Im Eissalon Tichy auf dem Reumannplatz in Wien-Favoriten, der unter anderem für seine Eismarillenknödel bekannt ist, kommt eine neue Generation ans Ruder. Juniorchefin Xenia Tichy übernimmt nach und nach von ihrem Vater Kurt, der den Betrieb jahrzehntelang geführt hat. Ein Gespräch über Inflation, Fallstricke für Traditionsbetriebe – und warum das Eisgeschäft trotz allem einigermaßen krisenfest ist.

STANDARD: Frau Tichy, ist Ihr privates Tiefkühlfach vollgeräumt mit Tichy-Eis, oder essen Sie es einfach hier im Lokal?

Tichy: Ich bin so viele Stunden hier, dass ich es hier esse; da muss ich wenigstens nicht weit gehen.

STANDARD: Ihre Lieblingssorte?

Tichy: Erdbeer, ein Klassiker.

Tichy, Eis, Xenia Tichy
Das Sixties-Ambiente soll erhalten bleiben: Xenia Tichy übernimmt den Eissalon in Favoriten – in dritter Generation.
Christian Fischer, STANDARD

STANDARD: Sie führen den Eissalon in dritter Generation, nach Ihrem Vater und Großvater. Was wollen Sie anders machen?

Tichy: Das kann ich nicht genau sagen. Ich habe natürlich viele Ideen. Aber es ist ein riesiger Betrieb, viele Mitarbeiter, eine lange Geschichte. Da muss man erst einmal hineinfinden und das Ganze richtig verstehen. Natürlich wollen wir mehr in Richtung Nachhaltigkeit gehen. Das Marketing soll sich ändern, auch der Web-Aufritt. Es wird auch die eine oder andere Umbaumaßnahme geben, von denen die Kunden nichts mitbekommen werden. Wir kriegen zum Beispiel ein neues Lager hier im Haus.

STANDARD: An der bekannten Sixties-Optik im Lokal ändert sich nichts?

Tichy: Wir haben überlegt, ob wir modernisieren sollen. Aber das Feedback der Kunden ist: Das ist schön, das kenne ich noch aus meiner Kindheit. Ich glaube nicht, dass ich die Optik ändern werde. Höchstens wird da und dort etwas hinzukommen.

STANDARD: Beim Tichy schwingt Tradition mit, geschmacklich wie in Fragen der Präsentation. Ist das auch ein Stück weit Bürde? Traut man sich dann überhaupt heran an Umwälzungen?

Tichy: Es braucht einen gewissen Mittelweg. Klassiker wie die Eismarillenknödel möchte ich nicht verändern. Die kommen derart gut an, da besteht schlicht kein Bedarf an einer Neuerung. Ich werde versuchen, vielleicht auch mal mit etwas Neuem zu begeistern, ohne das Alte wegzulassen.

STANDARD: Die Eismarillenknödel sind seit Jahrzehnten populär und fast schon ein Stück Kulturgut. Lässt sich so etwas überhaupt noch entwickeln, oder sind die Geschmäcker heutzutage zu schnelllebig dafür?

Tichy: So etwas wie die Eismarillenknödel entsteht durch Zufall. Mein Großvater hat damals unterschiedliche Erfindungen gehabt; es ließ sich kaum vorhersagen, welches Produkt bei der Masse besser ankommen werde und welches weniger gut. Die Eismarillenknödel waren nur ein Versuch von vielen. Mit ebenjenen sind wir berühmt geworden. Ich denke, so etwas kann auch in der heutigen Zeit noch gelingen. Aber es ist schwer voraussehbar, was es sein könnte. Der Moment muss stimmen. Man kann nur probieren.

Eissalon Tichy, Xenia Tichy
Die Eismarillenknödel wurden fast Kulturgut – das Steinzeit-Eis hingegen scheiterte.
Christian Fischer, STANDARD

STANDARD: Welche Produkte aus dem Hause Tichy sind gescheitert?

Tichy: Da war zum Beispiel das Steinzeit-Eis. Daran hat ebenfalls mein Großvater gearbeitet. Es war ein Crushed Ice, über das Fruchtsaft geleert wurde.

STANDARD: Damit war er seiner Zeit voraus. In den Neunziger- und Nullerjahren gab es dann eigene Lokale, die auf Crushed Ice spezialisiert waren.

Tichy: Ja – heute würde das wahrscheinlich gut ankommen. Aber damals bestand das Problem, dass die Leute von uns das cremige Eis kannten. Die Neuerung wurde auch schlecht kommuniziert. Wir hatten letztlich viele Beschwerden; die Kunden hielten das Eis für kaputt und auskristallisiert. Man muss mit Produkten den Zeitgeist treffen; das ist in diesem Fall nicht gelungen.

STANDARD: Es gibt in der Eisbranche neue Trends, kalorienreduziertes Eis etwa oder veganes. Neue Salons, die sich auf solche Dinge spezialisiert haben, sind im Wiener Straßenbild durchaus prominent vertreten. Sie hingegen sind bekannt für klassisches, gehaltvolles Eis. Haben Sie Sorge, dass Ihnen neue Akteure ohne lange Historie den Rang ablaufen könnten?

Tichy: In Wien gibt es eine wahnsinnig hohe Eissalondichte. Wien ist eine der Städte mit den meisten Eissalons überhaupt. Aber mir macht das keine Sorge. Jeder hat sein Spezialgebiet, und das ist auch gut so. Jemand, der auf die Ernährung achtet und ein veganes Eis bevorzugt, wird eher nicht zu uns kommen – aber es ist genug Platz für alle da.

STANDARD: Aber kann man sich solchen Entwicklungen völlig entziehen?

Tichy: Manchen schon – es gibt Trends, die einige Jahre halten, ehe sie wieder verschwinden. Andere Entwicklungen hingegen bleiben dauerhaft im Fokus; auf die muss man dann zugehen. Ich glaube beispielsweise, dass veganes Eis langfristig bleiben wird. Aus diesem Grund schildern wir unsere Fruchteissorten, die aufgrund ihrer Rezeptur immer schon vegan waren, jetzt extra als vegan aus. Aber man muss nicht bei allem mitmachen. Regenbogengefärbtes Eis beispielsweise – solche Sachen kommen und gehen.

Tichy, Eissalon Xenia Tichy
"Man muss nicht bei allem mitmachen", sagt Xenia Tichy über diverse Eistrends.
Christian Fischer, STANDARD

STANDARD: Gehen Sie privat in andere Eissalons?

Tichy: Ja, schon ...

STANDARD: ... und sind das dann eher Erkundungstouren oder entspanntes Eisessen?

Tichy: Ich kann schon entspannt Eis essen gehen. Aber natürlich ist man neugierig darauf, was die Kollegen so kreieren.

STANDARD: Wie wird der Eissalon Tichy in zehn Jahren aussehen?

Tichy: Da bin ich selbst gespannt darauf. Wir leben in sehr turbulenten Zeiten, mit einer Krise nach der anderen. Ich bin selbstbewusst genug zu sagen, dass wir in zehn Jahren immer noch da sein werden. Andererseits – so ehrlich muss ich sein – werden in den kommenden Jahren keine größeren Umbauarbeiten und Investitionen erfolgen. Wir sind immerhin gerade erst aus der Krise herausgekommen und können uns glücklich schätzen, dass wir das als Unternehmen bewältigt haben. Vor allem die Corona-Lockdowns haben uns zugesetzt, und derzeit auch die Teuerungsfrage.

STANDARD: Eismarillenknödel sind deutlich teurer geworden. Ein Stück kostet in dieser Saison 2,80 Euro; bisher waren es 2,40 Euro. Die Inflation bei den Knödeln liegt demnach bei 17 Prozent, deutlich über der gesamten Inflationsrate. Gerade dem Gastrosektor wird gern vorgeworfen, die Inflation anzutreiben. Wie kommt es zu diesen Preissprüngen?

Tichy: Ein Problem ist, dass die Rohstoffe teurer werden. Unsere Hauptbestandteile sind Milcherzeugnisse, die um ein Drittel gestiegen sind. Noch stärker auf den Preis wirkt sich aus, dass der Strompreis in die Höhe geschossen ist. Sie müssen bedenken, dass bei uns alles gekühlt werden muss: Wir haben vier große Tiefkühlhäuser, unzählige Gefrierschränke, Eismaschinen mit Starkstrom und Schockzellen, die innerhalb weniger Sekunden das Eis auf minus dreißig Grad hinunterkühlen. Strom ist bei uns um das Siebenfache teurer geworden.

STANDARD: Der Tichy ist ein Lokal, das von allen Schichten besucht wird. Geben die Leute wegen der Inflation weniger Geld aus?

Tichy: Gott sei Dank ist man als Eissalon davon weniger betroffen. Denn ein Eis ist so etwas wie ein kleiner Luxus. Mein Großvater hat schon immer gesagt: Ein Eissalon ist krisensicher, weil die paar – damals noch – Schilling hat jeder. Man gönnt sich vielleicht keinen Urlaub, aber ein kleines Eis geht sich aus. Trotzdem fällt mir auf, dass Großeinkäufer, die mit der Kühltruhe kommen, weniger werden.

Tichy, Eissalon, Xenia Tichy
"Man gönnt sich vielleicht keinen Urlaub, aber ein kleines Eis geht sich aus."
Christian Fischer, STANDARD

STANDARD: Sind diese Großeinkäufer Privatpersonen?

Tichy: Ja, genau. Am Ende der Saison kommen ein paar Kunden – eben immer weniger – mit ihrer Kühltruhe auf Rollen daher und sagen: "Räumts die voll!"

STANDARD:Das nächste Problem für die Gastronomie ist der Personalmangel. Sie beschäftigen 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Finden Sie genug?

Tichy: Wir haben eine Stammmannschaft, die ungefähr 80 Prozent der Belegschaft ausmacht. Die kommen in jeder Saison, die sieben Monate lange dauert, aufs Neue. Mitunter machen sie das seit 30 Jahren. Mit diesen Leuten haben wir großes Glück. Es gibt daneben aber auch die klassischen Saisonarbeiter, oft junge Menschen, die nicht regelmäßig wiederkommen, sondern sich das Ganze eine oder zwei Saisonen lang anschauen. Ihnen geht es häufig um die Experience. Bei dieser Gruppe merken wir schon deutlich, dass es schwieriger wird.

STANDARD: Woher kommen Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

Tichy: Ganz bunt durchmischt. Viele kommen aus den Bundesländern, vor allem aus dem Burgenland haben wir viele Angestellte. Viele stammen auch aus dem EU-Ausland, Slowenien etwa, Deutschland, Ungarn. Ein Mitarbeiter, dessen Ursprung am weitesten entfernt liegt, stammt aus Nigeria. Hier sind alle Kulturen vertreten. Manchen Mitarbeitern stellen wir Personalwohnungen hier im Haus zur Verfügung; außerdem helfen wir bei Behördengängen, etwa wenn Übersetzungen anstehen.

STANDARD: Manche Gastrolokale leiden derart unter dem Personalmangel in Küche und Service, dass sie sogar zwei Stunden früher als bisher zusperren oder einen zusätzlichen Schließtag einlegen. Diese Gefahr droht Ihnen also nicht?

Tichy: So weit sind wir glücklicherweise längst nicht. Manchmal, wenn zum Beispiel viele Krankenstände auftreten, kommt es schon vor, dass meine Eltern oder ich mit anpacken. Aber das gehört dazu. (Joseph Gepp, 10.6.2023)