Im Gastblog berichtet die Physikerin Sofia Kantorovich von ihrer Forschung an magnetischen Nanopartikeln.

Bereits seit den frühesten Anfängen der Zivilisation ist das natürliche Vorhandensein von Elektrizität und Magnetismus bekannt. Wahrscheinlich geht die erste wissenschaftliche Diskussion über Magnetismus auf Thales von Milet zurück, der 600 vor Christus davon überzeugt war, dass Magnetsteine Seelen haben und deshalb Eisen anziehen. Bereits in der Antike wurde der Ursprung von Magnetismus und Elektrizität magischen Kräften zugesprochen. In weiterer Folge wurden in der Zeit der Renaissance diese Kräfte/Mächte/Energien als okkult und verboten eingestuft, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass der erste Kompass bereits im 11. Jahrhundert von einem chinesischen Wissenschafter namens Shen Kuo erfunden wurde. Später wurden Elektrizität und Magnetismus durch das Vorhandensein bestimmter Bestandteile im Inneren eines Mediums erklärt, was Persönlichkeiten der Philosophie, Dichtung und Kunst faszinierte.

Im 18. und 19. Jahrhundert leiteten Coulomb, Faraday, Maxwell und Lorentz schlussendlich eine neue "klassische" Ära in der elektromagnetischen Theorie ein, indem sie beide Begriffe verbanden, was zu einer Vielzahl von Anwendungen führte, die bis heute Verwendung finden. Obwohl mit der Entwicklung der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik im 20. Jahrhundert unsere Sichtweise auf elektromagnetische Phänomene verändert wurde, behielt die zuvor entwickelte "kontinuierliche" Theorie weiterhin ihre Richtigkeit und Allgemeingültigkeit.

Die grundlegenden elektromagnetischen Wechselwirkungen, die eine große Reichweite besitzen und besonders stark sind, treten in sehr unterschiedlichen Größenordnungen auf. Es handelt sich dabei um intraatomare Wechselwirkungen beziehungsweise Kräfte, die zwischen Ionen verschiedener Größen wirken, unabhängig davon, ob Nano-, Mikro- und Makroobjekte vorliegen. Sie alle haben dieselben grundlegenden Eigenschaften, egal ob die wechselwirkenden Objekte durch ein Zehntel eines Nanometers oder durch Tausende von Kilometern getrennt sind.

Heutzutage haben die Menschen keine Angst mehr vor Magnetismus: Er findet in praktisch jedem Bereich des Alltags Verwendung – von der banalen Dekoration am Kühlschrank bis hin zur medizinischen Diagnostik. So vielfältig die Anwendungen magnetischer Materialien sind, so vielfältig sind auch die wissenschaftlichen Richtungen, die von Forschenden auf der ganzen Welt verfolgt werden. Einen Streifzug durch alle diese Bereiche zu machen würde diesen Rahmen sprengen. Vielmehr wird hier der Fokus auf ein kleines Universum von magnetischen Nanopartikeln gerichtet, das die Autorin vor mehr als 20 Jahren in seinen Bann gezogen hat und seither zu einer wahren Leidenschaft geworden ist.

Wissenschaft mit Geschichte

Es war Anfang des 20. Jahrhunderts, als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft, inspiriert von Paul Langevin, die Idee hatten, magnetisch steuerbare Systeme zu entwickeln. Dafür wählte er sogenannte Kolloide: kleine Teilchen, die in einer Flüssigkeit schwimmen ohne auf den Grund zu sinken. Nur 30 Jahre später, im Jahr 1938, schuf Elmore ein "ferromagnetisches Kolloid", das aus kleinen (in der Größenordnung von 20 Mikrometer) Magnetitpartikeln bestand, die in einer Trägerflüssigkeit schwammen. Er ermittelte die Magnetisierungskurven seiner Proben – diese zeigen, wie das System magnetisch wird, wenn immer stärkere Magnetfelder Anwendung finden/aufgebaut werden – und kam zu dem Schluss, dass kleine ferromagnetische Teilchen, die in einer nichtmagnetischen Flüssigkeit schweben, ein paramagnetisches System bilden. Das kann man sich so vorstellen, als wäre jedes ferromagnetische Teilchen eine winzige Kompassnadel. Wenn kein Magnetfeld wirkt, zeigen die Nadeln irgendwo hin, aber wenn ein Magnetfeld wirkt, dann werden alle Nadeln dem Feld entlang zeigen. Leider waren die magnetischen Kolloide von Elmore nicht stabil: Aufgrund ihres großen Gewichts setzten sich die Partikel schnell ab.

Es dauerte weitere 20 Jahre, bis das erste stabile magnetische Kolloid von Steve Papel, Edwin Resler und Ronald Rosensweig im Auftrag der Nasa synthetisiert wurde. Seitdem werden Suspensionen magnetischer Nanopartikel (sogenannte Nanocolloide, der Durchmesser des Magnetkerns ist ungefähr 10 bis 50 Nanometer ) in nichtmagnetischen Trägerflüssigkeiten als magnetische Flüssigkeiten (Ferrofluide, Ferrokolloide) bezeichnet. Ihre Erforschung hat sich zu einem eigenständigen Wissenschaftszweig entwickelt. Die Partikel in Ferrofluiden bestehen aus Eisen (Fe), Kobalt (Co), Nickel (Ni) und ihren Oxiden. Die Größe der Partikel ist kleiner als die Größe der magnetischen Domäne für die oben genannten ferro- und antiferromagnetischen Materialien. Wenn ein äußeres Feld an der Flüssigkeit aufgebaut wird, neigen die Teilchen dazu, den Feldlinien zu folgen, während die Oberflächenspannung der Trägerflüssigkeit sie daran hindert, sich zu entfernen. Dieser Konkurrenzkampf führt zu einer so genannten Rosenzweig-Instabilität, wie sie in der Abbildung dargestellt ist und in der nebenstehenden Grafik erläutert wird.

Darstellung des magnetischen Effekts
Ferrofluide (links) und eine Magnetfeld Beschreibung (rechts).
Foto: Sofia Kantorovich

In den letzten Jahrzehnten hat sich daraus ein neuer Zweig in der Wissenschaft entwickelt – magnetische weiche Materie (magnetic soft matter, MSM). Dieser Bereich der Wissenschaft verdankt seine rasche Entwicklung dem stetigen Fortschritt der Syntheseverfahren/Synthesemethoden. Dadurch stehen magnetische Partikel verschiedenster Form zur Verfügung. Außerdem wurde die Kopplung von Partikeln und Polymermatrix entwickelt. Magnetische Kolloide liegen nun in Form von Würfeln, Ellipsoiden oder Stäben und viele anderer Gestalt vor. Die verschiedenen Formen der Kolloide bewirken, dass die Wechselwirkung zwischen den Teilchen sich ändert. Dann bilden sich aus den magnetischen Teilchen verschiedene Strukturen, wodurch die Eigenschaften der gesamten Flüssigkeit angepasst werden können. Zum Beispiel, wie durchsichtig oder dickflüssig unsere Systeme sind.

Aufnahme der beschriebenen Würfen und Ellipsoiden im Nanometerbereich.
Magnetische Würfel (a) und magnetische Ellipsoiden (b).
Foto: a (Sacanna S., Rossi L. and Pine D. J., J. Am. Chem. Soc., 134, 6112 (2012); Kovalenko M. V., Bodnarchuk M. I., Lechner R. T., Hesser G., Schäffler F. and Heiss W., J. Am. Chem. Soc., 129, 6352 (2007)); b (Yan M., Fresnais J. and Berret J.-F., Soft Matter, 6, 1997 (2010); Günther A., Bender P., Tschöpe A. and Birringer R., J. Phys.: Condens. Matter, 23, F5103 (2011).))

Anwendung in der Praxis

Diese Flexibilität im Design eröffnet ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten für magnetische nanokolloidale Systeme in der Biomedizin, wie zum Beispiel Sensoren, Kontrastmittel, zielgerichtete Arzneimittel, Hyperthermie zur Krebsbehandlung, Zellmanipulation und vieles mehr. Magnetische weiche Materie wird auch zur Verbesserung verschiedener technischer Geräte verwendet, wie etwa Lautsprecher, Dichtungen, Dämpfer, Reinigungs- und Trennvorrichtungen. Damit die oben genannten Anwendungen richtig und effizient funktionieren, muss man die Beziehung zwischen der Form/Struktur der magnetischen Kolloide, den Eigenschaften der Trägermatrix und der makroskopischen Reaktion der magnetischen weichen Materialien genau verstehen. Darüber hinaus beruhen alle diese Anwendungen auf der Dynamik der magnetischen weichen Materie. Letzteres ist nicht nur für praktische Anwendungen ein Stolperstein: auch das grundlegende Verständnis der Beziehung zwischen der Struktur der magnetischen Kolloide und ihrer dynamischen magnetischen Reaktion, sei es in Flüssigkeiten oder Gelen, mit elektrostatischem Hintergrund oder ohne, bleibt weiterhin ungeklärt.

In meiner Arbeitsgruppe werden rechnerische Ansätze unter Verwendung klassischer Modellierung und KI-basierter Technologien entwickelt, um ein tieferes Verständnis der Welt der Nanomagnete zu bekommen und sie für uns alle zugänglicher, kontrollierbarer, verständlicher und nützlicher zu machen. (Sofia Kantorovich, 14.06.2023)