Vor allem die Corona-Pandemie hat einige Unternehmen dazu gebracht, auf ein neues Arbeitszeitmodell zu setzen. DER STANDARD hat sich in Wien umgesehen und mit drei Firmen gesprochen, wo es bereits die Vier-Tage-Woche gibt.

Whatchado: Vier Tage, aber kein unbeschränkter Urlaub

Seit 2012 unterstützt die Wiener Videoplattform Whatchado junge Menschen bei der Berufsorientierung. Stellenanzeigen werden mit kurzen Video-Interviews verknüpft, in denen Menschen aus ihrem Berufsleben erzählen. Whatchado ist die bekannteste Firma, die Ali Mahlodji mitgegründet hat, dazu kommen weitere wie Future One oder Alido. Menschen im Berufsleben voranzubringen ist zumeist das Hauptanliegen seiner Betriebe.

Man habe die Erfahrungen aus der Corona-bedingten Kurzarbeit genutzt, und seit Anfang 2022 gilt bei all seinen Unternehmen die Viertagewoche. "Wann immer ich davon erzähle, kommt mindestens eine Person später auf mich zu und fragt, ob wir noch Leute brauchen", sagt Mahlodji. Auch in puncto Urlaub blickt er auf Experimente zurück. Nach der Gründung gab es bei Whatchado keine Beschränkung der Urlaubstage. "Ich dachte damals, dass alle damit umgehen können, und war enttäuscht, dass es nicht so war", erzählt der 41-Jährige. "Die meisten kamen aus Systemen, in denen das Absitzen von Arbeit wichtiger war als die Effizienz, und viele hatten ein schlechtes Gewissen, wenn sie mehr Urlaub genommen hätten." Deswegen sei das Konzept nicht fortgeführt worden. Die Viertagewoche sei allerdings ein gangbarer Weg, um eine gute Mischung aus mentaler Gesundheit und Effizienz mit Effektivität zu verbinden. Auch die Produktivität habe nicht nachgelassen.

Alo Mahlodji
Ali Mahlodji hat es auch mit unbegrenztem Urlaub probiert, das kam bei der Belegschaft aber nur bedingt an.
Stefan Joham

Mahlodji geht davon aus, dass sich die Viertagewoche innerhalb der kommenden zehn Jahre durchsetzen kann. Gute Arbeit zu leisten und mehr Lebensqualität zu bekommen sei so auf jeden Fall möglich. Er plädiert jedoch dafür, eine Verkürzung nicht einfach zu verordnen, sondern mit der Belegschaft abzusprechen, was Sinn hat und mit welchen Regeln alle gut leben können.

My Optic: Später aufmachen, längere Pause

In Hietzing sorgt der Optiker Michael Nader dafür, dass seine Kundinnen und Kunden besser sehen. My Optic heißt das Unternehmen, und gearbeitet wird 30 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. Nader hat zwar nur eine Angestellte, doch einen Restrukturierungsbedarf erkannte er in seinem Betrieb dennoch. "Die Idee, die Arbeitszeit probeweise auf 30 Stunden zu reduzieren, ist mir während der Corona-Zeit gekommen. Um Kunden und auch das Team sicher durch diese Zeit zu manövrieren, musste ich Termine vergeben", sagt Nader. Da habe sich gezeigt, dass es zu bestimmten Zeiten überhaupt keinen Bedarf gab. Diesen Leerlauf hat er gestrichen.

Was hat sich geändert? Der Optikermeister sperrt später auf, und es gibt eine längere Pause für Erledigungen. Auf seiner Website bittet er nach wie vor um Terminvereinbarung. Die Kundschaft habe die Änderungen angenommen, und an der Produktivität habe sich nichts geändert. Auf einen wesentlichen Unterschied weist er jedoch hin: "Meine Mitarbeiterin und ich sind beide entspannter, und das merken auch die Kundinnen und Kunden."

Michael Nader ist entspannter, seit er nur noch 30 Stunden arbeitet.
Nader

Hinsichtlich Bewerbungen tut sich bei dem 63-Jährigen eigenen Angaben zufolge momentan nicht viel. Wie in vielen anderen Branchen mangle es an Fachkräften, für ihn sei die Situation aber momentan kein Problem.

Eine allgemeine Empfehlung oder Einschätzung, ob sein System auch in anderen Firmen funktionieren würde, will Nader nicht abgeben. "Das muss jedes Unternehmen selbst ergründen." Er zweifelt jedoch daran, dass sich die Viertagewoche landesweit durchsetzen kann: "Solange ein solcher Schritt nur von den Unternehmern geschultert werden soll, wird das nicht passieren. Es müsste dafür mehr Anreize über die Lohnnebenkosten geben", meint Nader.

Epunkt: Weniger Fluktuation, doppelt so viele Bewerber

Seit vergangenem Herbst arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Recruiting-Unternehmens Epunkt nur noch 34 Stunden pro Woche, verdienen aber weiter gleich viel. Epunkt unterstützt andere Unternehmen dabei, passende Personen für deren offene Stellen zu finden. Allen voran geht es um Führungspositionen und den IT-Bereich.

Wegen einer "Auftragsflut" nach der Corona-Pandemie musste sich Geschäftsführerin Andrea Bertl etwas überlegen, wie sie dem STANDARD jüngst erzählte. Es galt einerseits, rasch neue Leute zu finden, und andererseits die, die bereits da waren, nicht zu verlieren. "Wir brauchten etwas, das als Kleber und Magnet gleichermaßen funktioniert", sagt Bertl. Also entstand die Idee mit der kürzeren Arbeitswoche. Insgesamt 260 Menschen beschäftigt Epunkt mittlerweile und ist damit eines der größten Unternehmen dieser Art in Österreich.

Andrea Bertl hat aus den 34 Stunden Kleber und Magnet gemacht.
epunkt

Das Konzept sieht so aus: Üblicherweise haben Epunkt-Mitarbeiter freitags frei, sollen aber gleich viel arbeiten wie zuvor. An der Zahl der Kundengespräche lasse sich das beispielsweise messen. Wer sein Pensum nicht erreicht, hat also auch am Freitag Dienst – freiwillig am Freitag zu arbeiten sei natürlich auch möglich. Laut Bertl geht es sich aber für den Großteil der Mitarbeiter gut aus.

Um die Aufgaben in der kürzeren Arbeitswoche tatsächlich erfüllen zu können, wurden Zeitfresser identifiziert und gestrichen. Überlange Sitzungen und zu häufige Jour fixes gibt es nun nicht mehr. Ganz so viel wie in fünf Tagen geht sich laut Bertl zwar doch nicht aus, aber 96 Prozent der Belegschaft würden das System beibehalten wollen – und auch ausreichend Pausen seien nach wie vor möglich. Zuletzt stellt sich die Frage der Bewerbungsanzahl und der Fluktuation: Letztere hat sich um ganze zwei Drittel reduziert, Erstere hat sich gar verdoppelt.

Politisches Streitthema

Ganz neu ist die Diskussion rund um eine mögliche Arbeitszeitverkürzung nicht. Aber der neue SPÖ-Chef, Andreas Babler, hat frischen Schwung in die Debatte gebracht. Er fordert eine Viertagewoche bzw. eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Wie nicht anders zu erwarten, gibt es in dieser Diskussion zwei Lager mit sehr unterschiedlichen Meinungen. Die Grünen können der Idee von weniger Stunden ebenfalls einiges abgewinnen, was etwa die 35-Stunden-Woche im grünen Klub zeigt. Auch ÖGB-Chef Wolfgang Katzian schließt sich der Forderung naturgemäß an.

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In naher Zukunft ist wohl nicht damit zu rechnen, dass sich die politischen Akteure auf eine Lösung einigen.
AP/Elise Amendola

Wie und ob diese Forderung überhaupt je zur Realität werden kann, bleibt fraglich. Fest steht nur, dass es politisch ein sehr langer Weg wäre. Denn sowohl ÖVP als auch Neos sind klar gegen eine allgemeine Viertagewoche. Dem schließen sich auch die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung an. Auch die FPÖ ist dagegen, ihr zufolge sollte die Wahl den Unternehmen selbst überlassen werden. Wirtschaftsminister Martin Kocher etwa verwies kürzlich auf den akuten Mangel in so vielen Branchen – nicht nur in der Gastronomie. Es fehlt an Handwerkern, Industriefachkräften, Lehrerinnen und Pflegern. So sieht es auch die Ökonomin Monika Köppl-Turyna:Ihr zufolge wäre die Arbeitszeitreduktion kontraproduktiv und würde den Arbeitskräftemangel verstärken.

Es gehe darum, dass genug gearbeitet und geleistet wird, um den Sozialstaat zu erhalten. Holger Bonin, Chef des Instituts für Höhere Studien, bezeichnete die Debatte als "Luxusdiskussion". "Wenn wir über eine Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich sprechen, setzen wir voraus, dass die Produktivität in vier Tagen genauso hoch ist wie in fünf. Das gilt aber bei weitem nicht für alle Berufe. Ein Koch kann nicht in vier Tagen genauso viele Essen kochen wie in fünf." (Andreas Danzer, 22.6.2023)