Ein Mann, der nur in Umrissen erkennbar ist, hält sein Smartphone ans Ohr.
Ausgelöst hat das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ein Kärntner Manager, gegen den wegen Untreue ermittelt wurde.
EPA/Yahya Arhab

Es ist keine der großen "clamorosen" Causen, sondern ein regionaler Fall aus Kärnten, der nun Schwung in die Debatte rund um Handy-Sicherstellungen bringt. Seit Monaten diskutiert die österreichische Politik ja über heikle juristische Fragen: Sind die Hürden für die Beschlagnahme von Smartphones und Co zu niedrig? Sollen Chats und Bilder nur unter bestimmten, strengen Voraussetzungen ausgelesen werden dürfen?

In dem aktuellen Verfahren gegen einen Kärntner Manager, dem Untreue vorgeworfen wurde, standen genau diese Fragen zur Debatte. Dem Mann war im Juli 2021 das Smartphone abgenommen worden. Wenig später beschwerte er sich bei Gericht: Handys können bereits "unter geringsten Voraussetzungen" sichergestellt werden, die Ermittlungsmaßnahme erlaube aber einen umfassenden Eingriff in die Privatsphäre, beklagte der Manager. Die aktuelle Rechtslage sei verfassungswidrig, weil sie gegen das Recht auf Privatleben und gegen den Datenschutz verstoße.

Regierung sieht kein Problem

Am Donnerstag verhandelte der Verfassungsgerichtsgerichtshof (VfGH) nun öffentlich über den Antrag des Managers. Geprüft wurden zentrale Bestimmungen der Strafprozessordnung, die die Sicherstellungen von Gegenständen regeln. Hebt der VfGH die Gesetzesstellen auf, müsste das Parlament höhere Hürden für Handy-Abnahmen einziehen, zum Beispiel über eine vorausgehende Prüfung durch ein Gericht. Eine Entscheidung wird erst in den kommenden Wochen oder Monaten erwartet.

Geladen waren neben den Anwälten Richard Soyer und Philip Marsch, die den beschuldigten Manager verteidigten, auch eine Vertreterin des Verfassungsdienstes im Kanzleramt und ein Vertreter des Justizministeriums. Beide argumentierten – wie bei Regierungsvertretern üblich –, dass die aktuelle Rechtslage verfassungskonform sei. In der Regierung selbst hatte es ja zuletzt unterschiedliche Meinungen gegeben: ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler forderte strengere Regeln für Sicherstellungen, Justizministerin Alma Zadić (Grüne) zeigte sich kritisch.

Trick für die Entschlüsselung

Die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter interessierten sich am Donnerstag in der Verhandlung vor allem für technische Fragen. Sobald Handys beschlagnahmt werden, bringen Informatikerinnen und Informatiker der Polizei die Geräte möglichst schnell in den Offlinemodus, erklärte Daniel Buchberger, IT-Forensiker im Bundeskriminalamt. Das soll verhindern, dass Verdächtige ihre Daten über einen Fernzugriff löschen.

Ist auf dem Gerät ein Sperrcode hinterlegt, geht die Behörde mit einem "Trial and Error"-Prinzip vor. Sie probiert mithilfe einer Software unterschiedliche Codes aus und versucht, möglichst rasch den richtigen zu finden. Meist sei man innerhalb weniger Stunden fertig, theoretisch könne das aber auch Jahre dauern, erklärte Buchberger. "Die Zeit ist der einzige limitierende Faktor." Kommen neue Smartphones auf den Markt, dauere es meist ein halbes Jahr, bis ein Weg zur Entschlüsselung gefunden werde.

Bekanntgeben müssen Verdächtige, deren Handys sichergestellt werden, ihren Code übrigens nicht, bestätigte Christian Manquet, ein hochrangiger Beamte aus dem Justizministerium. "Das würde gegen das Verbot der Selbstbezichtigung sprechen, wonach sich Beschuldigte nicht selbst belasten müssen." Dasselbe gilt aus Sicht der Bundesregierung für Smartphones, die über Fingerabdrücke oder Gesichtserkennung gesperrt sind. In der Praxis habe die Polizei aber Wege gefunden, doch zu dem Code zu gelangen, erklärte Anwalt Marsch. "Mitunter wird Beschuldigten dazu geraten, mit ihrem Handy einen Anwalt anzurufen. Und beim Entsperren schaut dann ein Beamter auf den Bildschirm."

"Kein Rechtsschutz"

Derzeit gelten Smartphones oder Laptops rechtlich als "Gegenstände". Sie können damit ähnlich wie Messer oder Gläser unter relativ einfachen Bedingungen sichergestellt werden. Zuletzt kritisierte vor allem die Anwaltskammer, dass die Sicherstellung von Smartphones mittlerweile einer "echten" Telefonüberwachung nahekomme, weil Menschen heutzutage praktisch ihr ganzes Leben auf dem Smartphone dokumentieren. Für die direkte Überwachung von Nachrichten oder Telefonaten in Echtzeit gelten allerdings viel strengere Regeln.

Aus Sicht der Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung bestehe dennoch ausreichend Rechtsschutz. Beschuldigte können im Nachhinein eine richterliche Überprüfung anfordern. Zudem hätten sie über die Strafprozessordnung und das Datenschutzrecht Anspruch darauf, über die Auswertung der Daten genau informiert zu werden. Mit laufenden, geheimen Überwachungsmaßnahmen wie einem Bundestrojaner sei eine Sicherstellung nicht vergleichbar.

Anwalt Richard Soyer sah das naturgemäß anders. Aus seiner Sicht liegt ein Rechtsschutzdefizit vor, weil Beschuldigte de facto kaum Möglichkeiten haben, Einblick in die Datenauswertung zu bekommen. Oft dauere diese Monate, wenn nicht Jahre. Zudem können sich Beschuldigte nie vollends darauf verlassen, dass die Staatsanwaltschaft auch Daten berücksichtigt, die die strafrechtlichen Vorwürfe entkräften. Bei derart schweren Eingriffen in Grundrechte brauche es genaue gesetzliche Regelungen, die derzeit fehlen, argumentierte Soyer.

Die politische Debatte über Handy-Sicherstellungen sieht der Anwalt dennoch kritisch: Bisher seien vor allem Personen betroffen gewesen, die keinen politischen Druck machen können. "Gehört wird die Kritik erst, seitdem das ein Thema für bestimmte andere Kreise geworden ist", sagte Soyer und meinte wohl hochrangige Beamte und Politiker. "Ich bin jedenfalls froh, dass wir heute keinen clamorosen Fall, sondern einen regionalen Fall vorlegen durften."

Hitzige politische Debatte

Die Rechtsanwaltskammer hatte vergangenen Herbst vorgeschlagen, die Regeln für die Sicherstellung von Datenträgern an jene der "echten" Nachrichtenüberwachung anzugleichen. Voraussetzung für Handy-Sicherstellungen wäre somit ein "dringender Verdacht". Zudem wären Abnahmen und Auswertungen nur dann zulässig, wenn die betroffene Person eine Straftat begangen hat, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden kann.

Justizministerin Zadić reagierte damals zurückhaltend auf den Vorschlag. Beschuldigte könnten sich auch jetzt schon gegen Handy-Sicherstellungen bei Gericht wehren, betonte die Ministerin. Die wichtigsten Anwendungsbereiche seien zudem organisierte Kriminalität, häusliche Gewalt und Kinderpornografie. "Diese Ermittlungen dürfen wir nicht gefährden", sagte Zadić.

Ähnlich argumentierte die Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. "Der Fokus liegt jetzt stark auf großen Wirtschaftsverfahren, wir müssen aber alle Deliktsbereiche im Fokus behalten", sagte deren Vizepräsident Bernd Ziska dem STANDARD. Lasse man Handy-Auswertungen nur bei Delikten ab einem Jahr Freiheitsstrafe zu, wären gefährliche Drohung, Stalking oder Verleumdung nicht erfasst.

Aufgekommen ist die Debatte zuletzt auch im Zuge der Forderungen des Innenministeriums nach einem Staatstrojaner bzw. neuen Möglichkeiten zur Nachrichtenüberwachung. Die Grünen reagierten mit einem Hinweis auf die ÖVP-Position bei herkömmlichen Handy-Sicherstellungen: "Von den Forderungen des ÖVP geführten Innenministeriums sind wir überrascht, da sich die Partei zuletzt stets gegen die Auswertung von Chats und Mobiltelefonen gewehrt hat." (Jakob Pflügl, 22.6.2023)