Es riecht leicht süßlich. Hier auf dem Gang vor der Hygieneschleuse, wo sich jeder Besucher namentlich eintragen muss, kann die Nase schon erraten, was dahinter wartet. Es ist der Geruch von Cannabis, den mancher vielleicht noch aus der Jugend kennt. Es muss aber niemand Angst haben, dass die Polizei und/oder die Eltern vorbeischauen. Hier, bei der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) in Wien-Donaustadt, läuft alles legal ab. Es ist zurzeit der einzige Ort in Österreich, an dem legal rauschfähiges Cannabis angebaut wird.

Cannabisplatzen einer Indoor-Plantage unter weißem und pinken Kunstlicht
Unter farbigem LED-Licht gedeiht in der Indoor-Anlage die Variante "Ages K2".
Nikolaus Ostermann

Der österreichische Staat ist ein Dealer. Das ist eine unverschämte Formulierung, aber im Kern nicht falsch. Die Ages, zu 100 Prozent im Besitz der Republik, baut seit 2010 in der Donaustadt medizinisches Cannabis an und verkauft es auch. Natürlich alles streng reguliert. Bislang passierte das nur in Glashäusern. Jetzt schlägt man bei der Ages ein neues Kapitel auf: Mit einer neuen Indoor-Anlage soll die Cannabisproduktion nicht nur ausgebaut, sondern auf ein neues Level in Pharmaqualität gehoben werden.

"In Österreich haben wir eine Sondersituation, weil es der einzige Staat ist, der selber Cannabis anbaut", sagt Valentin Opfermann. "In anderen Ländern übernehmen das private Anbieter, die vom Staat lizenziert werden." Opfermann leitet bei der Ages die Abteilung Cannabis für die Arzneimittelerzeugung. Seit 2021 ist alles, was mit Anbau und Erforschung von Cannabis zu tun hat, in dieser Abteilung gebündelt. Das Endprodukt geht an Kunden im Pharmabereich. Mit denen arbeitet man seit Jahren zusammen und kann flexibel auf ihre Wünsche eingehen. "Wir bauen an, was der Markt will", sagt Opfermann. Hier wird Cannabis nicht anders behandelt als alle anderen Pflanzen auch.

Es ist in Österreich nicht verboten, Cannabispflanzen zu besitzen. Verboten ist, die Pflanzen bis zu dem Punkt hochzuziehen, an dem die Blüten (die psychoaktiven Stoffe sammeln sich in den weiblichen Blüten) mehr als 0,3 Prozent THC beinhalten. Ab diesem Punkt gelten sie als Suchtmittel. Pflanzen, die auch in der Blüte kaum THC enthalten – sondern mehr andere Cannabinoide wie zum Beispiel CBD –, sind nicht verboten. Bei der Ages haben alle angebauten Varianten (es sind rechtlich keine "Sorten", weil sie kein Zulassungsverfahren durchlaufen) mindestens 20 Prozent THC.

Pioniergeist an der Pflanze

2008 wurde in das Suchtmittelgesetz der Paragraf 6a eingefügt, der die Ages grob gesagt nicht nur zu Anbau und Erforschung von Cannabis ermächtigt, sondern sogar verpflichtet. Sie darf das geerntete Cannabis auch verkaufen, allerdings nur an Kunden, die eine Lizenz dafür haben. Seit 2010 gibt es deshalb am Standort der Ages im 22. Bezirk Glashäuser, in denen Cannabispflanzen stehen. Nach über zehn Jahren weiß man viel über die ideale Wässerung und Lichtverhältnisse. Auch Pflanzen anderer Cannabisproduzenten können zur Ages geschickt werden, damit man dort die beste Behandlung herausfindet. Das passiert auch, weil die rechtliche Situation in Österreich da liberaler ist als in anderen Ländern.

"Da herrschte schon ein ziemlicher Pioniergeist", erinnert sich Produktionsleiter Martin Schwab an die Anfänge des Cannabisanbaus. Lange Zeit sei es auf und ab gegangen, bis sich Produktion und Abnahme stabilisiert hätten. Das Schwierige ist, die Pflanzen so aufzuziehen, dass es möglichst wenig Abweichung in den Inhaltsstoffen gibt. Circa 350 Kilogramm getrocknete Blüten produziert die Ages in ihren Glashäusern pro Jahr. Die Produktionsstätten sind kameraüberwacht. Die Mengen müssen dem Gesundheitsministerium bis aufs Hundertstelgramm gemeldet werden.

Cannabis von hoher Qualität

Anfangs wurde bei der Ages ein kleines Geheimnis aus der Cannabisproduktion gemacht. Im Archiv des STANDARD finden sich noch alte Artikel, in denen Journalisten vergeblich versuchten, zu dem Thema Auskunft zu bekommen. Erst die mittlerweile verstorbene Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) ließ die Ages quasi von der Leine: Sie solle doch herzeigen, was sie da mache. Seitdem waren viele Medien in der Donaustadt, von TV-Sendern bis zu Boulevardzeitungen.

Junge Cannabispflanzen unter Kunstlicht
AGES, Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH, Marihuana
Nikolaus Ostermann

Nachdem hier Ware für den medizinischen Gebrauch angebaut wird, gelten schon in den Glashäusern hohe Standards. Ohne Schutzanzug kommt niemand rein. Man muss allerdings unterscheiden: Die Pflanzen hier werden als "Extraktionsware" angebaut. Das ist Cannabis, aus dem die Inhaltsstoffe extrahiert und zu Ölen oder Tropfen verarbeitet werden. Das Produkt, also die Blüte, muss nicht ganz perfekt sein, weil sie ja noch in einen Verarbeitungsprozess kommt. In Österreich ist die Verschreibung von medizinischem Cannabis nur in extrahierter Form legal. In Deutschland dürfen Ärzte seit 2017 daneben auch Blüten verschreiben.

Eine halbe Tonne pro Jahr

In der neuen Indoor-Anlage sind die Regeln viel strenger als in den Glashäusern. Dort wird nach GMP-Kriterien angebaut. Das steht für "Good Manifacturing Practice": Das sind Richtlinien für die Produktion in der Pharmaindustrie, die dafür sorgen sollen, dass Arzneimittel in hoher und vor allem gleichbleibender Qualität erzeugt werden. Abweichungen könnten direkte Auswirkungen auf die teilweise sehr kranken Konsumenten haben. "Wenn ich als Patient medizinisches Cannabis kaufe und merke, das hilft mir, hab ich keine Garantie, dass ich dasselbe Cannabis noch einmal bekomme", sagt Opfermann. "Der Patient sollte auch hier wissen, was er kriegt und was da drin ist, genauso wie bei einer Tablette Aspirin." Bei der Ages vergleicht man die neue Anlage auch gerne mit einer Fabrik.

Drei Männer in weißen Schutzanzügen in Indoor-Hanfplante, bestrahlt von pinkem Licht.
Produktionsleiter Martin Schwab, Abteilungsleiter Valentin Opfermann, Felix Patzak, verantwortlich für Qualitätssicherung (v. li.).
Nikolaus Ostermann

Um in die "Fabrik" zu kommen, muss man durch eine Hygieneschleuse und hinein in einen Ganzkörperanzug. Drinnen wirkt es futuristisch: Auf großen Regalen stehen graue Wannen mit jeweils 36 Cannabispflanzen. Aktuell stehen auf den beiden unteren Ebenen knapp 2400 Pflanzen. Mit der dritten Ebene, die bald dazukommen soll, werden es 3500 sein. Jede Pflanze wird durch einen kleinen Schlauch mit einer Nährlösung versorgt. LED-Leuchten sagen ihr, was sie gerade tun soll: Wachsen (in der Phase soll sie möglichst viel Licht bekommen) oder Blühen (da wird das Licht reduziert). Die Pflanzen, die vor einer Woche unter die LED-Leuchten gekommen sind, sind jetzt knapp 15 bis 20 Zentimeter hoch. Mit der neuen Anlage soll die jährliche Produktion auf eine halbe Tonne hochgefahren werden. Vier bis fünf Zyklen, also von Beginn bis zur Ernte, sind pro Jahr möglich. Die Männer der Ages sind sichtlich stolz auf diese Anlage. Ihre Augen leuchten, wenn sie von Wasserkühlung und Nachhaltigkeit reden. Seit sechs Jahren werden in der Cannabisproduktion Schädlinge nur mit Nützlingen bekämpft. Man setzt also gegen kleines Getier, das den Pflanzen schadet (zum Beispiel die Spinnmilbe), anderes Getier wie die Raubmilbe ein, das dieses tötet und an der Pflanze selbst keine Rückstände hinterlässt. "Das ist eine schwierige und teure Sache, die viel Know-how braucht", sagt Schwab. "Aber Pflanzenschutzmittel haben im Pharmabereich nichts zu suchen."

Der Effekt

Und auf noch etwas ist man sehr stolz: die Möglichkeiten zur Analyse. Im Labor der Ages kann man mit Geräten wie einem Flüssigkeits- oder einem Gas-Chromatografen die Inhaltsstoffe von Cannabisblüten bestimmen. Und zwar nicht nur die Cannabinoide, sondern auch die Terpene. "Das gibt es so noch nicht", sagt Opfermann. Terpene sind flüchtige Stoffe, die man riechen und schmecken kann. Manche davon haben darüber hinaus auch medizinische Effekte.

"Das gibt es so bislang noch nicht", sagt Opfermann. Die nächste "Charge" – wie eine Ernte genannt wird, die zeitgleich unter denselben Bedingungen aufgezogen wurde – könnte eine andere Zusammensetzung haben. Die Analyse, die auch als Auftragsarbeit für andere Firmen durchgeführt wird, soll dabei helfen, Cannabis mehr zu einem Standardisierten Produkt zu machen.

Teile einer Cannabispflanze in durchsichtigen Kunststoffbehältern stehen auf einem Labortisch
Die zarten Cannabispflänzchen werden einer Qualitätskontrolle unterzogen – und genau analysiert, damit Cannabis zum standardisierten Produkt werden kann.
Nikolaus Ostermann

Im zweiten Raum der neuen Anlage ist eine Charge Cannabis kurz vor der Ernte. Unter LED-Licht hängen dicke Blüten von "Ages K2", wie diese Variante heißt, an dünnen Pflanzen, die auch hier in den Wannen stehen. Der Raum ist warm, die Luftfeuchtigkeit hoch, der süßliche Geruch lässt sich fast schmecken. Einen Tag später sollen die Blüten geerntet werden. Das passiert von Hand. "Wir schauen uns mechanische Lösungen an", sagt Schwab. "Aber ein gewisser Teil manueller Arbeit wird immer bleiben." Über Preise und Umsatz gibt man bei der Ages keine Auskunft. Es wird betont, dass die Cannabisproduktion kostendeckend sei, es werde also kein Steuergeld verwendet.

Keine Selbsttherapie

Bei den Kunden ist man offener als früher. Die Extraktionsware geht seit Jahren an die deutsche Pharmafirma Bionorica (mittlerweile von Dermapharm aufgekauft), die auf Arzneimittel auf Pflanzenbasis spezialisiert ist. Mittlerweile ist auch ein steirisches Unternehmen, die Medizinalcannabis Vertriebs GmbH, auf die Kundenliste gekommen. Besonders aufregend ist ein deutsches Unternehmen namens Apurano, das das gelieferte Cannabis nicht verkauft, sondern für medizinische Studien verwendet, die teils schon weit fortgeschritten sind.

Das könnte vieles verändern: Auch wenn von man von vielen Patienten hört, die sich "selbst therapieren" – also Cannabis illegal kaufen – und auf die Pflanze schwören, ist ihre Wirkung nur bei wenigen Krankheiten wie Multipler Sklerose wissenschaftlich bestätigt. Sollte der Punkt kommen, an dem Cannabisblüten auch bei Volkskrankheiten wie chronischen Schmerzen verschrieben werden dürfen, wäre der Markt schlagartig größer.

Die geplante Legalisierung in Deutschland hat auf die Ages laut eigener Aussage keine Auswirkung. Das seien zwei unterschiedliche Dinge, sagt Opfermann. "Wir stellen hier ein Medizinprodukt her. Das hat eine ganz andere Nachfrage." (Jonas Vogt, 2.7.2023)