In Meghalaya ist so manches anders. In dem indischen Bundesstaat bekommen Kinder meist den Nachnamen der Mutter, das Familienerbe tritt die jüngste Tochter an und nicht etwa der älteste Sohn, und nach der Heirat zieht der Mann zu seiner Ehefrau – all das gilt zumindest für jene, die dem indigenen Volk der Khasi angehören. Dessen Mitglieder leben in einer sogenannten matrilinearen Gesellschaftsstruktur, was bedeutet, dass Abstammung, Familienname und Erbfolge traditionell von der Mutter hergeleitet wird und nicht – wie in vielen Teilen der Welt üblich – von den Vätern. 

Die besonderen Rechte der Frauen in Meghalaya sind in der Verfassung verankert. Reporterin Daniela Schröder hat die Khasi besucht und ihre Beobachtungen im Text "Männer an die Macht" niedergeschrieben. Überlieferungen zufolge haben die Männer ihre Rechte an Kindern, Besitz und Familiennamen ebenso wie die Verantwortung für Normen, Werte und Fortbestehen der Gesellschaft vor über tausend Jahren, als sie in den Krieg gezogen sind, an die Frauen übertragen.

Obgleich auch in Meghalaya bei weitem nicht alles perfekt ist und auch dort eine Debatte über Geschlechtergerechtigkeit geführt wird, wirft die Gesellschaftsstruktur der Khasi doch die Frage auf: Was wäre, wenn Frauen die Welt regieren würden?

Dass Frauen friedfertiger wären, mehr auf Harmonie achteten, sind Rollenstereotype, wie die Genderforschung zu Recht kritisiert. Und doch lernen schon Mädchen zu gefallen und werden zur Sanftmütigkeit und Empathie erzogen. Diese Zuschreibungen sind fest in den Köpfen verankert – und wirken bis ins spätere Leben. Noch erwachsene Frauen verhalten sich danach. Doch ob das bedeutet, dass die Welt eine andere, eventuell sogar eine gerechtere, friedvollere wäre, wenn sie das Sagen hätten, dazu gibt es kaum Studien. Die, die es gibt, hängen sich an den vermeintlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen auf und lassen meist außer Acht, dass sich nicht alle Menschen mit einem dieser beiden Geschlechter identifizieren.

Friedensstiftende Wirkung

Erforscht wurde beispielsweise, ob es weniger Krieg gibt, wenn Frauen an den Hebeln politischer Macht sitzen. Ein Team der Universität Binghamton wollte herausfinden, wie gewisse Faktoren Frieden beeinflussen: die Geburtenraten, der Anteil berufstätiger Frauen oder die Anzahl der Frauen im Parlament. Die Geburtenrate sollte etwa ein Indikator dafür sein, wie viel Zeit Frauen haben, sich politisch zu engagieren. Die Autorinnen und Autoren gingen in ihrer Untersuchung von der These aus, dass Frauen Waffen eher ablehnen. Befragungen zeigen nämlich, dass Frauen pazifistischer eingestellt sind als Männer und zögerlicher beim Einsatz von militärischen Mitteln. Über das Ergebnis der Studie berichtet das "Katapult"-Magazin: Wenn in zwei Staaten Frauen in der Legislative vertreten sind, sinkt offenbar die Gefahr eines bewaffneten Konflikts zwischen diesen Ländern.

Eine Studie der Uppsala University widmete sich im Jahr 2005 ebenfalls dem Zusammenhang zwischen Geschlechtergleichheit und bewaffneten Konflikten. Der Autor Erik Melander, Professor am Department für Friedens- und Konfliktforschung, kam zu dem Schluss: Frauen als Staatsoberhäupter hätten "keinen statistisch signifikanten" Effekt. Sitzen allerdings mehr Frauen im Parlament, kommt es offenbar seltener zu innerstaatlichen Konflikten. Geschlechtergleichheit habe einen "pacifying impact", eine friedensstiftende Wirkung.

Verschiedene quantitative Studien würden zeigen, "dass Staaten mit einem höheren Prozentsatz an Frauen im Parlament friedlicher sind", fasst die Politikwissenschafterin Margit Bussmann in einem Fachartikel zusammen. "Zusätzlich verweisen Studien auf eine Verbindung zwischen Geschlechtergleichheit auf gesellschaftlicher Ebene und Frieden innerhalb von und zwischen Staaten." Ebenso einen Effekt hätten die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt, ihr Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung. "Die Wahrscheinlichkeit für Konflikte dürfte damit sinken", sagt Bussmann dem STANDARD. "Wobei das nicht für jeden Einzelfall gilt."

Zähe Strukturen

Dass die Welt (geschlechter-)gerechter wäre, würden Frauen regieren, hält Doris Mathilda Lucke jedenfalls für eine Utopie. Das sei viel zu kurz gedacht, zumal Verhalten oft nicht nur geschlechtertypisch sei, sondern häufig auch daraus resultiert, ob die Person einer Mehrheit oder Minderheit angehört. Das hat Lucke – sie ist bis dato die einzige Professorin für Soziologie an der Universität Bonn, und das, obwohl sie ihre Abschlussvorlesung bereits vor vier Jahren gehalten hat – in einem Seminar erlebt, das mehrheitlich von Studentinnen besucht wurde. Studenten hingegen waren eine Minderheit – und haben sich dementsprechend verhalten. Die Männer hätten sich seltener zu Wort gemeldet, leiser gesprochen und sich in der hintersten Ecke des Seminarraums zusammengesetzt.

Dass Frauen anders oder gar besser führen als Männer, denkt Lucke nicht. Trotzdem ist sie überzeugt, dass es künftig mehr Frauen in Führungspositionen braucht. "Alles andere wäre allein aus wirtschaftlicher Perspektive eine Verschwendung an Potenzial." Das liege vor allem daran, dass Frauen immer höhere Qualifikationen haben und dementsprechende Funktionen einnehmen sollten. Sind Frauen in Führungspositionen, wirkt sich das laut Studien im Schnitt auch positiv auf den finanziellen Erfolg von Unternehmen aus.

Soll sich beim Thema Gleichstellung wirklich etwas verändern, genügt es laut Lucke aber nicht, wenn mehr Frauen Führungspositionen übernehmen. Sie müssen auch die Zeit haben, die zähen, männerdominierten Strukturen zu verändern. "Ziehen sie nur das Bestmögliche für sich persönlich aus den vorhandenen Strukturen heraus, wird sich nie etwas ändern", sagt die Professorin.

Ursula von der Leyen, Christine Lagarde, Annalena Baerbock, Johanna Mikl-Leitner, Kamala Harris
Ursula von der Leyen, Christine Lagarde, Annalena Baerbock, Johanna Mikl-Leitner und Kamala Harris sind Frauen in wichtigen Entscheidungspositionen. Was wäre anders, wenn Frauen immer und überall das Sagen hätten?
Fotos: Foto: EPA, APA, Reuters, Imago, AFP, Getty Images; Collage: Lukas Friesenbichler/DER STANDARD

Ähnlich argumentiert die Schriftstellerin Tanja Raich, Herausgeberin des Sammelbandes "Das Paradies ist weiblich. 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben" (Verlag Kein & Aber). Die Autorinnen und Autoren widmen sich dem Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Im STANDARD-Gespräch sagt Raich: "Wenn Frauen an der Macht sind, ändert sich relativ wenig. Die patriarchale Struktur bleibt bestehen und wirkt im Hintergrund." Es müsse sich erst das ganze System ändern, damit sich wirklich etwas tut. Derzeit sei es so: Um aufzusteigen, müssten sich Frauen an die Regeln, an die Werte der Männer anpassen. Somit sei es wahrscheinlich, dass sie sich dann auch so verhalten – das könne man an Politikerinnen beobachten, die heute wichtige Ämter innehaben. Ob sie sich anders verhalten würden, wenn sie einen überproportionalen Teil der Führungspositionen innehätten, bleibt Spekulation.

Frauen als Chefinnen

"Vielleicht verfalle ich hier in ein männliches Klischee, aber ich denke schon", antwortet der Psychologe Louis Lewitan auf die Frage, ob eine von Frauen regierte Welt eine bessere wäre. "Meine Erfahrung ist, dass Frauen weniger herrisch sind und eher Kompromisse schließen, als bis zum bitteren Ende zu gehen, um einen Pyrrhussieg zu erringen", so Lewitan, der Führungskräfte coacht. "Außerdem legen sie weniger Wert auf eitle Statussymbole, und das ist klug." 

Teilnehmenden einer US-amerikanischen Befragung schätzen Chefinnen in vielen Bereichen zudem als kompetenter ein. Die Beratungsfirma Zenger/Folkman hat auf der Basis der Aussagen von 3.876 Männern und 4.779 Frauen die Bewertung von Führungskräften untersucht. Weibliche Führungskräfte schnitten deutlich besser ab, wenn es etwa darum geht, die Initiative zu ergreifen, psychisch widerstandsfähig zu sein und sich selbst und andere weiterzuentwickeln. Ebenfalls gelten sie als ergebnisorientierter, integrer und ehrlicher als ihre männlichen Kollegen. 

Wissenschaftliche Studien hingegen kommen zu einer anderen Einschätzung: Frauen führen nicht wirklich anders. "Die Forschungen zeigen nur kleine Effekte", sagt dazu Tuulia Ortner, Psychologin an der Universität Salzburg. Und der kleine Effekt ließe sich damit erklären, dass Chefinnen eher die gesellschaftliche Erwartung, sich für das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter einzusetzen, erfüllen. "Real verhalten sich Männer und Frauen viel ähnlicher als oft angenommen."

Auch im indischen Meghalaya ist nicht alles eitel Wonne. Anders als im Matriarchat besetzen Frauen in matrilinearen Strukturen nicht automatisch politisch machtvolle Ämter – das machen die Zahlen deutlich: Seit der Gründung 1970 haben ausschließlich Männer regiert, außerdem sind nur drei der insgesamt 60 Abgeordneten im Parlament weiblich. Daniela Schröder schreibt außerdem in ihrem Text, dass die Analphabetenrate bei Frauen höher ist als bei Männern und sie häufig in schlechter bezahlten Berufen arbeiten. Das zeigt, dass sogar matrilineare Gesellschaften noch einen langen Weg vor sich haben, um echte Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen leben zu können. Ob die Welt eine andere wäre, würden Frauen regieren, bleibt damit auch weiterhin eine rein theoretische Frage. (Julia Beirer, Lisa Breit, 19.7.2023)