Bei vielen anderen Unternehmen wäre es eine fast schon verblüffende Nachricht, bei Twitter in der Elon-Musk-Ära passt das Folgende aber gut ins Bild. Jenes Unternehmen, das in den vergangenen Monaten durch allerlei umstrittene Entscheidungen die Hälfte seiner Werbeeinnahmen verloren hat, versucht sich nun daran, auch noch einen seiner größten Kunden zu vertreiben.

Rechnungen bezahlen?

Twitter weigert sich derzeit, seine Rechnungen für die Nutzung der Google Cloud zu zahlen, das berichten Zoë Schiffer und Casey Newton bei Platformer. Der Grund dafür ist recht handfester Natur, Elon Musk will offenbar die Kosten zum Betrieb der eigenen Plattform senken, also Google dazu bringen, den Preis für die Nutzung der eigenen Dienste im Nachhinein zu senken.

Elon Musk
Elon Musk hält keinen Vertrag für bindend.
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Zwar betreibt Twitter auch eigene Server, die Cloud-Services von Amazon und Google sind für den Betrieb der Plattform derzeit aber unerlässlich. Sollte sich Twitter nicht noch umbesinnen, dürfte Google die eigenen Dienstleistungen bereits am 30. Juni einstellen.

Schutzfunktion

Besonders problematisch wird der Schritt von Twitter mit dem Blick darauf, welche Services man konkret von Google bezieht. So sollen die Google-Dienste etwa zur Bekämpfung von Spam, aber auch zum Schutz der Nutzerkonten – also der Sicherheit der Plattform – sowie zur Entfernung von Materialien mit der Darstellung sexualisierter Gewalt gegen Kinder verwendet werden. Würden diese Dienste wegfallen, wäre das ein weiterer schwerer Schlag für den Zustand der Plattform und würde das "Trust and Safety"-Team von Twitter, das ohnehin schon viele Abgänge hinnehmen musste, weiter schwächen.

VIDEO: Rückschau Elon Musks Twitter-Übernahme.
DER STANDARD

Vorgeschichte

Laut dem Bericht hat Twitter bereits Anfang März seine Zahlungen an Google eingestellt. Mittlerweile arbeite man auf Hochtouren daran, sich von dem langjährigen Partner zu verabschieden. Wie man die erwähnten Dienste ersetzen will, bleibt dabei vorerst unklar. Nicht zuletzt könnte das auch Bots neuen Auftrieb verschaffen, deren Bekämpfung sich Musk bei der Twitter-Übernahme eigentlich als primäres Ziel verschrieben hatte.

Werbemacht

Der Schritt könnte aber noch aus einer anderen Perspektive zu einem Problem für Twitter werden: Google ist nämlich derzeit der zweitgrößte Werbekunde von Twitter. Dass solche Unternehmen durchaus verstehen, mit dieser Macht zu spielen, zeigt ein anderes Beispiel: Soll doch Musk parallel dazu auch die Zahlungen an den zweiten großen Cloud-Partner, also die Amazon Web Services, verzögert haben. Dies habe dazu geführt, dass Amazon mit einer Blockade der Zahlung der eigenen Werbekosten gedroht habe.

Alles ist verhandelbar

In den vergangenen Monaten hat Elon Musk mehrfach demonstriert, dass er laufende Verträge generell nicht für bindend und immer verhandelbar hält. Dabei greift er gerne zu dem Mittel, Zahlungen einfach einzustellen. Das hat dem Unternehmen bereits mehrere Klagen eingebracht – unter anderem von Vermietern der Bürogebäude, aber auch von anderen Partnern.

Bei dem Deal mit Google Cloud geht es um eine durchaus relevante Summe. So sollen sich die Kosten alleine im Jahr 2023 auf rund 300 Millionen US-Dollar belaufen.

Bereits im Mai hatte Musk dem "Trust and Safety"-Team die Anweisung gegeben, Werbung künftig nur mehr abzulehnen, wenn diese ganz klar Spam oder illegal sei. Dies habe dazu geführt, dass einige der Mitarbeiter Rechtsberatung eingefordert haben, um sicher zu gehen, dass sie sich mit diesen Vorgaben nicht selbst strafbar machen.

Wechsel an der Spitze

Die aktuelle Situation ist eine der ersten großen Herausforderungen für die neue Twitter-Chefin Linda Yaccarino, die gerade ihre erste volle Woche in diesem Job hinter sich gebracht hat. Ihre Aufgabe wird es sein, die Wünsche von Musk auszuführen, der im Hintergrund als Besitzer, Vorsitzender und Technikchef weiter die Fäden zieht. (apo, 11.6.2023)