Als er zwei Stunden nach der Tat in die Autowaschanlage kam, waren die fünf Leichen schon abtransportiert, erzählt Bashar Nachash– aber der Tatort war noch nicht gereinigt. Bashar, ein israelischer Araber aus Yafa En-Nasariyye, einer arabischen Gemeinde im Norden Israels, erzählt nüchtern von dem, was er dort sehen musste, aber seine Bewegungen sind fahrig, seine Augen glasig. Fast vier Wochen sind vergangen, seit fünf Menschen in einer Autowaschanlage in Yafa En-Nasariyye erschossen wurden.

Bashar kannte sie alle: den Besitzer der Waschanlage, seinen 15-jährigen Cousin und die drei Kunden, die an jenem Donnerstag gekommen waren, um ihre Autos fürs Wochenende aufzuhübschen, das unter Muslimen am Donnerstagabend beginnt. Er weiß, er hätte selbst unter den Opfern sein können.

Trauer nach den Morden in einer Autowaschanlage.
Foto: AP / Mahmoud Illean

Die Tat machte zwar Schlagzeilen in Israel. Es dauerte aber nicht lange, und die Nachricht wurde von anderen Headlines verdrängt. Man hat sich daran gewöhnt, dass in arabischen Städten auf offener Straße geschossen wird. In den ersten fünfeinhalb Monaten dieses Jahres hat die Waffengewalt in den arabischen Städten Israels mehr als hundert Todesopfer gefordert. Im Jahr davor waren es weniger als halb so viele. Dieser Anstieg habe System, glaubt Bashar. "Das Chaos, das in unseren Städten herrscht, kommt der israelischen Regierung nur gelegen."

Ungleiche Aufklärung

Tatsächlich schneidet Israels Sicherheitsapparat ziemlich schlecht ab, wenn man die Aufklärungsquoten jüdischer und arabischer Verbrechen vergleicht. Im Durchschnitt münden 75 Prozent der Morde an Juden in einer gerichtlichen Verurteilung, während es bei Taten an Arabern nur 22 Prozent sind, wie aus einer Erhebung der Abraham Initiatives hervorgeht.

Als Israels Langzeit-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Juni 2021 vorübergehend in die Opposition weichen musste, begann sich etwas zu ändern. Es war die erste Koalition unter Beteiligung einer arabischen Partei, das Sicherheitsministerium wurde von einem routinierten Politiker der Arbeiterpartei, Omer Bar-Lev, geführt. "Plötzlich setzten sich Clanführer in die Türkei oder nach Jordanien ab, weil sie wussten, dass sie auf den Fahndungslisten stehen", erzählt Wajdi Jabareen, Vizebürgermeister von Umm El-Fahm, der drittgrößten arabischen Stadt Israels und einem der Mafia-Hotspots im Land. Erstmals wurden systematisch Gelder eingefroren, Waffen konfisziert. Kurz sah es so aus, als wäre die Mafia auf dem Rückzug.

Nach 18 Monaten zerbrach die Regierung, Netanjahu kam wieder an die Macht. Und der Mann, der nun das Sicherheitsministerium anführt, heißt Itamar Ben-Gvir – ein mehrfach wegen rassistischer Verhetzung verurteilter Rechtsextremer. Ben-Gvir hat ein bevorzugtes Rezept, um der Gewalt in den arabischen Städten zu begegnen: Er will Araber monatelang einsperren, ohne dass es einen konkreten Tatverdacht gibt. Als Jurist weiß er, dass ein solcher Vorschlag die Grenzen des Grundgesetzes massiv überdehnt. Doch das dient ihm nur als weiterer Grund, warum die Justiz so rasch als möglich unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden sollte: Wenn es keinen Gerichtshof mehr gibt, der das Grundgesetz einfordert, muss sich auch kein Politiker mehr daran halten.

Wer den Kampf gegen die Mafiagewalt ernst meine, müsse sehen, wo das Geld hinfließe, meinen Expertinnen und Experten – und vor allem, wohin es nicht fließe. Die überbordende Macht der Clans sei Folge einer langjährigen Benachteiligung arabischer Gemeinden, sagt Thabet Abu Ras, Generaldirektor der Abraham Initiatives.

Schwarze Kredite

Während die arabische Bevölkerung stärker anwächst als der Durchschnitt, wachsen ihre Städte nicht mit. Die Behörden verweigern jungen arabischen Familien häufig die Baubewilligung. Gebaut wird trotzdem, aber eben illegal. Da die Banken diese illegalen Gebäude nicht als Besicherung von Darlehen akzeptieren, fällt es jungen Familien schwer, sich legal zu finanzieren.

Es sind die Clans, die diese Lücke füllen. "In manchen Städten liegt das Finanzwesen zur Gänze in den Händen der kriminellen Gangs", sagt Jabareen. Es sind oft unbezahlbare Zinsraten, die auf diese schwarzen Kredite anfallen. Wer sie nicht bezahlen kann, wird mit Waffengewalt bedroht. Bis es eskaliert – und wieder jemand sterben muss.

Die Mafiabosse machen sich dabei die Hände nicht schmutzig. Sie rekrutieren arbeitslose Teenager, die sich über das schnelle Kopfgeld freuen – und von ihnen gibt es viele. Für einmal in die Luft schießen gibt es 10.000 Schekel, das sind umgerechnet rund 2500 Euro. "Wer die Gewalt wirklich ernsthaft bekämpfen will, muss in die Jugend investieren", sagt Wajdi Jabareen. Er wirft der Regierung vor, die arabischen Heranwachsenden zu vernachlässigen.

Die Macht der Clans geht auch auf Kosten der Polizeiarbeit. Polizisten und Polizistinnen werden unter Druck gesetzt, potenzielle Zeugen werden bedroht, nur ja nicht mit Sicherheitskräften oder Medien zu sprechen. Eine Frau, die sieben Angehörige an die Mafiagewalt verloren hat, hatte sich zum Interview mit dem STANDARD bereiterklärt. In letzter Sekunde sagte sie den Termin ab – wegen "dringender familiärer Probleme". (Maria Sterkl aus Yafa En-Nasariyye, 29.6.2023)