Tatsächliche Gleichberechtigung queerer Menschen auf allen Ebenen wurde bis heute nicht erreicht.
Tatsächliche Gleichberechtigung queerer Menschen auf allen Ebenen wurde bis heute nicht erreicht.
EPA/TOMS KALNINS

Am Samstag ist es wieder so weit: In Wien werden zehntausende Menschen bunt-glitzernd mit lauter Musik durch die Innenstadt ziehen. Die Regenbogenparade steht an, und die Stadt wird Toleranz und Vielfalt feiern. Die Veranstalter weisen darauf hin, dass das nicht nur eine große Party ist, sondern eine Kundgebung für gleiche Rechte von queeren Personen. Dazu, wie groß diese Gruppe in Österreich ist, gibt es keine genauen Daten. Eine Schätzung geht von fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung aus.

Nicht nur zerstörte Regenbogensymbole oder der Protest der FPÖ gegen die leuchtenden Regenbogenfarben am Parlament zeigen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz noch nicht erreicht ist. Laut einem Bericht des Gesundheitsministeriums sind 89 Prozent der befragten queeren Personen bereits diskriminiert worden, drei Viertel führen das auf ihre sexuelle Orientierung zurück.

Die Regierung hat sich einiges vorgenommen – an der Umsetzung hapert es aber, etwa beim Verbot von nicht notwendigen medizinischen Eingriffen bei intergeschlechtlichen Kindern. Weil solche Operationen noch immer stattfinden, gab es einen Rüffel der EU-Kommission. Ein Gesetzesentwurf ist seit Herbst 2022 in Arbeit.

Konversionstherapie: "Heilungen" von Queeren weiterhin legal

Konversionstherapien, also Behandlungen, die darauf abzielen, queere Jugendliche umzupolen, sind hierzulande nicht untersagt. Über ein Verbot verhandelt die Koalition schon länger – bisher ohne Einigung. Am Mittwoch hätte eigentlich ein Gesetzesantrag im Nationalrat eingebracht werden sollen. Dieser scheiterte aber daran, dass die Grünen auch Konversionsbehandlungen von Transpersonen verbieten wollen. Die ÖVP lehnt das ab. Die Einbeziehung von Tranpersonen gehe über einen 2021 beschlossenen Entschließungsantrag hinaus. Die Grünen halten dagegen: Ihr Entwurf liege bereits seit 2022 bei der ÖVP am Tisch.

Gewalt: Viele bringen Übergriffe nicht zur Anzeige

Die österreichische Polizei erfasst seit 1. November 2020 bei Strafanzeigen Vorurteilsmotive nach Opfergruppen. Seit 2021 erscheinen die sogenannten Hate-Crime-Berichte, in denen diese Motive – etwa wegen Geschlecht oder sexueller Orientierung – erfasst werden. 2021 wurden demnach 376 queerfeindliche Angriffe gezählt.

Opferschutzorganisationen gehen allerdings von einer hohen Dunkelziffer aus, viele würden Anzeigen unterlassen. Laut einer EU-weiten Studie taten dies 83 Prozent der befragten Betroffenen. 38 Prozent dieser Gruppe deshalb, weil sie nicht an eine Aufklärung des Vorfalls glaubten.

Diskriminierung: Im privaten Bereich fehlt der Schutz

Bisher gibt es für die LGBTIQ-Community keinen Diskriminierungsschutz außerhalb des Arbeitsplatzes. Das heißt, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung der Zutritt in ein Lokal, die Mitnahme im Taxi oder das Mieten einer Wohnung verwehrt werden kann. Grünen-LGBTIQ-Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic meint, die Grünen würden eine Stärkung – das sogenannte Levelling-up – vorantreiben, es liege an der ÖVP, es umzusetzen. ÖVP-Nationalratsabgeordneter Nico Marchetti sagt, dass ein Ausbau nicht im Regierungsprogramm stehe. In dem Papier geht es tatsächlich nur um eine grundsätzliche "Stärkung des Diskriminierungsschutzes".

Transrechte: Geschlecht im Zentrum eines Kulturkampfs

Es ist das neue Steckenpferd Rechter weltweit: Transmenschen werden als Feindbild stilisiert, der Regenbogen als Schlachtfeld eines Kulturkampfs missbraucht, in dem es um Fragen geht wie: Was ist eine Frau, was ein Mann? Und: Wie viele Geschlechter darf es geben?

Im März organisierten rechtsextreme Aktivisten aus dem Dunstkreis der Identitären eine Demonstration gegen die Lesung der Wiener Dragqueen Candy Licious, die Kinderbücher vorlas. Sie begründeten das unter anderem mit Kinderschutz. Auch Funktionäre der FPÖ riefen zum Protest auf und nahmen teil.

In Teilen der traditionellen Linken finden die Anfeindungen gegen transidente Menschen Anknüpfungspunkte – dabei wird oft ähnlich argumentiert wie in rechten Zirkeln: Trans-Sein wird als Störung dargestellt oder als Versuch von Männern, in Frauenräume einzudringen. Im Mittelpunkt steht dabei die Befürchtung, dass Frauenrechte beschnitten werden könnten.

Errungenschaften: Ein langer Weg zur Gleichberechtigung


Ein neues Denkmal soll im Wiener Resselpark an die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit erinnern – aus Sicht von Hannes Sulzenbacher, Co-Leiter des Zentrums für queere Geschichte, sind sie eine der "letzten, jahrzehntelang verschwiegenen Opfergruppen". Sie wurden in Gefängnisse, Nervenkliniken und Konzentrationslager verschleppt.
Auch danach wurden Queere strafrechtlich verfolgt: "Gleichgeschlechtliche Unzucht" hieß der Paragraf, mit dem Homosexuelle bis zur Abschaffung 1971 bestraft wurden. Über die Jahre folgten zahlreiche Verbesserungen, darunter etwa die Streichung der Krankheitsdiagnose Homosexualität, die Anerkennung der sexuellen Orientierung als Verfolgungsgrund und der Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt.
2009 wurde die Eingetragene Partnerschaft (EP) geschaffen, allerdings mit Beschränkungen im Vergleich zur Ehe. Der Verfassungsgerichtshof öffnete die Ehe 2017 für alle. 2018 stellte er das Recht auf ein drittes Geschlecht fest. (Muzayen Al-Youssef, Lara Hagen, 16.6.2023)