Vierzehn Monate ist es bald her, dass das traditionell neutrale Schweden gemeinsam mit Finnland um Aufnahme in die Nato angesucht hat. Während Finnland seit April dem Verteidigungsbündnis angehört, heißt es für Schweden bisher weiter warten. Grund dafür: Neben Ungarn blockiert vor allem die Türkei den Aufnahmeprozess Stockholms. Am Donnerstagnachmittag lud Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Außenminister Schwedens und der Türkei in die Brüsseler Zentrale, um vor dem mit Spannung erwarteten Gipfel im litauischen Vilnius kommende Woche noch einmal die Chancen auszuloten, dass Ankara der Erweiterung doch noch zustimmt.

Man habe Fortschritte gemacht, sagte Schwedens Außenminister Tobias Billström unnmittelbar nach dem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen, dem ehemaligen Geheimdienstchef Hakan Fidan. Es liege nun jedoch an der Türkei, noch vor dem Gipfel eine Entscheidung herbeizuführen.

Fidans Reaktion fiel kühl aus: Stockholm müsse "erst einmal seine Hausübungen machen", konkret: Die auf Wunsch der Türkei vom schwedischen Reichstag beschlossenen Gesetze, etwa jenes, das die Mitgliedschaft in der kurdischen PKK-Miliz verbietet, müssten jetzt in der Praxis umgesetzt werden, forderte er.

"Beitritt in Reichweite"

Stoltenberg, der seinen Vertrag als Nato-Generalsekretär erst vor wenigen Tagen um ein weiteres Jahr verlängerte, gab sich am Donnerstag gleichwohl optimistisch. Schwedens Nato-Mitgliedschaft sei "in Reichweite", noch vor dem Gipfel in Vilnius werde er Schwedens Ministerpräsidenten Ulf Kristersson und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu einer persönlichen Unterredung einladen, um dann auf dem Nato-Treffen Schwedens Beitritt unter Dach und Fach zu bringen. Spekuliert wurde am Donnerstag auch über ein geplantes Vieraugen-Gespräch Erdoğans mit US-Präsident Joe Biden, der zuletzt den Druck auf die Türkei erhöht hatte, ihren Widerstand aufzugeben.

Die Vorzeichen waren zuletzt allerdings nicht allzu hoffnungsfroh. "Wir sind uns gar nicht sicher, ob Schweden tatsächlich eine Stärkung der Nato wäre", hatte Fidan erst vor wenigen Tagen gegenüber Journalisten in Ankara erklärt. "Die ständigen Provokationen gegenüber Muslimen, die Stockholm entweder unterstützt oder zulässt", könnten das Image des Bündnisses unter Muslimen weltweit beschädigen.

Die tatsächliche oder gespielte Empörung über die Duldung einer provokativen Koranverbrennung vor der Hauptmoschee in Stockholm zu Beginn des muslimischen Opferfests sind aber nur der letzte Anlass für Ankara, Schweden die Nato-Mitgliedschaft bis jetzt zu verweigern. Auch Stockholms Umgang mit der PKK ist Ankara weiter ein Dorn im Auge.

Wohl auch deshalb stellt sich der Ankara weiter stur. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán kündigte an, sein Land, das ebenfalls den Beitrittsantrag Schwedens noch nicht ratifiziert hat, werde sich an der Türkei orientieren.

Wahl brachte keine Wende

Die meisten Beobachter waren davon ausgegangen, dass Erdoğan mit seiner Ablehnung Schwedens vor allem im Vorfeld der Wahlen bei seinen nationalistischen Anhängern punkten wollte und deshalb nach den Präsidentschaftswahlen, die am 28. Mai stattfanden, seinen Widerstand aufgeben würde. Auch massiver Druck hat allerdings bislang nichts an der ablehnenden Haltung Erdoğans ändern können.

Die Nachrichtenagentur Reuters hatte vor gut einer Woche gesteckt bekommen, dass Erdoğans Sohn Bilal wohl in einen größeren Korruptionsfall verstrickt ist. Ausgerechnet ein schwedisches Tochterunternehmen eines US-Konzerns wollte sich wohl über Bilal den Weg zu einem Großauftrag in der Türkei bahnen und soll dafür Millionen Dollar an Bestechungsgeld gezahlt haben. Viele sahen in der Geschichte einen Wink mit dem Zaunpfahl, dass man noch weitere unangenehme Informationen auspacken könnte, falls Erdoğan sich weiterhin sträubt.

Vielleicht hat das die Ablehnung Erdoğans aber eher noch verstärkt, denn auch sein Misstrauen gegenüber den USA nimmt eher zu als ab. Auch deshalb, weil sich Joe Biden bisher weigerte, Erdoğan im Weißen Haus zu empfangen. Schweden könnte für Erdoğan zu einem Mittel zum Zweck geworden sein, sich bei Biden Gehör zu verschaffen. Denn während der US-Präsident bisher ein Treffen mit Erdoğan in Washington ablehnt, ist dieser im Kreml mittlerweile ein gern gesehener Gast. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, Florian Niederndorfer, 7.7.2023)

Recep Tayyip Erdoğan
Erdoğan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan lässt sich weiter bitten: Zumindest vordergründig nutzt er die jüngste Koranverbrennung in Schweden als Anlass, den Nato-Beitritt des nordischen Landes zu blockieren.
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