Der Padre und der Heimkehrer Felice in "Nostalgia"
Mario Spada/Picomedia – Mad Entertainment – Medusa Film –Rosebud Entertainment Pictures

Nostalgie ist ein – nicht nur – italienischer Volkssport. Aber gerade der Gedanke an Italien ist für viele rosarot verschleiert mit einem Dolce-Vita-Nebel aus Stil, Vino, Pasta und Canzone. Kitsch eben, der sich, obwohl das italienische Kino mit dem Neorealismus und seinem Genrekino gegensteuerte, zäh hält.

Vielleicht liegt das an Regisseuren wie Paolo Sorrentino, der die Stiefelmetropole Neapel in Die Hand Gottes zuletzt in ein jugendlich-verklärtes Goldlicht tauchte. Ganz anders war da Matteo Garrones Mafiafilm Gomorrha (2008). Er stattete die Mafia nicht, wie es die Italoamerikaner gerne tun, mit unwiderstehlicher Coolness aus, sondern zeigte die Niedertracht des organisierten Verbrechens und den verheerenden Einfluss, den dieses auf die Südmetropole hat.

Emigration, einmal andersherum

Etwa dazwischen liegt nun Mario Martones italienischer Oscarkandidat von 2023, Nostalgia. Es geht um Felice (galant: Pierfrancesco Favino), den Glücklichen. Weil er als Jugendlicher seine Heimatstadt in Richtung Afrika verließ (schön, hier eine südwärts gerichtete Emigration zu sehen), hat er sich ein Leben als Bauunternehmer aufbauen können, dem es an nichts fehlt: In Kairo lebt er mit seiner Frau, einer Ärztin, zusammen und ist sogar zum Islam konvertiert. Das fällt Padre Luigi (Francesco Di Leva) sogleich auf. Weder bekreuzigte sich Felice bei der Beerdigung seiner Mutter, noch trinkt er Wein. Eine Sitte, die in Süditalien auf Misstrauen stößt.

NOSTALGIA Trailer German Deutsch (2023) Exklusiv
Nach 40 Jahren kehrt Felice in seine Heimatstadt Neapel zurück
KinoCheck Indie

Der Priester ist ein Militanter. Er schmettert politische Reden, sein Feind ist der Kriminelle Mommollo alias Oreste Spasiano (Tommaso Ragno). Der habe kein Herz und sei ein Irrer, der seine "Kindersoldaten" gegeneinander aufhetze.

Verklärte Perspektive

Tatsächlich ist die Stimmung in Felices Viertel gedrückt. Zu Filmbeginn, als Felice sich liebevoll um seine sterbende Mutter kümmert, wird er Zeuge davon, wie Mopedrowdys um sich schießend durch die Gassen rasen. Das schockiert, es weckt aber auch Erinnerungen an die eigene Jugend, als er mit seinem besten Freund – eben jenem Oreste – durch die Gassen preschte und Überfälle verübte.

Verklärt ist das Vergangene nur aus der Perspektive Felices, dessen Erinnerungen im Super-8-Look und mit Tangerine Dream-Sound in Szene gesetzt werden. Der Film zeigt indes einen über Generationen wirkenden Zirkel aus dumpfer Gewalt. Felice versucht zwar, diesen zu brechen, doch seine mit Hoffnung gepaarte Nostalgie erweist sich als naiv.

Mit seiner klaren, fast dokumentarischen Bildsprache und seinem starken Soundtrack, der atmosphärisch zwischen 60s- und Arab-Pop, Klassik und Synth-Jazz vermittelt, ist Nostalgia eine wirkungsvolle Absage an die Sentimentalität eines Heimkehrers. (Valerie Dirk, 10.6.2023) Im Kino