Nach wenigen Sekunden schmeißt die Haushälterin die hölzerne Haustür des Oberleitenweg 31b wieder zu. Kurz darauf fährt eine Streife langsam zu den STANDARD-Reportern heran. Ortsfremde sind hier nicht gern gesehen, Journalisten schon gar nicht. Da wird schon einmal die Polizei gerufen, wenn man Fragen stellt.

Fragen wie: Wer steckt hinter der zypriotischen Briefkastenfirma Wayblue Investments Limited, der das Grundstück Oberleitenweg 31b in Kitzbühel laut öffentlichen Registern gehört? Und wer wohnt tatsächlich in dem zweistöckigen Chalet? In der Nachbarschaft kennt man die Gerüchte schon lange: Wladimir Putins älteste Tochter Maria Woronzowa soll hier regelmäßig Zeit verbracht haben, auch mit ihrem damaligen Partner und dem gemeinsamen Sohn. Das ist sogar für Kitzbühel viel Prominenz.

Eine Villa in Kitzbühel, Geldflüsse über Zypern und die Familie Putin
DER STANDARD

Aber die Eigentümerschaft der Villa in Bestlage ist selbst für die Behörden ein Rätsel. Weder das Innenministerium noch die Stadt wissen, wem das Haus am Fuße des Kitzbüheler Horns tatsächlich gehört. Obwohl es bereits Hinweise und Untersuchungen gegeben hat.

Chalet in Kitzbühel
In diesem Chalet in Kitzbühel soll Putins Tochter regelmäßig Zeit verbracht haben.
Maria Retter

Die Rotenberg Files, eine gemeinsame Recherche des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP), des russischen Exilmediums "Istories", des STANDARD und zahlreicher weiterer internationaler Partnermedien wie des SPIEGEL enthüllt nun, wem die Kitzbüheler Villa zugerechnet werden kann: Arkadi Rotenberg, einem Jugendfreund und engen Vertrauten von Wladimir Putin. Rotenberg ist schon seit 2014 von der EU und den USA sanktioniert. Sämtliches Vermögen des Oligarchen sollte in der EU längst eingefroren sein – so zumindest die Theorie.

Jetzt anhören: So haben STANDARD und SPIEGEL die Hintergründe der "Putin-Villa" aufgedeckt.

Geldflüsse verschleiert

In der Praxis ist es Arkadi Rotenberg – wie auch seinem jüngeren und ebenfalls sanktionierten Bruder Boris – offenbar gelungen, Vermögen zu verschleiern und die Behörden jahrelang zu täuschen. Das zeigt das Kitzbühler Chalet besonders eindrucksvoll.

Das Haus mit weißer Fassade, Garten und Pool steht auf einem mehr als 800 Quadratmeter großen Grundstück hinter einer meterhohen Fichtenhecke. Von der großen Terrasse schaut man direkt auf die Schlüsselstellen der Streif. Dichte Spinnweben bedecken das Klingelschild der Villa.

Nach STANDARD-Informationen versucht die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) schon seit April 2022 die wahre Eigentümerschaft der Immobilie herauszufinden. Die Vermutung: Das Grundstück befindet sich im Besitz einer sanktionierten Person.

Weiter kam die DSN bislang nicht. Der Verdacht habe sich "bis dato" nicht erhärtet, trotz "Erhebungen im In- und Ausland", heißt es auf STANDARD-Anfrage.

Auch die Stadt Kitzbühel zeigt sich ahnungslos, obwohl der Tiroler Oppositionspolitiker Markus Sint (Liste Fritz) schon lange Aufklärung fordert. An der Adresse sei seit 2013 niemand gemeldet, hieß es in einem Schreiben der Stadt an Sint im Frühjahr vergangenen Jahres.

Bürgermeister Klaus Winkler (ÖVP) zog seine Zusage zu einem Gespräch mit dem STANDARD zurück. Schriftlich ließ er auf einen langen Fragenkatalog lediglich mitteilen: "Es ist nicht bekannt, ob von der EU sanktionierte Personen über Grundvermögen in Kitzbühel verfügen." Über die Eigentümer von Wayblue sei nichts bekannt und es könne kein Hinweis auf eine Beteiligung russischer Personen gefunden werden.

Spuren nach Zypern, Lettland und Russland

Fakt ist: Eine österreichische Immobilienfirma hat das Anwesen im Jänner 2013 für 10,8 Millionen Euro an das zypriotische Unternehmen Wayblue Investments Limited verkauft. Seitdem gehört das Chalet dieser Firma, die ihren Sitz in Nikosia hat.

Interne Unterlagen, die dem STANDARD und seinen internationalen Partnern vorliegen, zeigen ein System von Firmenkonstruktionen, Strohleuten und Mittelsmännern innerhalb der EU, mit dem die Behörden seit Jahren mutmaßlich getäuscht werden. Aus ihnen geht hervor: Das Geld, mit dem das Chalet gekauft wurde, stammt von Arkadi Rotenberg.

So wurde der Immobilienkauf durch ein Darlehen der zypriotischen Olpon Investments finanziert, deren Eigentümer seit 2003 Rotenberg selbst ist. Olpon überwies 11,5 Millionen Euro an die damalige SMP-Bank in Lettland, die wiederum den Rotenbergs zuzurechnen war. Von dort ging das Geld an Wayblue. Später wurde die SMP aufgrund der Rotenberg-Sanktionen zur Meridian Trade Bank, das Darlehen wanderte zu einem estnischen Finanzdienstleister, der die Geschäftsbeziehung zu Wayblue im Jahr 2021 beendet haben will. 

Und wem gehört nun Wayblue Limited? Das lässt sich weiterhin nicht herausfinden. Kontrolliert wird die Briefkastenfirma von einem weiteren zypriotischen Unternehmen namens Velidom Limited. Dabei handelt es sich um einen sogenannten Treuhanddienstleister, der Vermögenswerte für Dritte managt. Zum Zeitpunkt des Immobilienkaufs waren zwei andere Treuhanddienstleister als Eigentümer von Wayblue eingetragen, auch hier lassen sich die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht herausfinden.

So lief der Kauf des Chalets in Kitzbühel ab.
Netzwerk von Arkady Rotenberg führt zu Kitzbühel in Tirol
Fatih Aydogdu

"Es ist nahezu eindeutig, dass die Geldflüsse verschleiert werden sollen", sagt der Politologe Stephan Blancke, der sich unter anderem mit organisierter Kriminalität beschäftigt und für das Royal United Services Institut, einen Thinktank in London, tätig ist. "Warum sonst würde man diese Konstruktion wählen?"

Die Jugendfreunde Putin und Rotenberg

Neben der Frage nach der Eigentümerschaft gibt es aber eine weitere Ebene, die brisant ist. Denn kein einziger der vom STANDARD befragten Nachbarn will Rotenberg je in der Villa gesehen haben – dafür aber Putins Tochter Maria Woronzowa. Das stärkt den Verdacht, dass Arkadi Rotenberg den Kauf der Luxusimmobilie womöglich finanziert hat, um Wladimir Putin einen Gefallen zu tun – indem er sie seiner Familie zur Verfügung stellt. Die Beziehung zwischen Putin und Rotenberg ist eine äußerst enge. Die beiden sind seit ihrer Jugend in St. Petersburg befreundet, als sie gemeinsam Judo trainierten. Seitdem ist Putin zum Präsidenten aufgestiegen, Rotenberg zum "König der Staatsaufträge". Dank milliardenschwerer Geschäfte mit dem russischen Staat wurde Rotenberg reich. Sein Vermögen wird auf mehr als drei Milliarden Euro geschätzt.

Der wohl wichtigste Auftrag: der Bau der prestigeträchtigen Brücke auf die Krim, die der Oligarch auf Putins Wunsch errichtete und dafür zum "Helden der Arbeit" gekürt wurde. Das 19 Kilometer lange Bauwerk verbindet das russische Festland mit der völkerrechtswidrig annektierten Krim – und steht sinnbildlich für Putins imperiale Pläne. Für die EU war das Projekt am Ende der Grund, den Oligarchen zu sanktionieren.

Gut versteckt wurde aber nicht nur, wer den Kauf der Immobilie finanziert hat – auch um deren regelmäßige Besucher wird ein Geheimnis gemacht. Recherchen des STANDARD vor Ort lassen nun aber den Schluss zu: Maria Woronzowa, die älteste Tochter von Wladimir Putin, dürfte um das Jahr 2015 herum regelmäßig mit ihrem damaligen niederländischen Mann Jorrit Faassen und dem gemeinsamen Kind im Oberleitenweg 31b zu Gast gewesen sein.

"Das Dirndl vom Putin"

Woronzowa sei stets von Bodyguards abgeschirmt worden. Besonders Anfang Jänner, rund um das orthodoxe Weihnachtsfest, soll sie oft im Haus gewesen sein. Eine Person aus der Cateringbranche erzählt dem STANDARD, für diesen Anlass in dem Haus gekocht zu haben. An den Zeitpunkt erinnere er sich nicht mehr, es sei aber jedenfalls vor vielen Jahren gewesen. Etwa 30 Personen sollen anwesend gewesen sein – unter ihnen auch Putin selbst. Diesen will eine weitere vom STANDARD befragte Person samt Bodyguards im Oberleitenweg gesehen haben. Unabhängige Belege dafür gibt es nicht, allerdings zeigen Reisedaten von Putins jüngerer Tochter Katerina Tichonowa, dass auch sie in den vergangenen Jahren mehrmals in Kitzbühel Station gemacht hat.

Auch ein ehemaliger Nachbar schreibt dem STANDARD, "Maria" sei des Öfteren im Oberleitenweg 31b gewesen: "Auch ihr Mann, ein Holländer, war öfters dabei." Maria habe "perfekt Deutsch" gesprochen. Das ergibt Sinn: Woronzowa verbrachte ihre ersten Jahre in Ostdeutschland, wo ihr Vater als KGB-Mitarbeiter stationiert war. Auch als die Familie Putin nach Russland zurückkehrte, besuchten Maria und ihre jüngere Schwester Katerina stets deutschsprachige Schulen.

Putin und seine Tochter Maria Woronzowa sollen sich mehrfach im Oberleitenweg 31b in Kitzbühel aufgehalten haben.
Otto Beigelbeck

Zurück nach Kitzbühel: Ein großes Geheimnis scheinen Woronzowas Aufenthalte nicht gewesen zu sein. Ein Nachbar aus der Parallelstraße sagt: Klar wohne "das Dirndl vom Putin" da, das wisse jeder. Ein Postbote, der den Oberleitenweg 31b beliefert, steht daneben und lächelt vielsagend. Eine Nachbarin will sich an eine Polizeieskorte für Limousinen im Oberleitenweg erinnern, mehrere Anrainer haben in der Vergangenheit Autos mit niederländischem Kennzeichen vor dem Haus parken gesehen.

Zudem gibt es eine weitere Verbindung zwischen Arkadi Rotenberg und Maria Woronzowa. So legen die Daten eine geschäftliche Verbindung zwischen Faassen und Wayblue nahe.

In Österreich wird die Firma Wayblue Investments von Josef Wieser vertreten, einem Anwalt mit Zulassung in Russland, der unter anderem auf EU-Sanktionen spezialisiert ist. Äußern will er sich zu alldem nicht. Mit Medien habe er "NICHTS" zu tun, schreibt er als Antwort auf einen umfangreichen Fragenkatalog. Zuvor hatte er schon telefonisch angekündigt, keine Fragen zu beantworten. Woronzowa, ihr früherer Mann Faassen sowie Rotenberg antworteten auf eine Anfrage des internationalen Recherchekonsortiums nicht. 

Es wäre nicht der erste Fall, in dem Arkadi Rotenberg sich auf diese Art bei Wladimir Putin erkenntlich zeigt. Als der Oppositionelle Alexei Nawalny Anfang 2021 enthüllte, dass Putin ein luxuriöser Palast am Schwarzen Meer gehöre, betonte Rotenberg kurz danach, das Milliardenanwesen gehöre ihm.

In kleiner Form sehe man das nun auch in Kitzbühel, sagt Gerhard Mangott, Politikwissenschafter und Russland-Experte. "Das ist eine Art von Verhalten, das Wladimir Putin von den Oligarchen einfordert, die primär von Staatsaufträgen leben. Im Gegenzug erwartet sich Putin solche Ehrerbietungen wie die Nutzung von Luxusanwesen." Der große Unterschied: Der Luxuspalast an der Schwarzmeerküste steht in Russland, das Haus in Kitzbühel aber mitten in Europa – wo die Besitztümer von Arkadi Rotenberg eigentlich eingefroren sein sollten. (Carina Huppertz, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Maria Retter, Fabian Schmid, Timo Schober, Graham Stack, 20.6.2023)