Arkadi Rotenberg ist einer der beiden Brüder, die mithilfe eines internationalen Netzwerks die EU-Sanktionen umgingen.
Fotos: AP; Collage: Otto Beigelbeck

10,8 Millionen Euro hat die Villa in Kitzbühel mit Blick auf die Streif gekostet. Dass der Oligarch Arkadi Rotenberg, ein enger Vertrauter und Jugendfreund von Wladimir Putin, den Kauf finanziert hat, hat in dieser Woche DER STANDARD aufgedeckt – in einer gemeinsamen Recherche mit dem OCCRP und 16 weiteren internationalen Medien. Die Grünen forderten als Reaktion eine neue Aufsichtsbehörde für Geldwäsche, die Neos eine "Taskforce Oligarchen". Auch der Tiroler Landtag wird sich mit der Angelegenheit befassen. Doch das "Putin-Chalet" in Kitzbühel ist bei weitem nicht der einzige Vermögenswert der Familie Rotenberg, der enthüllt wurde. Fast 30.000 E-Mails und mehr als 10.000 Dokumente aus dem Umfeld der Oligarchen Boris und Arkadi Rotenberg aus den Jahren 2013 bis 2020 zeigen, wie Anwälte und Finanzdienstleister mit (drohenden) EU-Sanktionen umgingen.

Ein Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der "Rotenberg-Files".

1. Ein riesiges Netzwerk

Eine zentrale Figur im System Rotenberg ist Maxim V., ein 50-jähriger, in Moskau geborener Geschäftsmann. Seine russische Firma und Anwaltskanzlei koordinierte einen Teil von Rotenbergs Geschäften nach den Sanktionen, bei ihm liefen alle Fäden zusammen.

Jahrelang gelang es V. und seinem Team, Immobilien, Luxusyachten und Unternehmen in Offshore-Steuerparadiesen zu behalten. Dafür nutzten sie ein umfangreiches Netzwerk von Strohleuten, die als Geschäftsführer oder Inhaber von Vermögenswerten eingesetzt wurden. Außerdem zogen sie regelmäßig andere Experten wie Juristen, Vermögensverwalter oder Banker aus verschiedenen EU-Ländern hinzu. Die Korrespondenzen mit ihnen liegen in den rund 30.000 E-Mails vor.

V. sagt, weder er noch eines seiner Unternehmen hätten jemals gegen Gesetze verstoßen, "insbesondere nicht gegen die Sanktionsgesetze der USA und der EU". Er bezeichnete die Feststellungen der Reporter als "falsch".

Dieses luxuriöse Anwesen im spanischen Valencia wurde von einer maltesischen Briefkastenfirma gekauft, die dann nach Zypern überführt wurde.
©Miguel Lorenzo

2. Prominente Helfer

Das Netzwerk um Maxim V. funktioniert, weil es genug Leute gibt, die bereitwillig helfen und Informationen schützen. Ein prominenter Fall ist Prinz Michael von Kent, ein Onkel zweiten Grades von König Charles.

Aus den Rotenberg-Files-Recherchen der britischen Times und von Transparency International geht hervor, dass Mitarbeiter des Prinzen in Großbritannien versuchten, V. ein Visum zu beschaffen. Im November 2018 habe Prinz Michaels Privatsekretär einen hochrangigen britischen Diplomaten in Moskau kontaktiert und darum gebeten, Maxim V.s Visumantrag zu beschleunigen, damit dieser an einer Vorstandssitzung teilnehmen könne. V. und Prinz Michael sollen beide Inhaber einer Firma namens Remit Radar gewesen sein. Noch am selben Tag habe der Diplomat geantwortet, dass er "mit dem Visumteam in Kontakt" sei. Zwei Tage später soll V. ein Flugticket von Moskau nach London gekauft haben, auch das gehe aus den E-Mails hervor. Prinz Michaels Sekretär hat Fragen zu dem Vorgang unbeantwortet gelassen.

Aber auch weniger prominente Helfer sind von großem Wert. So sagte beispielsweise der Geschäftsführer einer Vermögensverwaltung in Estland zum Medium Delfi, er wisse, wer hinter der zyprischen Firma stecke, die das 10,8-Millionen-Chalet in Kitzbühel besitze – er gebe diese Information aber nicht preis. Deren Vertreter in Österreich, der Anwalt Josef Wieser, beantwortet keine Medienanfragen. Er schreibt in puncto Sanktionen auf seiner Homepage: "Ohne Experten mit jahrelanger Erfahrung und viel Kompetenz sind diese Situationen oft schwer zu meistern. Wir können helfen!"

3. "Schreib das nicht hier!!!!"

Die Firma von Maxim V., Evocorp, die den Rotenbergs rund um die Verhängung der Sanktionen half, verwendet einige Energie darauf, Strohleute zu finden – und sie ist sich offenbar dessen bewusst, sich hier zumindest in einem Graubereich zu bewegen.

Anfang 2019 schreibt ein Angestellter von Evocorp laut OCCRP-Recherchen in einem Whatsapp-Chat: "Their investor is not BR (Boris Rotenberg, Anm.). Sascha K. is [investor] there." Gemeint ist Sascha K., der etwa gegenüber Behörden als Inhaber von mutmaßlich Rotenbergs Yacht Rahil angegeben worden sein soll. Doch die Reaktion von V. sei harsch gewesen: "Schreib das nicht hier!!!!", antwortete er umgehend. "Ich hatte dir doch schon geantwortet."

In einem anderen Fall soll bei Evocorp Aktionismus ausgebrochen sein, als die Britischen Jungferninseln ihre Vorgehensweise verschärften und sanktionierten Personen keine Schlupflöcher mehr bieten wollten. Zu diesem Zeitpunkt soll Boris Rotenberg dort einige Vermögenswerte registriert haben. Doch die Suche nach einer Lösung zieht sich. "Wir haben uns in den letzten 10 Tagen mit der Angelegenheit befasst und versucht, eine Lösung zu finden", soll eine involvierte Person geschrieben haben. "Wir drehen uns hier schon wie auf einer Heugabel."

Zugerechnet werden kann die Briefkastenfirma zu Boris und Karina Rotenberg – und Spanien griff durch.
imago/ITAR-TASS

4. Die Karibik im Mittelmeer

Es braucht keine Steueroasen in den fernen Cayman oder Virgin Islands, um sein Vermögen zu verstecken. Die EU bietet selbst genug Schlupflöcher an. Zum Beispiel Zypern. Die Briefkastenfirma Wayblue, der das Chalet in Kitzbühel offiziell gehört, sitzt etwa in Nikosia. Sie wird von einer zyprischen Treuhandfirma verwalten. Der letztgültige Eigentümer bleibt dadurch unklar.

Auf Zypern gibt es ein großes Angebot an solchen Treuhandfirmen, sie werden unter anderem von Juristen oder Buchhaltern angeboten. Sie können Geschäftsführer einsetzen und bieten auch Sekretariatsleistungen an. Und: Seitdem der Zugriff auf das Transparenzregister auch in Zypern wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs erschwert wurde, gibt es keine Möglichkeit, die wahren Eigentümer der Firmen herauszufinden.

Auch die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) verweist darauf, das sie auf die Kooperation mit ausländischen Behörden angewiesen ist. Konkrete Fragen, mit welchen Behörden sie in Kontakt war und ob es mangelnde Kooperation seitens Zypern gibt, wollte die DSN nicht beantworten.

5. Passports matter!

Arkadi wie auch Boris Rotenberg unterhalten seit ihrer Jugend enge Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Sie wurden 2014 von den US-Behörden sanktioniert, weil sie die illegale Annexion der Krim unterstützt haben, etwa durch den Bau der Krim-Brücke. Boris Rotenbergs Ehefrau Karina landete unterdessen nicht sofort auf der Liste sanktionierter Personen, was der Familie ermöglicht haben soll, einige ihrer wertvollen Vermögenswerte in ihrem Namen zu halten. Zudem hatte Karina aufgrund einer früheren Ehe einen US-amerikanischen Pass.

Fluch und Segen zugleich, wie sich herausstellte. Die Recherchen von Forbes zeigen, dass die beiden so einige Unanehmlichkeiten umschifften. Andererseits konnte Karina natürlich nicht mehr so einfach Geld von ihrem Mann erhalten. Doch es sei ein Weg gefunden worden. Er soll – wie so oft – nach Zypern geführt haben. Dort seien offenbar zwei Millionen Euro auf ein Konto eines auf den Britischen Jungferninseln registrierten Unternehmens eingezahlt worden. Das Unternehmen soll einem Mann namens Alexander Kozlov zuzurechnen sein: ein Ex-Bodyguard Boris Rotenbergs. Ein Unternehmen im Besitz von Boris Rotenberg habe dessen Firma regelmäßig Darlehen in Millionenhöhe gewährt.

Aus den durchgesickerten E-Mails soll außerdem hervorgehen: Karina habe nicht nur Geld über Umwege erhalten, sondern sich manchmal als Vertreterin des Paares ausgegeben. Sie sei es gewesen, die bei namhaften Anwaltskanzleien in London und den USA Ratschläge zum Umgang mit Sanktionen einholte. Im März 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, wurde schließlich auch Karina Rotenberg auf die Sanktionsliste gesetzt. Weder Boris und Karina Rotenberg noch K. reagierten auf Anfragen des Recherchekonsortiums.

6. Du schuldest mir einen Gefallen

Überteuerte Staatsaufträge für befreundete Oligarchen sind ein ideales Mittel, um Geld aus dem Regierungsbudget zu schleusen und für andere Zwecke nutzen zu können. Dieses System habe Putin etabliert, als er im Juli 2000 gewissermaßen die Regeln für Oligarchen neu geschrieben habe, sagt der Politikwissenschafter Gerhard Mangott – und Arkadi Rotenberg gilt als "König der Staatsaufträge". Die Russland-Expertin Catherine Belton beschrieb in ihrem Buch Putins Netz den Deal sinngemäß so, dass Oligarchen zwar sehr reich werden dürfen, ihr Geld aber jederzeit für Projekte oder Gefälligkeiten zur Verfügung stellen müssen.

Arkadi Rotenberg ist in dieser Beziehung schon rund um "Putins Palast" aufgefallen, ein riesiges Anwesen am Schwarzen Meer, das der Oppositionelle Alexei Nawalny thematisiert hatte. Damals trat Rotenberg öffentlich als Eigentümer der Immobilie in Erscheinung. "Das ist eine Art von Verhalten, das Wladimir Putin von den Oligarchen einfordert, die primär von Staatsaufträgen leben", sagt Mangott – und in Kitzbühel, wo Putins Tochter Maria Woronzowa das Chalet für Urlaube genutzt haben soll, sei das wohl im Kleinen passiert.

7. Verwandte und Briefkästen

Ein Anwesen in Ramsau am Dachstein hat Boris Rotenberg Medienberichten zufolge noch unter seinem Klarnamen gekauft. Mittlerweile wurde es eingefroren – und ist ein Beispiel dafür, was ohne Verschleierung der Vermögenswerte passiert. Oftmals ist das anders: Da werden offiziell Kinder oder Geliebte als Eigentümer benannt – so sei eine Mittdreißigerin, von Beruf Kosmetologin, laut OCCRP-Recherchen zur Inhaberin eines luxuriösen Apartments in Monaco geworden; sie soll gemeinsam mit ihren zwei Kindern auch eine Villa in Südfrankreich im Wert von 4,25 Millionen Euro besitzen.

Auch eine frühere Managerin von Rotenbergs SMP Bank sei ab 2018 als Eigentümerin von Immobilien im lettischen Riga aufgetaucht. Ursprünglich seien die Apartments von einer Firma aus den Britischen Jungferninseln gekauft worden, die den Rotenbergs zuzurechnen sei, und 2018 dann an die Bankerin transferiert worden.

Ein anderes probates Mittel sind Briefkastenfirmen: Wie leicht sich die Behörden damit täuschen lassen, zeigt einmal mehr das Beispiel Österreich. Die DSN führt zur Umsetzung der Sanktionen Abfragen im Grund- und Firmenbuch durch. Scheint der sanktionierte Oligarch dort nicht auf, wird die DSN in den meisten Fällen auch nicht fündig. Komplizierter wird das Ganze, wenn sich Briefkästenfirmen auch noch gegenseitig Geld leihen, um gewisse Käufe zu finanzieren.

Boris ist der jüngere der beiden Rotenberg-Brüder. Er war einst Judo-Trainer in Finnland. Zurück in Russland wurde er Milliardär.
APA/AFP/OLGA MALTSEVA

8. Man muss nur wollen

Ähnlich wie in Kitzbühel soll sich in der Nähe von Valencia in Spanien ein Anwesen zu Boris Rotenberg und seiner Frau Karina zurückverfolgen lassen, wie Recherchen des spanischen Mediums Infolibre zeigen. Die Villa verfügt über einen üppigen Garten und einen Swimmingpool mit Blick auf das 15. Loch des Golfplatzes Oliva Nova. Das Paar soll umgerechnet rund zehn Millionen Euro für das Anwesen ausgegeben, allein die Vorhänge mehr als 200.000 Euro gekostet haben.

Ursprünglich hätte die Villa über eine Firma auf den Britischen Jungferninseln gekauft werden sollen. Dann habe man sich jedoch für eine maltesische Firma entschieden – die Bangalor Holding Ltd.

Im Jahr 2020 wurde dieses Unternehmen nach Zypern überführt. Auslöser könnte ein Audit gewesen sein. Doch all diesen Strukturen zum Trotz beschlagnahmten die Behörden in Spanien das Anwesen im Oktober 2022, weil es mit einer Person in Verbindung stehe, die von der EU wegen des russischen Einmarschs in der Ukraine sanktioniert wurde. (Carina Huppertz, Maria Retter, Fabian Schmid, Timo Schober, 24.6.2023)