China, Studenten, Studierende, Jugendarbeitslosigkeit, Universität
Vor allem chinesische Studierende haben es derzeit schwer, einen Job zu finden.
EPA/Zhang Tao

Dieses Woche jährte sich das große Schweigen zum 34. Mal. Am 4. Juni 1989 ließ die chinesische Armee Panzer gegen Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens auffahren. Tausende starben, und seitdem hängt eine Mauer aus Schweigen und Zensur über dem Massaker. Selbst Zahlenkombinationen, die "4" und "6" enthalten, werden von dem Zensurapparat gefiltert. Die Demokratie-Bewegung gilt seitdem als tot. Materieller Wohlstand und Aufstiegschancen sollen das Volk zum Schweigen animieren.

Dass nun ausgerechnet die Arbeitslosigkeit unter den 16- bis 24-jährigen Chinesen, und insbesondere den Studenten, ansteigt, dürfte einigen Politikern Kopfzerbrechen bereiten. Die Regierung hat jetzt eine "100-Tage-Kampagne" gestartet, mit der junge Leute in Lohn und Brot gebracht werden sollen.

In diesem April waren zum ersten Mal mehr als 20 Prozent der jungen Chinesen zwischen 16 und 24 Jahren arbeitslos. Und obwohl die allgemeine Arbeitslosigkeit in China mit fünf Prozent sogar im Vergleich zum Vorjahr gefallen ist, dürfte die Jugendarbeitslosigkeit weiter zunehmen: 11,6 Millionen Menschen meldeten sich dieses Jahr für das "GaoKao" an, wie die chinesische Matura heißt – knapp eine Million mehr als noch vor einem Jahr.

Lockdowns und Spannungen mit dem Westen

Ein Grund für die ansteigende Jugendarbeitslosigkeit dürfte in den Lockdowns während der Corona-Pandemie liegen: Viele Studenten zogen es in den vergangenen Jahren vor, ihr Studium zu verlängern, anstatt sich um Jobs zu bewerben. Hinzu dürften die überzogenen Erwartungen an das "Re-Opening" der chinesischen Wirtschaft kommen: Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt wächst zwar wieder, aber eben nicht so rapide wie in alten Zeiten. Die Immobilienkrise, Überschuldung und geopolitische Spannungen mit den USA dämpfen das Wachstum. Es kommt aktuell also zu einer Art "Flaschenhals" auf dem Arbeitsmarkt.

Dabei galt China lange als Arbeitsmarkt, in dem die Mitarbeiter hochumkämpft und die Fluktuation entsprechend hoch war. Dass Arbeitnehmer nach wenigen Monaten die Firma wechseln, weil die Konkurrenz etwas mehr zahlt, galt gerade ausländischen Unternehmen als Faktor, mit dem man zurechtkommen muss. Diese klagten regelmäßig über die verwöhnten Arbeitskräfte, die für ein paar Yuan mehr zu Konkurrenz wechseln, oder sich nach einem Heimaturlaub dafür entscheiden, eine längere Auszeit zu nehmen: "Nach dem Frühlingsfest kommt im Schnitt nur die Hälfte der Mitarbeiter wieder zurück", hieß es noch vor wenigen Jahren bei Mittelständlern in Taicang, nahe Shanghai.

Arbeiterinnen und Arbeiter gefragter

Eine Besonderheit des chinesischen Arbeitsmarktes ist es eben auch, dass Niedrig-Qualifizierte bessere Chancen auf eine Anstellung haben als Universitätsabsolventen. Während erstere als fleißig und flexibel gelten, ziehen zahlreiche Hoch-Qualifizierte Berufe mit vermeintlich hoher Sicherheit vor. Knapp die Hälfte aller Berufsanfänger möchte am liebsten bei einem Staatsunternehmen arbeiten – Tendenz steigend. Xi Jinping hatte dies kürzlich direkt angesprochen. Die kommunistische Jugend solle sich nicht zu fein für körperliche Arbeit sein und wieder "Bitterkeit essen" – ein Anklang an die Kulturrevolution in den 1970er Jahren, als zahlreiche Stadtbewohner auf das Land verschickt wurden, unter anderen Xis Vater selbst.

Eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche also soll die arbeitslosen Studenten bei Laune halten. Den Rest hat der gigantische Zensurapparat, der nach 1989 aufgebaut wurde, fest im Griff. Kritik an der Führung kommt kaum vor, und Straßenproteste, wie sie zuletzt Ende vergangenen Jahres gegen die Zero-Covid-Politik geschahen, werden nach kürzester Zeit unterbunden.

Langfristig aber dürfte sich das Problem ohnehin demografisch erledigen: Der kontrollwütigen kommunistischen Partei Chinas ist seit einigen Jahren mehr als klar, dass die in den 1980er-Jahren eingeführte Ein-Kind-Politik mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat. Der Staat hat umgeschwenkt: Seit 2016 gibt es in manchen Städten sogar Prämien für Paare, die sich für ein drittes Kind entscheiden. Trotzdem lässt die Reproduktionsfreudigkeit der Chinesen aus Sicht der Partei zu wünschen übrig. China schrumpft – und damit auch die die Anzahl an Arbeitslosen. (Philipp Mattheis, 11.6.2023)