Flo Vintage
Vintage-Liebhaberin Ingrid Raab gründete das "Flo", heute ist es eine Institution.
Regine Hendrich

"Einmal sind zwei Frauen ins Geschäft gekommen, die nur Englisch gesprochen haben. Typische britische Touristinnen, hab ich mir gedacht. Unfreundlich, sie haben nicht einmal gegrüßt. Die eine war am Telefon, hat dauernd hineingebellt und dabei die Kleider durchgeschaut und immer wieder welche herausgenommen, die hat sie dann der zweiten Frau aufgeladen, und wie sie fertig war, ist sie grußlos raus. Die zweite Dame hat mir den Haufen auf die Budel gelegt und um die Gesamtrechnung gebeten. Am nächsten Tag waren dann ein paar junge Mode-Influencer da, Stammkunden von mir, die haben gesagt: ,Ingrid, wir haben gehört, dass gestern Stella McCartney bei dir eingekauft hat, das ist ja ein Wahnsinn!!‘ Da hab ich lachen müssen – ich hab sie echt nicht erkannt!"

Dabei ist Ingrid Raab, Erfinderin, Gründerin, Expertin und Chefin von "Flo – Nostalgische Mode" in der Schleifmühlgasse auf der Wieden hohen Besuch durchaus gewohnt: Immer wieder kommen namhafte Designerinnen, Kostümbildnerinnen und Stylistinnen in den kleinen Shop, um einzukaufen oder sich Inspirationen zu holen. "Für eine seiner Chanel-Kollektionen hat Karl Lagerfeld bei mir eine ganze Batterie aus alten Hotel-Sacher-Dienstuniformen aufkaufen lassen, die dann bei seiner Modeschau gemeinsam mit den aktuellen Kollektionen präsentiert wurden. Das war natürlich eine Referenz auf Coco Chanel, die ihr berühmtes Chanel-Kostüm ja an die Pagenuniformen von Luxushotels angelehnt hat."

Sag niemals Secondhand zu mir

Heute ist "Vintage-Mode" ein Riesentrend, online wie offline boomen die Shops, sogar die Fast-Fashion-Riesen setzen sich drauf. Als Ingrid Raab ihr Geschäft eröffnete – heuer feiert sie das 45-Jahr-Jubiläum –, gab es noch nicht einmal einen Namen dafür. Damals hieß der Shop schlicht "Nostalgische Mode", das "Vintage" über der Tür kam erst viel später dazu. Und den Begriff "Secondhand" will Raab auf keinen Fall hören: "Das ist wie ,Altwaren‘ und ,Antiquitäten‘. Wer zu meiner Ware ,Secondhand‘ sagt, der beleidigt mich."

Flo Vintage
Jede Menge Schätze gibt es im "Flo" zu entdecken.
Regine Hendrich

Leider werde auch das Wort "Vintage" mittlerweile viel zu inflationär verwendet, meint sie: "Jeder bezeichnet heute schon seine Flohmarktware als ,Vintage‘. Das ist schade, weil so ein Begriff verwässert wird, der eigentlich nur für Hochwertiges verwendet werden sollte. Ursprünglich stammt er ja aus dem Weinbau, damit beschreibt man die besten Jahrgänge."

Regine Hendrich

Aber wie kam es zu der Idee, damals im Jahre 1978 ein Geschäft zu eröffnen für Ware, für die es noch kein Wort gab? "Ich war damals Journalistin und Redakteurin beim ORF, aber ich hab mich immer schwergetan mit dem System, dafür bin ich wohl zu sensibel. Und dann hab ich eine Doku gemacht zum Thema Nachhaltigkeit, der Aufhänger war der Modeschöpfer Jean-Charles de Castelbajac, der eine Kollektion aus Verpackungsmaterialien gemacht hat – Jacken aus Spitalsdecken, Overalls aus Schutzkleidung, Abendkleider aus Netzverpackungen … und während der Filmaufnahmen sind mir in London, Paris und Mailand so kleine Geschäfte aufgefallen mit 20er- und 30er-Jahre-Mode, und sowas gab’s in Wien einfach nicht. Da hab ich mir gesagt: ,Jetzt probier ich’s! Wenn’s nicht geht, dann geht’s halt nicht.‘"

Flo Vintage
Im Shop gibts nur Damenmode "aus den 1880ern bis zu den 1980ern", außer es handelt sich um besonders bemerkenswerte Stücke.
Regine Hendrich

Das erste Flo-Geschäftslokal lag im 14. Bezirk in der Penzinger Straße, "nicht weit vom Reinhardt-Seminar, das waren meine ersten Kunden. Einige sind mir bis heute treu geblieben!" Doch schon bald siedelte Raab in die Schleifmühlgasse um. Das Freihausviertel war damals zwar schon eine beliebte Fortgehmeile, aber noch längst nicht das "Bobo-Grätzel" das es heute ist. "Damals gab’s hier sogar noch zwei Huren. Die waren hinreißend, ich hab die geliebt! Beide waren so um die 60, die eine hat angeschafft, damit sich ihr Sohn weiter den Jaguar leisten kann, die andere, weil sie ihre Krebstherapie zahlen musste. Wir sind oft zusammengesessen im Gasthaus Anzengruber." Der Name Flo hat, so einprägsam er ist, übrigens keine tiefere Bedeutung: "Ich hab die Gesichter der Buchstaben in dieser Reihenfolge und im Stil der 20er interessant gefunden", erzählt Raab. "Beim F sind nur die Augen sichtbar, beim L das halbe Gesicht – und das O ist ein Gesicht mit Pelzkragen."

Die erste Ware bekam Raab über Altwarenhändler und Wohnungsräumungen bei Verlassenschaften. "Damals wurden ja nur die Möbel weiterverkauft, alles, was drin war, wurde weggeworfen. Ich hab gefragt, ob ich die Kleiderschränke durchschauen kann – da habe ich so manchen Schatz gefunden. Ich bin auch in Fabriken gefahren, wo aus Altkleidern Putzfetzen hergestellt wurden, und hab mich dort durch ganze Lagerhallen voller Säcke durchgesucht. Dann hab ich alles gewaschen und wenn notwendig repariert." Ihr enormes Fachwissen hat sich die Handelsschulenabsolventin selbst angeeignet: "Ich bin Autodidaktin. Ich habe Bücher gelesen, mit vielen Menschen geredet, und vor allem stand ,Learning by doing‘. Irgendwann kriegt man ein G’spür dafür – wenn man viele Stoffe angreift, weiß man irgendwann mal, ob es Seide ist oder Kunststoff."

Flo Vintage
Nicht alles ist verkäuflich, manche Teile sind integraler, stolz präsentierter Teil des Geschäfts
Regine Hendrich

Heute kommen die Kleider von alleine – die meisten sind Kommissionsware, ausgesucht und kuratiert von der Chefin. Dabei gibt’s strenge Kriterien: Im Shop gibts nur Damenmode "aus den 1880ern bis zu den 1980ern", außer es handelt sich um besonders bemerkenswerte Stücke. Kunstfaser ist eher nicht erwünscht, und die Stücke sollen, so gut es geht, den Charakter ihrer Zeit vermitteln. Dazu gibt’s auch Accessoires wie Vintage-Modeschmuck, Hüte, Sonnenbrillen und Handtaschen: "Alles, was man am Körper trägt."

Sisis Stiefel, Marilyns Badeanzug

Die Auswahl im Geschäft ist riesig, dazu gibt es ums Eck auch noch ein Lager voller textiler Schätze. Aber nicht alles ist verkäuflich, manche Teile sind integraler, stolz präsentierter Teil des Geschäfts: wie zum Beispiel ein Paar originale weiße Lederstiefeletten von Kaiserin Sisi, in Schuhgröße 40 ("Sie hat sich sehr geniert für ihre großen Füße, damals waren ja kleine Füße das Schönheitsideal!"), ein Goldlamé-Badeanzug von Marilyn Monroe herself ("Das war ein Geburtstagsgeschenk von meinem Sohn, der ist Fotograf in Los Angeles"), ein paar Flapper-Kleider aus den 1920er-Jahren, ein Metalloberteil von Paco Rabanne, ein hinreißendes Vivienne-Westwood-Ensemble aus den 80ern und, Raabs besondere Leidenschaft, eine kleine Sammlung von Originalstücken des österreichischen Modepioniers Rudi Gernreich, der 1938 vor den Nazis in die USA flüchtete und dort zu einem der bis heute einflussreichsten Modedesigner avancierte.

Die Kundschaft rekrutiert sich heutzutage vor allem aus Touristinnen und Modefans, die oft eigens wegen "der Flo" ins Grätzl kommen – der Shop ist international bekannt und in vielen Reiseführern vertreten. Das mit dem "Der Prophet gilt nichts im eigenen Land" kennt Raab ganz gut, zum heimischen Publikum hat sie ein gespaltenes Verhältnis: "Die Wienerin ist nicht sehr experimentierfreudig. Sie ist auch sehr zurückhaltend bei allem, was gebraucht ist. Dabei war Wien immer schon eine Stadt der Mode. Aber die Wienerin ist halt eine schwierige Kundin." (Gini Brenner, 20.6.2023)