Frankreichs Ministerpräsidentin Élisabeth Borne
Élisabeth Borne sprach sich für eine strenge Haltung bezüglich Recht und Ordnung in der Gesellschaft aus.
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Paris – Frankreichs Ministerpräsidentin Élisabeth Borne hat nach den jüngsten Unruhen angekündigt, auch gegen die Eltern von minderjährigen Randalierern vorzugehen. Sie sollten Geldstrafen erhalten und Schulungen über elterliche Verantwortung absolvieren müssen, sagte Borne am Dienstag vor dem Parlament. Das Justizministerium werde in Kürze eine entsprechende Anweisung herausgeben. Die Regierungschefin sprach sich für eine strenge Haltung bezüglich Recht und Ordnung in der Gesellschaft aus. Das Justizsystem solle sicherstellen, dass auch kleinere Vergehen während der Unruhen verfolgt würden.

Seit dem Tod des 17-jährigen Nahel durch eine Polizeikugel bei einer Verkehrskontrolle am Dienstag vergangener Woche wurde Frankreich von schweren Krawallen erschüttert. Wiederholt kam es zu Plünderungen, Brandanschlägen und gewaltsamen Konfrontationen zwischen Polizisten und Randalierern. 

Nach Regierungsangaben wurden in den vergangenen Tagen über 3.400 Menschen bei Ausschreitungen festgenommen. 684 Polizisten und Feuerwehrleute seien verletzt worden. Der Höhepunkt der Ausschreitungen sei überschritten, sagte der Präsident Emmanuel Macron, obwohl in den kommenden Tagen und Wochen weiterhin Vorsicht geboten sei. "Es ist die dauerhafte Ordnung, die wir als oberste Priorität angehen müssen."

Macron verspricht "grundlegende Antworten"

Macron hat "grundlegende Antworten" versprochen. Bei einem Treffen mit 241 Bürgermeistern der von den Ausschreitungen besonders betroffenen Städte sagte Macron am Dienstag, es gehe nicht darum, seit Jahrzehnten praktizierte Dinge zu wiederholen, berichtete der Sender BFMTV. Nötig sei eine "Antwort auf der Höhe dessen, was wir erlebt haben".

Bei dem Treffen mit den Bürgermeistern wollte sich Macron nach Regierungsangaben zunächst über die Lage in den Städten informieren. Neben moralischer Unterstützung will der Präsident Hilfe bei der Reparatur beschädigter Rathäuser und anderer öffentlicher Einrichtungen anbieten. An dem Treffen nahm auch der Bürgermeister des Pariser Vorortes L'Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun, teil, dessen Privathaus Randalierer am Wochenende mit einem Auto gerammt und in Brand gesteckt hatten.

Premierministerin Élisabeth Borne hatte zuvor mit den Fraktionsvorsitzenden beider Parlamentskammern über die Krise beraten. Am wichtigsten sei nun, die Ruhe im Land wiederherzustellen mit massiver Polizeipräsenz und einem entschiedenen Vorgehen der Justiz, sagte Borne. Laut dem Sender BFMTV wurden erste Beteiligte bereits im Schnellverfahren verurteilt, unter anderem zu Haftstrafen mit elektronischer Fußfessel.

Keine größeren Ausschreitungen in der Nacht auf Dienstag

Größere Ausschreitungen blieben in der Nacht auf Dienstag aus. In Nanterre bei Paris, wo der 17 Jahre alte Jugendliche am Dienstag vergangener Woche von einem Polizisten erschossen worden war, blieb es trotz einzelner Sachbeschädigungen ruhig, wie BFMTV berichtete. Im Großraum Paris kam es zu 17 Festnahmen. Erneut waren landesweit rund 45.000 Polizisten im Einsatz, um für Ruhe zu sorgen.

Gegen den Beamten, der den Schuss auf den Jugendlichen abgegeben hat, wird wegen Totschlagverdachts ermittelt. Frankreich sei ein Rechtsstaat und auch die Polizei an Gesetze gebunden, betonte die Regierung am Montag. Die Polizei habe aber keine systemischen Probleme mit Rassismus oder leichtfertigem Einsatz von Schusswaffen. Gerade in den vergangenen Tagen habe sie vielmehr Professionalität und Augenmaß bewiesen – trotz heftiger Ausschreitungen seien weder Randalierer noch Beamte zu Tode gekommen. Der Tod des Jugendlichen sei gleichwohl tragisch und bewege verständlicherweise die Gemüter. Auf Forderungen nach einer Polizeireform ging die Regierung bisher nicht ein.

Details zur Polizeikontrolle

In dem von der Polizei gestoppten Wagen hatten sich laut neuen Details drei Jugendliche befunden. Die Zeitung "Le Parisien" veröffentlichte am Montagabend Schilderungen des Hergangs aus der Sicht eines 14-Jährigen, der auf der Rückbank saß, und die dessen Vater schriftlich der Zeitung übermittelte. Nahel traf den Buben demnach zufällig morgens und bot ihm an, ihn mit dem Auto zu einer Schulprüfung zu fahren.

Einer ersten Aufforderung der Polizei zum Anhalten habe der 17-Jährige nicht Folge geleistet, berichtete der Bub. Als der Verkehr stockte, hätten die Polizisten das Auto eingeholt und ihre Waffen auf den 17-Jährigen gerichtet. Einer habe dabei gedroht, ihm in den Kopf zu schießen. In Panik sei Nahel möglicherweise mit dem Fuß von der Bremse des Automatikwagens gerutscht, sodass dieser sich in Bewegung setzte. Der eine Beamte habe den anderen zum Schießen aufgefordert. "Der ist verrückt, der hat geschossen", habe Nahel noch gesagt, ehe er leblos zusammengesackt und der Wagen in eine Absperrung gefahren sei.

Innenminister warnt vor Stigmatisierung von Ausländern

Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin hat nach den tagelangen Protesten gegen Polizeigewalt vor einer Stigmatisierung von Ausländern gewarnt. "Die Frage ist heute die nach den Straftätern, nicht nach den Ausländern", sagte Darmanin am Dienstag im Parlament in Paris. Unter den 4.000 Festgenommenen der vergangenen Tage hätten weniger als zehn Prozent nicht die französische Nationalität, lediglich 40 von ihnen drohe die Abschiebehaft. "Wir wollen weder Hass gegen die Polizei noch Hass gegen Ausländer. Wir wollen Liebe für die Republik." Es sei möglich, einen Migrationshintergrund zu haben, aus den Vorstädten zu stammen und sein Land zu lieben, sagte Darmanin aufgebracht am Rednerpult. (APA, Reuters, red, 4.7.2023)