Sollen Bäume klagen können? Diese durchaus abstrus klingende Frage warf Christopher D. Stone in seinem gleichnamigen Essay "Should Trees Have Standing?" bereits im Jahr 1972 auf. Der US-amerikanische Rechtsprofessor spricht sich darin für die Eigenrechte der Natur aus. Bäume sollen ihm zufolge wachsen und zu Wäldern gedeihen, Flüsse in ihrem Lauf fließen können.

Um das zu ermöglichen, argumentiert Stone, müsse Bäumen, Flüssen, Meeren und anderen sogenannten Natureinheiten der rechtliche Status eines "Subjekts mit eigenem Wert" zuerkannt werden. Der Grund: Nur Rechtssubjekte können ihre Rechte auch vor Gericht einklagen und vertreten.

Bis zum Ende seines Lebens – Stone verstarb 2021 im 84. Lebensjahr – konnte er sich nicht durchsetzen. Ungehört blieben seine Forderungen dennoch nicht. Immer wieder diskutieren Umweltrechtlerinnen und Umweltrechtler seine Idee. Aktuell argumentieren die beiden Autorinnen Laura Burgers und Jessica den Outer in ihrem Buch Das Meer klagt an! (Hirzel-Verlag) dafür, der Natur eigene Rechte zu verleihen.

Fluss Whanganui in Neuseeland
Der Fluss Whanganui in Neuseeland hat ein eigenes Persönlichkeitsrecht.
AP / Brett Phibbs / Phibbs Visuals Limited

Von Ecuador bis Bangladesch

"In westlichen Rechtssystemen wird die Natur traditionell als Objekt oder nicht relevant angesehen. Das sollte sich ändern", sagt Laura Burgers im STANDARD-Gespräch. Burgers und den Outer stellen daher neben ihrer Forderung Bewegungen, Kampagnen und Rechtsprechungen im Sinne der Natur rund um den Globus vor. Aktuell gebe es rund 400 Beispiele, die die Rechte der Natur auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene durchsetzten. "Es scheint, als würde jeden Monat ein weiteres Land, eine Gemeinde oder eine Region die Rechte der Natur erkennen", schreiben die Autorinnen.

In Ecuador etwa hat das "Recht auf die vollständige Respektierung der Existenz von Mutter Erde" mittlerweile Verfassungsrang, und Uganda hat der Natur als erstes afrikanisches Land Rechte auf nationaler Ebene anerkannt.

In Neuseeland sind der Wald Te Urewera, der Berg Taranaki und der Fluss Whanganui zu eigenständigen Rechtspersonen erklärt worden. Das begründet sich auch darin, dass indigene Völker zu Wald, Berg und Fluss eine religiöse und spirituelle Verbindung haben. In Indien erklärte ein staatliches Gericht aus ähnlichen Gründen die heiligen Flüsse Yamuna und Ganges zu Rechtspersönlichkeiten. Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil allerdings wieder auf.

In Bangladesch hingegen ist die Ausgangssituation eine andere. Die Flüsse dort haben keinen kulturellen oder religiösen Wert, sie sind laut den Autorinnen schlicht verschmutzt. Dem stellt sich nun ein Urteil des Obersten Gerichtshofs schützend entgegen, indem es über 200 Flüssen Rechte verleiht.

Europa debattiert

Europa hingegen hinke hinterher. Laut den beiden Autorinnen sind die Rechte der Natur kaum institutionalisiert. Es gebe Umweltrechte – diese würden aber viel mehr aus Pflichten für Menschen anstatt Rechten für die Natur bestehen. Burgers und den Outer erkennen zwar Bemühungen, dies zu ändern – in Spanien hat beispielsweise die Salzlagune Mar Menor seit vergangenem September den Rechtsstatus einer Person, außerdem werden in Schweden schützende Rechte für den See Vättern, in Ungarn für den Plattensee und in den Niederlanden für das Wattenmeer diskutiert –, trotzdem falle die tatsächliche Anerkennung von Naturrechten in Europa eher gering aus.

Dem stimmt auch Erika Wagner zu. Sie leitet das Institut für Umweltrecht an der Johannes-Kepler-Universität Linz und spricht sich dafür aus, besonders schützenswerte Teile der Natur als Rechtssubjekte anzuerkennen. Nur so sei der "dramatische Biodiversitätsschwund" aufzuhalten. Die bisherigen juristischen Instrumente würden die ökologischen Interessen nicht ausreichend schützen.

Zu diesem Schluss kommt die Umweltrechtlerin im Rahmen eines Forschungsprojektes. Konkret gehe es nicht darum, jedem Strauch und jedem Grashalm Rechte zuzusprechen oder jeden Acker zu fragen, ob er beackert werden möchte. Vielmehr müsse im Fokus stehen, besonders schützenswerte Ökosysteme, Gewässer und Landschaften, wie etwa die Alpen oder Gletscher, mit Rechten zu versehen. Laut der Juristin wären derartige Rechte mit und ohne Verfassungsänderung im österreichischen Rechtssystem möglich.

Neun Länder, neun Naturschutzgesetze

Wagner war zu Beginn der Forschungsarbeit ob der Fragestellung skeptisch. Die Diskussion werde häufig ins Lächerliche gezogen, und Bäume können natürlich nicht für sich selbst sprechen. "Darum geht es auch nicht", sagt sie, "sondern, darum, dass der aktuelle Umweltschutz zu wenig ist."

Ein einheitliches Rechtskonzept für ganz Österreich umzusetzen sei jedoch momentan schwierig, da der Naturschutz derzeit Ländersache sei und es daher neun unterschiedliche Naturschutzgesetze gebe. Außerdem müsse die zuständige Behörde den Naturschutz während eines Verfahrens immer gegen alle anderen öffentlichen Interessen abwiegen, das inkludiere auch den Antragsteller. "Dabei ist die Natur immer unterrepräsentiert."

Derzeit vertreten sogenannte Umweltanwaltschaften, eingerichtet von der jeweiligen Landesregierung, die öffentlichen Interessen des Natur- und Umweltschutzes. Wagners Kritik: Umweltanwälte haben nur dort ein Mitspracherecht, wo es die Gesetze erlauben.

Wiedergewinn der Natur

Laut der Umweltrechtlerin mangelt es derzeit auch an einem Recht auf Wiederherstellung gestörter Biodiversität. Dabei gehe es nicht nur um giftige Deponien, sondern beispielsweise auch um brachliegende Industrieflächen, die der Natur wieder zugänglich gemacht werden müssten.

Nicht zuletzt deshalb fordern Burgers und den Outer, die Autorinnen des neuen Buches, einen Wandel im Rechtssystem. Damit die Natur – mithilfe einer Stellvertreterin oder eines Stellvertreters – ihre eigenen Rechte vor Gericht geltend machen kann. Ein Urteil drehe sich dann eher um Erholung für die Natur als Entschädigung. Inwieweit das umgesetzt werden kann und Felder, Flüsse und Berge mithilfe von Menschen tatsächlich vor Gericht ziehen können, ist natürlich fraglich. (Julia Beirer, 1.7.2023)