rammstein erneut auf dem Festival auftrat, etwas zur Anzeige gebracht.

Olaf Scholz verfolgt die Debatte intensiv

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfolgt die Debatte "intensiv", wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag bei einer Pressekonferenz auf Nachfrage sagte. Er sprach von Vorwürfen, "die aufgeklärt gehören". Auf weitere Nachfrage, ob Scholz Veränderungen in der Musikbranche für nötig halte, sagte der Sprecher, die Debatte darüber sei in der Branche zu führen.

In der Schweiz wurden zugleich Rufe nach einer Absage der Rammstein-Konzerte im Berner Stade de Suisse am 17. und 18. Juni laut. Entsprechende Forderungen kamen etwa von der Juso Schweiz, vom feministischen Streikkollektiv und von SP-Kantonsrat und Polizeigewerkschafter Patrick Portmann. Der Veranstalter der Konzerte in der Schweiz, Gadget abc, verwies darauf, dass bisher weder der Band noch einem Bandmitglied strafbare Handlungen nachgewiesen worden seien. Vor diesem Hintergrund gebe es juristisch gegenüber Vertragspartnern keine Basis für eine Konzertabsage.

Die Vorwürfe wurden von der Anwaltskanzlei Till Lindemanns zurückgewiesen. Es gilt die Unschuldsvermutung. (red, APA, 9.6.2023)