In Schönbrunn blühen die Rosen, das Belvedere badet im Sonnenschein. Auf Instagram gleicht Wien einem feuchten Tourismustraum. Die Entdeckung der Stadt kommt auf der Plattform einer Fiakerfahrt von Ankeruhr bis Mozarthaus oder einem Schnitzelessen beim Figlmüller gleich. Kann man liken, muss man aber nicht.

Das klassische Wiener Postkartenportfolio, das kann ja nicht alles sein. Ist auf der Bilderplattform nicht längst Platz für jede Nische, jeden Mikro-Trend? Ich begebe mich auf die Suche nach den etwas anderen Wien-Accounts, arbeite mich durch Hashtags und Instagram-Stories. Und finde Profile, die die Stadt von anderen Seiten zeigen. Einige von ihnen sind für mich Neuentdeckungen. Andere hingegen alte Bekannte, die ich schon länger nicht gesehen habe. (Schuld ist der Algorithmus!) In real life würde man wohl sagen: Man kennt sich vom jahrelangen Grüßen. Auf Instagram übersetzt heißt das: Man hat schon mal ein Like hinterlassen.

Nebelverhangener Blick auf die Donau City: Auf dem Account fabolus_vienna lässt sich Wien von seiner stillen Seite entdecken.
fabolus_vienna

Der Account fabolus_vienna fällt mir auf, weil hier Raum für die düstere, stille, vielleicht sogar die melancholische Seite der Stadt gemacht wird. Viele Bilder scheinen frühmorgens oder in der Nacht aufgenommen. Die Motive: einsamer Mopedfahrer auf der Hauptallee, nebelverhangener Blick auf die Donau City, glotzende Eulen im ersten Bezirk, rauchender Mann vor einem Schaufenster. Zugegeben, ganz ohne Klischees kommt auch dieser Kanal nicht aus. Aber man merkt sofort: Hier wird nicht mit schnellen Schnappschüssen gearbeitet, wie ich sie samstags nebenbei beim Falafel-Besorgen am Hannovermarkt oder im Prater mache. Hier plant jemand liebevoll Licht- und Wetterstimmungen ein.

Rauchender Mann vor einem Schaufenster auf dem Account von fabolus_vienna
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Fotos Bei Sonnenaufgang Aber ist das auch wirklich so? Kontaktaufnahme mit dem Macher. Am Telefon ist der gebürtige Südtiroler Fabian, kurz Fab, er ist vor einem Jahrzehnt nach Wien gezogen. fabolus_vienna mit den rund 35.000 Followerinnen und Followern, ein Wortspiel also. Seinen Familiennamen will Fabian nicht in der Zeitung lesen, der Account sei ja nur ein Hobby. Allerdings eines, für das er sich um drei Uhr in der Früh den Wecker stellt. Das klingt ziemlich verrückt, für den Südtiroler scheinen solche Nacht-und-Nebel-Aktionen ganz normal zu sein. Da wäre zum Beispiel der Blick von einem Hausdach am Mexikoplatz über die Reichsbrücke Richtung Donau City. Um dort Sonnenaufgang und Bodennebel einzufangen, checkt Fabian vorab Wetterberichte und Webcams. Erst wenn alles passt, bricht er auf, mit dem Fahrrad natürlich. Vierzig Mal war er schon an jener Stelle.

"Manche Wien-Motive habe ich 40 Mal aufgesucht." Fabian vom Instagram-Account fabolus_vienna

Vor sechs Jahren hat der Wahlwiener begonnen, auf seinen Stadtspaziergängen eine Kamera mitzunehmen. Sein Antrieb: unbekannte Orte in der Stadt zu entdecken, "08/15-Urlaubstourismus-Fotos bei Sonnenschein" interessieren ihn nicht. Die melancholische Seite verkörpere für ihn Wien viel mehr als die "happy Leute, die beim Flanieren auf der Kärntner Straße ihre Gucci-Tasche kaufen", erklärt Fabian. Wenn er touristische Orte zeige, dann fern der Touristen. Es gehe ihm um "natürliche Perfektion", erklärt der Südtiroler, mit Betonung auf "natürlich". Schließlich wäre es ein Leichtes, die Bilder auch mithilfe von Photoshop zusammenzubauen. Doch auf die Recherche und das Erleben, den Austausch mit der Instagram-Community, ja sogar das Weckerklingeln in der Früh um drei will er nicht verzichten.

Seit einem Jahrzehnt hält der Deutsche Lukas Pellmann auf seinem Account leopold_stadt die vielen Facetten des zweiten Bezirks fest. Besonders gern arbeitet er in seinen Bildern mit Spiegelungen.
leopold_stadt

Geht es den Wien-Accounts also gar nicht so sehr um Likes und Insta-Fame? Nicht mehr, sagt Lukas Pellmann. Auch er ist irgendwann einmal zugezogen, aus Essen im Ruhrgebiet. Knapp 10.000 Followerinnen und Follower hat sein Account leopold_stadt. Vor einem Jahrzehnt hat er begonnen, die Social-Media-Plattform als Fotoalbum zu nutzen. Das war in den Hochzeiten der Community "Igers Vienna", die damals Fotowalks und Events veranstaltete, Pellmann war dabei. Das Markenzeichen seines Profils: Spiegelungen in Pfützen. Von Anfang an hat sich der Instagrammer dabei auf seine nähere Umgebung, den zweiten Wiener Gemeindebezirk, konzentriert.

Blick auf den Prater auf dem Accountleopold_stadt
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Ob ein Grätzel-Account in seiner Heimatstadt Essen mit rund einer halben Million Einwohnern auch funktioniert hätte? Eher nicht, grinst der gebürtige Nordrhein-Westfale. Wen sollte das interessieren? Wien-Fans hingegen, die gebe es auf der ganzen Welt. Das hat er in der Vergangenheit immer wieder erfahren, wenn sich Nachfahren ausgewanderter Leopoldstädter nach Beiträgen bei ihm meldeten: Dort hat meine Oma einmal gewohnt!

Insta-Integration Der Deutsche scheint überhaupt ein Beispiel für gelungene Insta-Integration darzustellen: Postings versieht er bis heute mit dem liebevoll österreichischen Hashtag #polditown – nach Ruhrpott klingt das nicht. Ein bisschen verstehe ich das. Ich bin ebenfalls in die Leopoldstadt zugezogen. Warum die Grätzelliebe bei dem Instagrammer so groß ist? Der Zweite sei für ihn der vielfältigste Bezirk, sagt Pellmann und listet auf: Da sei die Gegend um den Nordbahnhof, vor einigen Jahren noch eine verwilderte Gstätten und dann die Neubauten, die daneben hochgezogen wurden. Das Nebeneinander von jüdischer Community, katholischen Kirchen und muslimischen Einrichtungen, von Donaukanal und Prater. "Vieles, was die gesamte Stadt ausmacht, findet man hier komprimiert in einem Bezirk. Das hat mir immer total getaugt", sagt der Deutsche. Er hat in den vergangenen Jahren viele Bezirks-Accounts kommen und gehen sehen, sein Profil blieb. Obwohl sich auch bei Pellmann einige Dinge verändert haben und sein Zweit-Account als Autor mittlerweile fast genauso groß ist wie der Wien-Account.

Blick zurück

Alexander Fried geht die Sache mit seinem Instagram-Profil Zeitensprünge anders an. Er vergleicht historische Stadtansichten mit jenen von heute. Geld verdient er damit nicht, Instagram ist immer ein Hobby geblieben, auch wenn sich rund 15.500 Followerinnen und Follower für seine Inhalte interessieren. Was dem Wiener, der im siebten Bezirk aufgewachsen ist, allerdings wichtig ist: Auch wenn er ein Faible für das alte Wien hat, "ein Nostalgiker bin ich nicht".

Alexander Fried zeigt auf seinem Account Zeitensprünge aktuelle und historische Wien-Ansichten. So wie auf der Mahü, die 1986 noch von einer Straßenbahn befahren wurde.
Tramwayforum.at/TARS631/Franz Meneder (1986)
Nicht immer war früher alles besser, glaubt der gebürtige Wiener. Die Mahü? Heute eine Fußgängerzone.
Zeitensprünge

Im Gegenteil, er versucht auf Instagram den "Früher war alles besser"-Stimmen Bilder entgegenzusetzen, die von positiven Veränderungen erzählen. Beeindruckendstes Beispiel, sagt Fried, sei für ihn die heute verkehrsberuhigte Mariahilfer Straße, auf der bis in die 1990er-Jahre noch eine Straßenbahn fuhr. Was man seinem Projekt Zeitensprünge durchaus anmerkt: Es wurde nicht für Instagram erfunden: Schon 2011 veröffentlichte der Wiener Bilder auf Flickr und Facebook, bis heute lassen sich die Wien-Ansichten auf seiner Website entdecken.

So lange sind Clemens Fantur und Kristina Königseder noch nicht dabei. Sie haben vor fünf Jahren mit "Grannies of Vienna" (mit heute rund 8300 Followerinnen und Followern) ein Profil eröffnet, das die Menschen der Stadt in den Mittelpunkt stellt. Oder besser den Stil einer älteren Generation. Fantur und Königseder konzentrieren sich auf ihrem Streetfashion-Account auf jene Altersgruppe, die in den Social-Media-Kanälen oft zu kurz kommt. "Bei uns ist die Generation 80 plus willkommen", erklären sie im Zoom-Gespräch. Sie wollen Ältere auf wertschätzende Weise sichtbar machen, egal ob sie in Trenchcoat oder Leopardenjacke, mit Rollator oder Krückstock unterwegs sind. Die Grannies porträtieren Fantur und Königseder anonym von hinten, an dem Prinzip halten sie seit 2018 fest. Wo und wann sie besonders erfolgreich sind? "Am späten Vormittag im Supermarkt oder in der Straßenbahnlinie D", meint Königseder. Und ja, es gebe einige Kandidatinnen und Kandidaten, die ihnen schon häufiger vor die Kamera gelaufen sind. Auch dass Grannies von der Verwandtschaft auf ihrem Profil wiedererkannt wurden, ist schon passiert.

"Wir wollen ältere Menschen und ihren Stil auf wertschätzende Weise sichtbar machen", sagen Clemens Fantur und Kristina Königseder vom Profil Grannies of Vienna. Im Bild das "Hipster Couple".
Grannies of Vienna
Die "Summer Grannie"
Grannies of Vienna

Mit ihrem Blick auf die Bewohner Wiens haben sie auf Instagram einen Nerv getroffen. Mittlerweile gibt es auch einen "Grannies of Madrid"-Account. So erfolgreich wie die Wiener Ausgabe ist er nicht. Das ist wenig verwunderlich, oder? (Anne Feldkamp, 19.6.2023)

Die Geschichte ist im STANDARD-Magazin "Leben in Wien" erschienen.