Februar 2007: Jörg Haider gratuliert seinem ehemaligen Tennislehrer Christian Scheider zum Geburtstag.
GERT EGGENBERGER

Auch ohne im Kalender nachzuschauen weiß ich, dass Jörg Haiders Todestag ein Samstag oder Sonntag gewesen sein muss, weil meine Mutter mich an dem Tag frühmorgens aus dem Bett holte, und ich mir nur dachte, hä, heute ist doch gar keine Schule. Wir saßen dann als Familie vor dem Fernseher und schauten uns das Spektakel an.

Wenige Tage danach gab es in der Sendung Willkommen Österreich schon eine Persiflage von Stermann und Grissemann auf Haiders Tod. Grissemann, der Stermann weinend als seinen Lebensmenschen vorstellt. Stermann, der eine Tracht trägt und sagt, dass Jörg Haider Wodka in Wasser verwandeln konnte und aus einer brennenden Ortstafel heraus zu einer Kärntner Jungfrau gesprochen habe.

Stermann & Grissemann - Trauer um Jörg Haider
Große Trauer um Kärntens ehemaligen Landeshauptmann. Ausgestrahlt: 23.10.2008 (Folge 50)
PaTheMaAT

Selbst Schuld?

Satire, die einfach notwendig war, nachdem der ORF Haiders Trauerfeier sogar live übertragen hatte und nach Aussagen wie vom damaligen Landeshauptmannstellvertreter Gerhard Dörfler, es seien in Kärnten "die Sonne vom Himmel gefallen" und "die Uhren stehen geblieben". Da fragt man sich doch: Welche Sonne steht denn da eigentlich über Kärnten, und wieso laufen die Uhren dort anders?

Ich brauch mich da eh nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen, denn meine ganze Familie stammt immerhin aus Oberösterreich, wo sich in den letzten drei Jahren sogar noch eine zusätzliche rechte Partei gegründet hat, MFG, mit freundlichen Grüßen. Und sogar Jörg Haider ist immerhin in Goisern in Gmunden geboren worden. Also wer weiß, vielleicht bin ich ja selbst an der ganzen Misere schuld. Zumindest hab ich jetzt einige Monate in Klagenfurt Zeit, mich dafür zu entschuldigen.

Aber von vorne: Warum bin ich hier? Weil der Publikumspreis beim Bachmannpreis vom vorherigen Jahr immer direkt mit dem Klagenfurter Stadtschreiberstipendium des folgenden Jahres verbunden ist. Zumindest ist es Sommer, es gibt einen See, und direkt gegenüber meiner Künstlerwohnung ist ein als Zigarettenautomat getarnter Spritzentausch-Automat – was will man mehr als Autor?

So ist das also in Kärnten

Als ich, kurz nach meiner Ankunft und nachdem es Anfang Mai nur geregnet hatte, am ersten schönen Tag dann endlich mal durch die Stadt spaziert bin, dachte ich mir kurz, ach, eigentlich ist es doch eh ganz schön hier – nur damit ich buchstäblich im nächsten Moment auf dem Neuen Platz (der mit dem Lindwurm) in eine gigantische Bundesheer-Werbeveranstaltung hineinlief, mit einem Stand, wo man Fotos von sich mit (hoffentlich falschen) Gewehren machen konnte, daneben eine Hüpfburg für Kinder, ein gepanzertes Militärfahrzeug und ein echter Helikopter, der, wie mir von einem besoffenen Festbesucher versichert wurde, "gleich noch abhebt".

Ich möchte betonen, dass das an einem Tag war, der kein Nationalfeiertag bzw. überhaupt kein Feiertag war, denn an Fronleichnam läuft dann sowieso wieder eine ganze Militärmusikkapelle durch die Innenstadt. Aber anscheinend ist man auch an den anderen Tagen nicht sicher davor. So ist das also in Kärnten, dachte ich mir. Wenn nicht gerade GTI-Treffen ist, macht das Bundesheer einen Aufmarsch vorm Lindwurm.

Random Funfact an der Stelle: Klagenfurt und Ljubljana haben so gut wie komplett das gleiche Stadtwappen und auch ähnlich lächerliche Legenden über den dazugehörigen Drachen. In Ljubljana wurde der Drache vom altgriechischen Helden Iason erschlagen, wohingegen der Klagenfurter Lindwurm vom altgriechischen Helden Herkules erschlagen wurde. Was machen zwei altgriechische Helden in Ljubljana und Klagenfurt? Keine Ahnung, ist auch egal, so gehen halt die Geschichten.

Wilder Werdegang

Und die Geschichten sind ja eigentlich auch das Wichtigste an Klagenfurt. Vor allem jetzt, wo der Bachmannpreis Ende Juni wieder stattfindet. Dass der Bachmannpreis gerade in Klagenfurt stattfindet, ist schon irgendwie seltsam. Andererseits ist es aber auch einfach schön, zu sehen, dass es die gesamte deutschsprachige Literaturszene einmal im Jahr in das hinterletzte Eck der DACH-Region verschlägt.

Und nirgendwo tritt dieser Kontrast besser zutage als in dem Moment, wo der Bürgermeister den Bewerb eröffnet. Seit letztem Jahr bin ich fasziniert, ja geradezu besessen vom Klagenfurter Bürgermeister Christian Scheider, der im Laufe seiner politischen Karriere nicht nur bei einer (1) rechten Partei war, sondern gleich bei vier (4!). Zunächst bei der FPÖ, dann beim BZÖ (übrigens: das leerstehende BZÖ-Bürgerbüro in der Bahnhofstraße mit dem leeren Schaukasten, über dem "HEUTE THEMA" steht und darunter einfach nichts, ist die lustigste Sehenswürdigkeit, die Klagenfurt besitzt, der Minimundus kann einpacken dagegen), dann bei der BZÖ-Abspaltung FPK, und er trat dann schließlich in die Team-Stronach-Überbleibsel-Partei Team Kärnten ein. Was für ein Werdegang! Für dieses Team Kärnten sitzt Scheider momentan seit 2021 wieder im Bürgermeistersessel, nachdem er zwischen 2009 und 2015 schon einmal Bürgermeister war. Zudem, und ich finde, das kann man gar nicht oft genug erwähnen, war er Jörg Haiders Tennislehrer.

Des is mei Land

In einem Youtube-Video, das ästhetisch perfekt einfach nur den Namen "Klagenfurt DVD" trägt, sieht man Scheider seine Stadt präsentieren. Als Sehenswürdigkeiten nennt er etwa die wunderschöne Innenstadt mit vielen Einkaufsmöglichkeiten, den sagenumwobenen Lindwurm und den international bekannten Minimundus. Der Europapark und der Lendkanal werden erwähnt, und auch zwei wichtige Personen, die einen Teil ihres Lebens hier verbracht haben: Ingeborg Bachmann und Gustav Mahler.

Klagenfurt DVD
ChristianScheider

Direkt nach der Erwähnung von Bachmann und Mahler stellt der Bürgermeister auch noch seine eigenen künstlerischen und musikalischen Künste unter Beweis, als er zusammen mit der Volksmusikgruppe Sunnawend ein Lied performt. Er singt auf einer Art Bergwiese stehend den Song Des is mei Hamat. Um aus dem Lied zu zitieren: "Des is mei Land, des is mei Stadt, des is mei Hamat, des is des Gfühl, dass ma waß, wohin ma ghört. Des is mei Land, des is mei Stadt, des is mei Leben. Drauf bin i stolz, dort geht’s ma guat. Du bist mei Herz, mei Bluat."

Kleiner Prinz

Wer könnte also besser den wichtigsten Bewerb für neue deutschsprachige Literatur eröffnen als dieser in Tracht gekleidete Volksliedsänger? Zum einen hielt Christian Scheider im vergangenen Jahr 2022 gar nicht selbst eine Rede, wie es seine Vorgängerin Maria-Luise Mathiaschitz bisher immer relativ souverän getan hat, sondern er beantwortet lediglich zwei kurze Fragen der Moderatorin Cécile Schortmann. Zuerst, was sein*e Lieblingsheld*innen der Dichtung seien. Daraufhin antwortet der Bürgermeister:

"Da würd ich sagen: der kleine Prinz. Grad wichtig auch in einer Zeit wie dieser. Weil da geht’s darum, dass man die Schnelligkeit des Lebens nicht ungezügelt vorantreibt, sondern auch Werte, sich der Werte besinnt, das Wesentliche geht vom Herzen aus. Man sieht das nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen. Oder auch natürlich: der Bereich, der heute ja sehr, sehr aktuell ist, dass man Freunde kennenlernen soll, richtige Freunde kennenlernen soll und die man nicht in einem Kaufhaus kaufen kann, also Kaufrausch ersetzt keine Freunde, sinngemäß, und ich denke, äh, trotz aller Schnelllebigkeit, die wir haben und die wir natürlich auch in unserem Bereich verspüren, ist es immer wichtig, dass man a bissi die Tiefe verankert, und daher glaube ich das, ist das auch eine gute Erzählung."

"Über die Grenzen hinweg"

Und auf die zweite und letzte Frage, was ihm persönlich die 46. Tage der deutschsprachigen Literatur bedeuten, antwortet er:

"Bedeutet mir persönlich sehr viel, persönlich, aber natürlich auch als Bürgermeister dieser Stadt, denn diese unvergleichbare, einzigartige Veranstaltung ist in dieser Stadt geboren worden, hat sich in dieser Stadt weiterentwickelt. Das ist grundsätzlich einmal das Beste, was einer Veranstaltung passieren kann, aber Veranstaltung wäre noch zu wenig an Bedeutung. Wir sind nämlich hier auch über die Grenzen hinweg, sozusagen, werden beobachtet, es gehen die positiven Wellen international hinaus. Es ist im Kulturbereich einer der wesentlichsten Bereiche, die wir umfassen. Ich bin jedes Jahr begeistert. Wir haben gehört, jetzt war’s zwei Jahre sehr schwierig, aber man hat weitergemacht, man hat nicht aufgegeben, das war ganz wichtig. Angeknüpft. Es hat auch schwierige Zeiten gegeben. Die haben wir überstanden. Jetzt sind wir, glaub ich, noch stärker geworden. Und ich freu mich natürlich auch auf den wunderbaren Empfang. Morgen, Schloss Loretto. Manche sagen, der schönste Platz, den es in Kärnten gibt. Ich freu mich wirklich drauf und denke, dieser Ingeborg-Bachmann-Preis, der ist wirklich etwas, wo die Stadt Klagenfurt sagen kann, das ist etwas, auf das wir wirklich stolz sind."

Elias Hirschl gewann beim Bachmann-Wettlesen 2022 den Publikumspreis, womit er zum Klagenfurter Stadtschreiber 2023 wurde.
ORF

Kritische Kunst

Gesprochen wie ein Fußballer nach 100 Kopfbällen. Doch trotz seiner offensichtlich sehr stark ausgeprägten Literaturkenntnisse und seines authentischen Interesses an kritischer Kunst muss ich ihn hier noch für eines loben. Christian Scheider zeigt nämlich aus Versehen einen äußerst wichtigen Punkt auf: Kunst hält diese Stadt am Laufen. Ohne Kunst und Literatur würde Klagenfurt sich in absoluter Irrelevanz auflösen. Und das gilt nicht nur für Klagenfurt und auch nicht nur für Kärnten, sondern für ganz Österreich.

Höflich tolerieren

Die künstlerischen Nestbeschmutzer sind diejenigen, die Österreich in Ordnung halten. Und das geradezu Magische ist eben: Egal wie sehr die Rechten gegen die Literatur poltern, ob sie gegen Jelinek hetzen oder ob man bei einem Thomas-Bernhard-Stück Pferdemist vor dem Burgtheater ausleert – auf lange Sicht setzt sich die Literatur immer durch. Und die darin geäußerte Kritik hält sich so hartnäckig im Zeitgeist, dass sogar ein Christian Scheider (ehemalig FPÖ, BZÖ, FPK, jetzt Team Kärnten) dazu gezwungen ist, öffentlich zu sagen, dass er stolz ist auf diese Kritik, auf diese Kunst. Er muss sagen, dass er stolz ist auf eine Veranstaltung, in der Anna Baar in ihrer Rede zur Literatur sagt: "Erinnern Sie sich noch, wie sich Jörg Haider selig bei Waffen-SS-Veteranen für ihren Anstand bedankte?" Das muss sich der Mann anhören, von dem Jörg Haider das Tennisspielen gelernt hat. Ist das nicht schön?

Denn das beweist eines: Diese Veranstaltung ist wichtiger als irgendein Politiker, der gerade im Amt ist. Literatur und Kunst im Allgemeinen ist größer und wichtiger als jede Einzelperson, die dagegen wettern kann. Jörg Haider ist schon lange tot, während immer noch neue Ausgaben vom Mann ohne Eigenschaften und Briefwechsel von Ingeborg Bachmann veröffentlicht werden. Und Christian Scheider wird schon lange nicht mehr im Amt sein, wenn irgendwelche besoffenen Jugendlichen immer noch den Klagenfurt-Rap von Koko Tai und Young Range Rover in voller Lautstärke auf dem Heiligengeistplatz um drei in der Früh aufdrehen. Und vielleicht merkt das Herr Scheider ja auch selber. Dass man ihn hier eigentlich nur höflich toleriert. Dass es ein Privileg für ihn ist, überhaupt an dieser Kunst teilzuhaben. Und dass nicht er es ist, der die Teilnehmenden ins Schloss Loretto einlädt, sondern dass es die Literaturszene ist, die ihm gestattet, überhaupt erst einen Empfang geben zu dürfen. Ist das nicht auch irgendwie schön? (Elias Hirschl, 24.6.2023)