Mensch steht auf einer Waage, die 135 Kilo anzeigt.
Der Wirkstoff Semaglutid unterstützt sehr erfolgreich beim Abnehmen. Die ursprünglich als Diabetes-Medikament entwickelte Therapie soll es bald auch zum Einnehmen geben.
APA/dpa/Lino Mirgeler

Die Behandlung von Adipositas hat derzeit massiven Rückenwind. Denn der ursprünglich für die Behandlung von Diabetes entwickelte Wirkstoff Semaglutid gilt als echter Gamechanger auch in der Therapie von starkem Übergewicht oder Fettleibigkeit. Das Mittel ist so erfolgreich, dass es sich zum regelrechten Lifestyle-Medikament entwickelt hat. Vor allem in den USA, aber auch in Europa und Österreich gibt es bereits Lieferengpässe. DER STANDARD berichtete hier und hier. In absehbarer Zukunft dürfte es den Wirkstoff nun nicht nur zum Injizieren geben, er soll auch als Tablette verfügbar sein.

Semaglutid ahmt den Effekt des körpereigenen Glukagon-Like-Peptids-1 nach und führt so zu einem Sättigungsgefühl und zu einer langsameren Magenentleerung. Als einmal wöchentlich unter die Haut applizierbare Injektion führt das Arzneimittel bei Typ-2-Diabetikern zu einer Senkung des Blutzuckers und zu einer Reduktion des Wertes für die Blutzuckerkontrolle (HbA1c) um 1,2 bis 1,8 Prozentpunkte. Gleichzeitig wurde in klinischen Studien aber auch ein Abnehmeffekt von im Schnitt zehn bid 15 Prozent des Körpergewichts nachgewiesen.

Der Wirkstoff ist in Europa seit 2018 als Diabetes-Medikament zugelassen, Anfang 2022 wurde es in der EU unter einem anderen Markennamen speziell mit dem Einsatzgebiet Gewichtsverlust und -kontrolle zugelassen. Gedacht ist es für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30 und für Übergewichtige (BMI ab 27) mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung. Vorerst war das Arzneimittel als medikamentöse Abnehmhilfe in europäischen Staaten aber noch gar nicht erhältlich.

Nächste Stufe der Entwicklung

Doch jetzt scheint die nächste Stufe der Entwicklung erreicht zu sein: Der dänische Pharmakonzern Novo Nordisk hat mittlerweile auch eine Version in Tablettenform entwickelt, was die Einnahme deutlich vereinfachen würde. Die wissenschaftlichen Daten sprechen laut Novo Nordisk offenbar dafür. "In einer Studie, in die fast 700 Erwachsene mit Adipositas oder Übergewicht aufgenommen worden waren und die täglich eine Tablette Semaglutid einnahmen, kam es zu einem Gewichtsverlust um 15,1 Prozent im Vergleich zu 2,4 Prozent mit einem Placebo über einen Beobachtungszeitraum von 17 Monaten hinweg", schrieb der Pharma-Informationsdienst "Fierce" vor kurzem. Das entspreche ziemlich genau dem Abnehmeffekt, der auch für die injizierbare Form des Medikaments in klinischen Studien belegt worden ist. Die häufigsten – moderaten – Nebenwirkungen sind gastrointestinale Probleme wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Hinzu kommt offenbar auch ein potenziell erhöhtes Risiko für Netzhautschäden bei Diabetikern.

Die Angelegenheit hat auch eine wirtschaftliche Seite: Novo Nordisk, jenes europäische Pharmaunternehmen, das vor rund hundert Jahren mit Insulin die erste Möglichkeit zur ursächlichen Behandlung von Typ-1-Diabetes geschaffen hat, war laut "Fierce Pharma" dank Semaglutid bereits extrem erfolgreich. Es steigerte seinen Umsatz innerhalb eines Jahres um rund ein Viertel.

Mittlerweile hat das ebenfalls seit Jahrzehnten im Diabetes-Bereich aktive US-Unternehmen Eli Lilly eine kompetitive Studie in Sachen medikamentöse Adipositas-Therapie gestartet. Sein GLP-1-Wirkstoff Tirzepatid soll mit Semaglutid verglichen werden. Der dänische Konzern will jedenfalls sein Abnehmmedikament in Tablettenform noch in diesem Jahr in den USA und in der EU zur Zulassung einreichen. Der diesbezügliche Markt ist riesig. Laut Statistik Austria (Daten von 2019) sind 16,5 Prozent der Österreicher adipös (BMI über 30). (APA, red, 15.6.2023)