Es gibt eine Menge Tierarten auf der Welt, über die man so gut wie nichts weiß: etwa weil sie extrem klein sind oder sehr selten oder an schwer zugänglichen Orten leben. Für Giraffen, die am 21. Juni mit einem eigenen Welttag gefeiert werden, gilt nichts davon. Und doch ist vieles in ihrem Leben bis heute ein Rätsel, nicht zuletzt, wie sie miteinander kommunizieren. Ein vom Forschungsfonds FWF gefördertes Projekt soll nun Licht in dieses spezielle Dunkel bringen.

Giraffen können summen
Giraffen sind nicht stumm, sie summen in der Nacht
IMAGO/YAY Images

Giraffen (Giraffa camelopardalis) kommen ausschließlich in den afrikanischen Savannen vor, wo sie sich vorwiegend von Blättern ernähren. Männchen können bis zu sechs Meter hoch werden und wiegen rund 1,5 Tonnen, während Weibchen bis zu 4,5 Meter hoch sein können und etwa die Hälfte auf die Waage bringen.

Noch bis vor rund 15 Jahren galten die Tiere als Einzelgänger, doch wie sich mittlerweile herausgestellt hat, leben sie in sogenannten Fission-Fusion-Sozialsystemen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sich immer wieder kleinere Gruppen unterschiedlicher Zusammensetzung abspalten, sich aber auch der ganze Verband in unregelmäßigen Abständen wiederholt zusammenfindet.

Die Mitglieder solcher Systeme sind dabei nicht zufällig zusammengewürfelt, sondern kennen sich und kommunizieren gewöhnlich auf die eine oder andere Art miteinander. Von Afrikanischen Elefanten etwa, die ebenfalls in solchen Sozialstrukturen leben, weiß man seit einiger Zeit, dass sie sich mittels Infraschall über Kilometer hinweg miteinander verständigen können.

Die Stimme der Giraffe

Giraffen hingegen gelten als sehr schweigsam, um nicht zu sagen: stumm. Anton Baotic, jahrelang Forscher am Mammal Communication Lab der Universität Wien und nun am Schallforschungsinstitut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig, entdeckte allerdings vor mehr als zehn Jahren im Tierpark Berlin, dass sie fallweise ein niederfrequentes Summen von sich geben – offenbar nur in der Nacht.

Forscher Anton Baotic nimmt Giraffen akustisch auf
Forscher Anton Baotic entdeckte im Zoo, dass Giraffen in der Nacht Laute von sich geben.
Phil Coles

Das Spektrogramm zeigt, dass es sich dabei nicht um einen einfachen Laut wie Schnauben oder Husten handelt, sondern um ein Erzeugnis der Stimmbänder, das entsprechend moduliert werden kann.

Dass Giraffen nur bei Dunkelheit auf lautliche Kommunikation zurückgreifen, ist aus wissenschaftlicher Sicht keine völlige Überraschung. "Aus anatomischer Sicht haben sie sehr gute Augen, mit denen sie mehrere Hundert Meter weit sehen können. Möglicherweise reicht das für den Gruppenzusammenhalt tagsüber aus", erklärt Baotic.

Bei nächtlichen Tonaufzeichnungen im Tiergarten Schönbrunn und im Zoo von Kopenhagen konnte Baotic das Summen ebenfalls dokumentieren, aber da keine Kameras eingesetzt wurden, ist nach wie vor unklar, welche Individuen unter welchen Umständen Laute von sich geben. Doch genau das soll sich nun ändern: In einem kürzlich gestarteten FWF-Projekt will Baotic die Bedeutung der Akustik für das Verhalten von Giraffen klären.

Bisher keine akustische Forschung

Dass es eine solche Bedeutung gibt, steht für ihn fest: Als er das Summen der Zootiere einem wildlebenden Giraffenweibchen vorspielte, reagierte dieses mit Erregung darauf und ging schließlich auf den im Busch versteckten Lautsprecher zu. Auf Youtube existiert außerdem ein Video, auf dem eine Giraffenmutter einen Löwen vertreibt, der ihr Junges attackiert, und ihn dabei anbrüllt.

Von solchen Anekdoten abgesehen, gibt es bisher keine Forschung zu akustischen Signalen bei Giraffen. Das mag auch der Komplexität des Unterfangens geschuldet sein. "Bei Giraffen kann man nicht mit einer einzigen Methode arbeiten", ist der Forscher überzeugt, "man benötigt eine Kombination aus mehreren Werkzeugen."

Giraffe blickt interessiert in die Kamera.
Auch in der freien Natur reagierten die Tiere auf die vorgespielten niederfrequenten Laute.
EPA/Yander Zamora

Dazu braucht es aber zuerst einmal genau dokumentierte Aufzeichnungen von Lautäußerungen. Diese sollen im Zoo Berlin gewonnen werden, der einen Giraffenbullen auf das Tragen eines Kopfhalfters trainiert hat, mit dem eigentlich Kopf- und Nackenbewegungen erfasst werden sollen. Nun werden daran auch ein GPS-Sender und ein Mikrofon befestigt. Zusätzlich unterstützte der Zoo Berlin Baotic auch dabei, je zwei wildlebende männliche und weibliche Giraffen in Südafrika mit Halftern auszustatten.

Anfang Juli werden die Konstruktionen geöffnet. Dann ist Baotic wieder vor Ort, um sie aufzusammeln und die hoffentlich darauf gespeicherten Daten auszulesen. In der Folge sollen wissenschaftliche Playback-Experimente Aufklärung darüber bringen, inwieweit Giraffen aus dem Summen ihrer Artgenossen Informationen gewinnen können, wie deren Geschlecht, Alter oder Individualität. Zusätzlich will Baotic untersuchen, ob sie auf Lautäußerungen anderer Tiere reagieren, etwa auf das Brüllen von Löwen, die ihre einzigen ernstzunehmenden Feinde darstellen, oder auf Rufe von Antilopen, die vor Beutegreifern warnen.

Forscher Anton Baotic, im Hintergrund zwei Giraffen in freier Wildbahn.
Anton Baotic forscht auch im Feld im natürlichen Habitat der Giraffen.
Anton Baotic

Was sich bis jetzt allerdings in keiner Weise bestätigt hat, ist das hartnäckige Gerücht, dass sich Giraffen – wie Elefanten – mittels Infraschall über weite Strecken verständigen könnten. "Wir haben keinerlei Hinweise darauf gefunden", betont Baotic, der außerdem bezweifelt, dass die Tiere die nötige Masse haben, um so tiefe Schwingungen zu erzeugen. Auch die lange vorherrschende Behauptung, Giraffen seien stumm, weil ihr Hals zu lang sei, um den für die Lauterzeugung nötigen Luftstrom aufrechtzuerhalten, quittiert Baotic mit Kopfschütteln: "Das ist einfach nicht wahr."

Nur mehr 120.000 Giraffen übrig

Die Erkenntnisse aus dem Projekt sollen nicht nur das prinzipielle Wissen über die charismatischen Tiere erweitern, sondern könnten auch für Zoos interessant sein, um die Haltungsbedingungen weiter zu verbessern. In freier Wildbahn ist es um die Tiere leider nicht so gut bestellt. Denn es gibt nur noch ungefähr 120.000 von ihnen.

Der Bestand nimmt kontinuierlich ab, in den vergangenen 30 Jahren ist er Schätzungen zufolge um 30 bis 40 Prozent gesunken. Der Weltgiraffentag soll das Bewusstsein für die Tiere erhöhen: "Sie sind nicht nur umherwandernde Statisten der Savanne", betont Baotic, "sondern sehr soziale Wesen. Wir müssen wissensbasiert handeln, um sie vor dem stillen Aussterben zu bewahren." (Susanne Strnadl, 21.6.2023)