Das Tauchboot Titan verunglückte auf dem Weg zum Wrack der Titanic.
APA/AFP/OceanGate Expeditions/HA

Wenn sich Hollywoods Drehbuchautoren dereinst daranmachen, das Schicksal der fünf Abenteurer und ihres Tauchboots Titan vor Neufundland auf der Leinwand zu verewigen, werden sie es nicht allzu leicht haben, Neues über Crew und Fahrzeug, Unglück und Rettungsversuche zu berichten. Kaum ein anderes Ereignis hat in jüngerer Vergangenheit so große Medienanteilnahme erhalten wie das Drama um das verschollene "submersible", das zahlungskräftige Touristen zum Wrack der 1912 gesunkenen Titanic vor Kanada hätte transportieren sollen.

Zudem hat selten zuvor ein Unglück die Weltöffentlichkeit so gespalten: Wagten es die einen kaum, den Blick vom Nachrichtenstrom abzuwenden, um das erhoffte Happy End nicht zu verpassen, übten sich andere in selektiver Empathie: Warum blicken wir alle auf die fünf Reichen in ihrer Hightech-Kapsel, wo doch zeitgleich hunderte Arme in ihren Nussschalen vor dem Peloponnes oder den Kanaren kentern?

Wie genau die Reise der Titan in die Dunkelheit endete, wie sich die letzten Stunden der fünf Männer an Bord zugetragen haben, bleibt vorerst jedoch offen. Von einer Implosion war am Freitag die Rede, laut der US-Küstenwache haben Spezialisten schon am Sonntag, kurz nach dem Verschwinden des Tauchbootes also, entsprechende Signale vernommen. Wer da noch an ein Happy End geglaubt hatte, wurde enttäuscht. Aus dem Hobby einiger reicher Männer war eine Tragödie geworden, die niemanden kaltlässt.

Doch wer sind die Menschen, deren letzte Stunden große Teile der Welt vergangene Woche so gebannt verfolgt hatten? Was haben sie in der Tiefe gesucht – und was haben sie dort wohl gefunden? Die letzte Reise der Titan: ein Drama in fünf Akten.

1. Die Protagonisten

Auf den ersten Blick mag die fünf Männer wenig miteinander verbunden haben, bevor sie sich am Freitag vor einer Woche, ohne es zu ahnen, im kanadischen St. John’s auf Neufundland auf eine Reise ohne Wiederkehr begeben. Vier Stunden später als geplant steigen sie am Sonntag gegen Mittag in die kaum sieben Meter lange und zehn Tonnen schwere Kapsel. Für einige von ihnen geht ein Lebenstraum in Erfüllung: endlich die Titanic sehen!

Der Älteste, Paul-Henri Nargeolet (77), ist Franzose, ehemaliger Marinetaucher und als "Mr. Titanic" bekannt, weil er das Wrack wohl so gut kennt wie kein anderer Mensch. "Ich habe keine Angst zu sterben, ich glaube, es wird irgendwann passieren", sagte er 2020 einem Pariser Radiosender. Der Jüngste, Suleman Dawood (19), ist laut Berichten Science-Fiction-Fan und stammt wie sein Vater Shahzada, der in London lebt und es mit seiner Investmentfirma zu Geld gebracht hat, aus Pakistan. Knapp 230.000 Euro hat sich der 48-Jährige die exklusive Reise kosten lassen – pro Person.

Suche nach "Titan"-Tauchboot: "Heftiges Klopfen" unter Wasser registriert
Die Küstenwachen der USA und Kanadas suchen nach einem verschollenen U-Boot, das am Sonntag mit fünf Menschen an Bord zu einem Tauchgang zum Wrack der "Titanic" aufgebrochen war. Nun berichten Medien, dass Sonargeräte unter Wasser Klopfgeräusche registrierten
DER STANDARD

Für Stockton Rush (61), Gründer und CEO der Titan-Betreiberfirma Oceangate, die im US-Bundesstaat Washington notiert ist, firmiert der Trip hingegen unter Dienstfahrt. Bevor er am Freitag vor einer Woche das Mutterschiff Polar Prince besteigt, preist er noch die "unglaubliche Schönheit" des Titanic-Wracks, das er gemeinsam mit den anderen mithilfe seiner Titan erkunden will.

Hamish Harding schließlich, der Passagier Nummer fünf an diesem Tag, hätte an diesem Samstag seinen 59. Geburtstag gefeiert. Extremsituationen sind ihm nicht fremd, im Gegenteil: 2019 brach der Brite den Weltrekord für den schnellsten Flug rund um die Erde: 46 Stunden, 40 Minuten. Auf Facebook klagt er vor dem Start der Titan über schlechtes Wetter. Es sind seine letzten Nachrichten.

2. Die Rezeption

Dass sie anstatt unvergesslicher Eindrücke in der Tiefe den Tod finden würden, können die Passagiere der Titan zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Auch nicht, dass im 5000 Kilometer weiter östlich gelegenen Wien über ihr Schicksal berichtet werden wird. "Touristen-Tauchboot zu ‚Titanic‘-Wrack wird vermisst", meldet die Austria Presse Agentur (APA) am Montag um 17.33 Uhr. Etwa 14 Stunden zuvor ist vor der kanadischen Küste die Kommunikationsverbindung zwischen der Titan und der Polar Prince ausgefallen – eindreiviertel Stunden nach dem Start, wie die US-Küstenwache mitteilt. Als das Boot um 15 Uhr nicht wie geplant auftaucht, steht fest, dass etwas nicht stimmt – und dass die Uhr tickt.

Tags darauf, zu nachtschlafender Zeit in Wien, schreibt die APA: "Wettlauf gegen die Zeit", CNN berichtet live, einige Nachrichtenportale richten Liveticker ein. 83 Treffer wird die Suche nach dem Schlagwort "Titan" im APA-Archiv am Freitagmittag landen. Aus der profanen Chronikmeldung ist eine Nachricht von globalem Interesse geworden.

Erste Zahlen geistern durch die Meldungen: 96 Stunden lang reicht der Sauerstoff an Bord im Notfall für die fünf Passagiere – bei Idealbedingungen, wie betont wird. Ob auf der Titan wohl Panik ausgebrochen ist? 3800 Meter ist der Atlantik an dieser Stelle tief, ganz unten liegt die Titanic still am Meeresgrund. Dass die fünf Abenteurer sie noch zu Gesicht bekommen haben, bevor ihr Boot implodiert ist, ist unwahrscheinlich.

3. Die Warnungen

Fest steht, dass die fünf Abenteurer, die so gerne das Wrack besichtigen wollten, ein großes Risiko eingingen. Fest steht auch, dass es Warnungen gab. Etwa von David Lochridge. Schon vor fünf Jahren hatte der US-Amerikaner, ein hochrangiger Mitarbeiter bei der Betreiberfirma Oceangate, Bedenken im Bezug auf die Titan angemeldet – und wurde kurz darauf gefeuert.

Mike Reiss, der als Drehbuchautor unter anderem für die Comicserie Simpsons schrieb, war 2022 als Tourist mit dabei. Auch bei seinem Tauchgang sei der Kontakt zum Mutterschiff ausgefallen, sagt er nun: "Die Möglichkeit einer Katastrophe und des Todes hängt einfach über dir." Andere Ingenieure und Meeresforscher hatten schon 2018 in einem offenen Brief vor Sicherheitsrisiken gewarnt. Die Titan sei nicht für Tauchgänge in diese Tiefe zugelassen, hieß es. Die Reise, so wird deutlich, glich einem Himmelfahrtskommando auf den Meeresgrund. Ob die Passagiere alle von den Warnungen wussten, bevor sie ihre riskante Reise in die Tiefe des Nordatlantiks antraten?

4. Das Bangen

Mit jeder Stunde, die von nun an vergeht, schwindet die Hoffnung auf Rettung. Die Familie Dawood – Shahzadas Ehefrau kommt aus Oberbayern – bittet die Öffentlichkeit am Dienstag um Gebete für die Vermissten. Dass sie zu diesem Zeitpunkt noch am Leben sind, wird am Freitag nach dem Auffinden von Trümmerteilen bezweifelt.

Die Suche nach den Schuldigen beginnt. Am Donnerstag wirft die Familie Harding der Betreiberfirma vor, erst acht Stunden nach dem letzten Kontakt zur Titan die Rettungskräfte alarmiert zu haben.

Die fünf Titan-Passagiere bekommen von alldem nichts mit. Sie können auch nicht bemerken, dass viele Hundert Meter über ihnen eine ganze Armada aus staatlichen und privaten Rettungsschiffen samt Spezialgerät im Atlantik kreuzt. Ob die Klopfgeräusche, die oben registriert werden, tatsächlich von der Titan stammen, wird bezweifelt.

In den Medien werden zu diesem Zeitpunkt Fachleute interviewt, die über die Art des Sterbens Auskunft geben, wenn der Sauerstoff langsam ausgeht. Qualvoll, lautet die Prognose. Die Frist für die Sauerstoffversorgung ist nach Wiener Zeit am Donnerstag um 13.08 Uhr abgelaufen. "Kaum Hoffnung für ‚Titanic‘-Abenteurer", titelt in Wien die APA.

5. Das Ende

Erst am Freitag wird bekannt, dass die fünf Passagiere der Titan zu diesem Zeitpunkt aller Wahrscheinlichkeit nach längst tot waren – es habe recht früh nach dem Beginn des Tauchgangs eine "katastrophale Implosion" gegeben, heißt es von der US-Küstenwache. Die Öffentlichkeit erfährt erst fünf Tage später davon.

Die APA zitiert am Freitag schließlich eine US-Marine-Medizinerin. Die Abenteurer, die mit eigenen Augen die Titanic hatten sehen wollen, dürften von ihrem Tod nichts gemerkt haben: "Letztlich ist dies mit Blick auf die vielen Möglichkeiten, wie wir sterben können, schmerzlos." (Florian Niederndorfer, 23.6.2023)