Ein Stahlarbeiter in Schutzkleidung hat eine Kelle mit flüssigem, gleißendem Metall in den Händen.
Auch die Stahlerzeugung könnte bald auf nachhaltige Produktion umgestellt werden. Dazu bräuchte es grün erzeugten Wasserstoff.
APA/HANS KLAUS TECHT

Thomas Kienberger ist optimistisch: "Scheitern werden wir nicht – auch wenn es schon noch einige Hürden gibt." Der Professor für Energieverbundtechnik an der Montanuniversität Leoben ist einer der führenden wissenschaftlichen Proponenten im Projekt Nefi. Das Akronym steht für "New Energy for Industry" und ist ein Innovationsverbund aus AIT (Austrian Institute of Technology), Montanuniversität Leoben, Oberösterreichischem Energiesparverband und der Standortagentur Business Upper Austria.

Gemeinsam mit rund 80 Unternehmen und 14 Forschungsinstitutionen werden Szenarien für eine klimaneutrale Energiezukunft der österreichischen Industrie erarbeitet. Fördermittel stammen etwa aus dem Klima- und Energiefonds des Klimaministeriums.

Das Interessante dabei: Die Transformation ist möglich. Die Berechnungen, die im Rahmen des Projekts durchgeführt wurden, bauen selbst für das Null-Emissionen-Szenario auf bereits bekannten Technologien auf. Die dafür notwendigen "Breakthrough-Technologien" seien zwar zum Teil noch im Labor- oder Demonstrationsmaßstab, ihre Marktreife werden sie aber in den nächsten 20 bis 30 Jahren erreichen, sagt Kienberger.

Von 28 Millionen Tonnen auf null

Mit diesen technologischen Bedingungen ist es für die österreichische Industrie also möglich, ihren gesamten Energieverbrauch aus erneuerbaren Quellen zu bestreiten und den Ausstoß von derzeit 28 Millionen Tonnen CO2 jährlich auf null zu bringen – inklusive prozessbedingter CO2-Quellen. Laut Kienberger liegen die Herausforderungen also weniger im technologischen Bereich als in den wenig definierten unsicheren Rahmenbedingungen.

Für die Dekarbonisierung muss etwa in Industriebereichen wie der Papier-, Textil- und Pharmaindustrie, die eine Prozesswärme bis zu 200 Grad Celsius benötigen, der Umstieg von Erdgas auf Hochtemperatur-Wärmepumpen erfolgen. Obwohl diese bereits weit entwickelt sind, werden weitere Fortschritte erwartet. Kienberger: "Die Industrie muss durch öffentliche Förderprogramme bei Innovationszyklen unterstützt werden, damit sie frühzeitig auf heute noch teurere, aber klimaneutrale Technologien umstellen kann."

Klimaneutrale Stahlindustrie

Ein weiterer Aspekt betrifft die Energieimporte. Um die Stahlindustrie klimaneutral zu gestalten, könnte das Rohprodukt, der Eisenschwamm, mit grünem Wasserstoff reduziert werden. Der neue Rohstoff wird dann im Elektrolichtbogenofen gemeinsam mit viel Recyclingschrott und grünem Strom zu Stahl umgeschmolzen. Da Österreich aber selbst bei hervorragendem Ausbau erneuerbarer Energiequellen nicht genügend erneuerbaren Strom und grünen Wasserstoff aus heimischen Quellen wird bereitstellen können, müssen stabile und diversifizierte Energieimport-Routen geschaffen werden.

"Am Speichern von Kohlendioxid auch in Österreich führt wohl kein Weg vorbei." Thomas Kienberger, Montanuniversität Leoben

Eine Möglichkeit sind Importe aus wind- und sonnenreichen Regionen wie Nordeuropa, Nordafrika, Vorderasien oder Lateinamerika. Die nachhaltige Beschaffung von erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff sieht Kienberger als einen wichtigen Teil der öffentlichen Sicherstellung industrieller Rahmenbedingungen. "Das ist nicht nur ein österreichisches, sondern ein europäisches Projekt."

Ein weiterer Schwerpunkt sind Rahmenbedingungen für Carbon Capture Utilization (CCU) und Carbon Capture Storage (CCS). Um etwa die Zementindustrie, die für rund fünf Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich ist, zu dekarbonisieren, genügt es nicht, ihre Brennöfen mit erneuerbaren Energiequellen zu betreiben. Denn viel CO2 entweicht im Produktionsprozess selbst, wenn Kalkstein zu Klinker, dem Rohprodukt für Zement, gebrannt wird.

Um es nicht in die Atmosphäre entweichen zu lassen, muss das Kohlendioxid in Rauchgasanlagen abgeschieden und dann gespeichert werden. Da bei einer Tonne Zement bis zu eine halbe Tonne Kohlendioxid anfällt, müsse man sich über den Bau von Kohlendioxid-Pipelines Gedanken machen.

Röhre statt Schiene

"Mit der Bahn lassen sich solche Mengen nicht mehr transportieren", sagt Kienberger. Mit Pipelines könnte die Zementindustrie das Klimagas etwa in Richtung deutsche Nordsee verfrachten, wo die Speicherung in leeren Ölfeldern vorbereitet werden könne. Gleichzeitig müssten Szenarien entwickelt werden, die das Kohlendioxid der Zementindustrie als Rohstoff für andere Industrien verwendbar macht.

Durch chemische Kombination mit grünem Wasserstoff könnte aus Zement-CO2 kurz- wie langkettiger Kohlenwasserstoff produziert werden, etwa vielfältige Kunststoffe, Bitumen für den Straßenbau oder Kerosin für die Luftfahrt. Gleichzeitig wäre es auch wichtig, über eine Gesetzesänderung nachzudenken, die das Speichern von Kohlendioxid auch in Österreich erlaube. "Daran führt wohl kein Weg vorbei", meint Kienberger.

Obwohl noch einige rechtliche Rahmenbedingungen fehlen, ist Kienberger optimistisch und sieht "Bewegung im Diskurs". Mit gutem Willen könnte die österreichische Industrie bereits vor 2050 oder sogar bis 2040 klimaneutral werden. "Jede frühere Umsetzung wäre von Vorteil." Industrie und Politik müssten jedoch gemeinsam handeln, um die Rahmenbedingungen für die Transformation hin zur Klimaneutralität zu schaffen. (Norbert Regitnig-Tillian, 26.6.2023)