Maria Sterkl aus Jerusalem

Wer in Gaza lebt, ist eingezwängt. Auf kleinerem Raum, als das Stadtgebiet Wiens einnimmt, leben hier mehr als zwei Millionen Menschen im Bewusstsein, dass sie das Gebiet in ihrem ganzen Leben vielleicht nie werden verlassen können. Vor Ort herrscht die Hamas, unterdrückt Minderheiten und wacht darüber, dass nur ja niemand allzu frei seine Meinung äußern kann.

Seit Beginn der Blockade hat sich aber einiges verändert. Während die Grenzen zu Beginn fast undurchlässig waren, gab es vor allem in den vergangenen acht Jahren schrittweise Lockerungen. Es darf nun mehr importiert und ausgeführt werden, auch mehr Arbeiter aus Gaza können Richtung Israel reisen, um dort mit Tagelöhnerjobs in der Erntearbeit oder auf Baustellen ihre Familien zu ernähren.

Kaum Handel

Besonders stark zeigt sich die Veränderung bei den Importen nach Gaza. In den ersten Monaten des laufenden Jahres kamen im Schnitt rund 9000 Lkw-Ladungen an Einfuhren in den Gazastreifen. Zum Vergleich: In den ersten fünf Jahren nach der Einführung der Blockade durch Israel waren es durchschnittlich nur 18 Lkw-Ladungen pro Monat. Seit 2015 wurden die Einfuhrbeschränkungen laufend gelockert. Es sind laut UN-Angaben vor allem Lebensmittel, Treibstoffe und Baumaterialien, die von Israel in den Gazastreifen importiert werden.

Ein dreirädriges Transportmoped steht am Hafen von Gaza-City. Zwei Männer warten.
Das Meer bietet noch Möglichkeiten für Erwerbstätigkeit im Inneren: Hier warten zwei Männer mit ihrem Transportfahrzeug am Hafen darauf, dass die Fischerboote anlegen.
APA/AFP/JEWEL SAMAD

Vom lebhaften Handel, den es vor der Verhängung der Blockade gab, sind die Menschen in Gaza aber noch weit entfernt. Im ersten Halbjahr 2007 wurden noch mehr als 11.000 Lkw-Ladungen in den Gazastreifen verfrachtet. Heute sind es um 20 Prozent weniger als damals, obwohl die Bevölkerung im Gazastreifen inzwischen um fünfzig Prozent zugenommen hat.

Immer noch müssen Unternehmen oft monatelang auf nötige Ausrüstung warten, weil Israel die Einfuhrgenehmigung nicht erteilt. Eine lange Liste an Gütern kann nur nach strenger Prüfung durch israelische Behörden in den Gazastreifen gebracht werden – darunter Düngemittel, Pestizide, Zement, Isoliermaterial und Pharmazeutika. Israel begründet das mit der Gefahr, dass diese Stoffe für militärische Ziele zweckentfremdet werden könnten.

Unternehmern macht aber vor allem die schlechte Planbarkeit Probleme. Für jede Einfuhr muss einzeln bei den israelischen Behörden um Genehmigung angesucht werden, klagt Mohammed, ein Software-Ingenieur aus Gaza-Stadt. "Einmal kriegen wir die Erlaubnis, dann wird sie wieder abgelehnt, die Gründe erfahren wir nie."

Dennoch gesteht auch Mohammed, dass sich die Lage in den vergangenen Jahren gebessert hat. "Wenn man gute Beziehungen pflegt, dann kann man arbeiten", sagt er. Nicht nur die Importe in den Gazastreifen, auch die Exporte nahmen zu. Der größte Teil davon geht ins Westjordanland, aber auch auf Israels Märkten finden Obst und Gemüse aus dem Gazastreifen Absatz.

Geschlossene Grenzen

Die zunehmende Lockerung kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Blockade die Wirtschaft im Gazastreifen auch weiterhin aushungert und Menschen daran hindert, sich anderswo Perspektiven zu schaffen. Zwar können heute so viele Arbeitskräfte aus dem Gazastreifen in Israel Jobs annehmen wie seit zwanzig Jahren nicht mehr; die zuletzt 22.000 Arbeitsgenehmigungen sind für die Familien im Gazastreifen wichtige Einnahmequellen. Es sind aber trotzdem gerade einmal 0,8 Prozent der erwerbsfähigen Menschen im Gazastreifen, die in den Genuss dieser Arbeitsgenehmigungen kommen. Und selbst die wenigen, die nach Israel einreisen dürfen, stehen dennoch immer wieder vor verschlossenen Grenzen.

Ein palästinensisches Mädchen mit einem orangen Luftballon lächelt in die Kamera.
Kinder in einem Sommercamp in Gaza.
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Wenn Israel einen nationalen Feiertag begeht, macht auch der Grenzübergang Erez zu, oft gleich für mehrere Tage. Auch im Fall einer militärischen Eskalation bleibt die Grenze für Menschen und Güterlieferungen geschlossen.

Laut Analysen der Weltbank ist die "fast vollständige Blockade" die größte Hürde, die den Gazastreifen daran hindert, sich wirtschaftlich zu entwickeln, und jungen Menschen die Möglichkeit nimmt, Unternehmen zu gründen und Jobs zu schaffen. Bei jungen Menschen liegt die Arbeitslosigkeit heute bei 61 Prozent. (Maria Sterkl, 16.6.2023)