Schwimmer beim Kraulen
Bei jedem dritten Armzug atme ich ein, einmal links, einmal rechts. Ich bin ein Typ, der auf Abwechslung steht.
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Wien – Ruth baut mich auf, und das kann ich gerade wirklich gut brauchen. Denn zuletzt hab ich mir zumindest streckenweise gedacht, dass ich nie g'scheit schwimmen lernen werde. Wobei, bitte nicht falsch verstehen: Ich halte mich von Kindesbeinen an halbwegs über Wasser und habe auch vor einem Jahr begonnen, ab und zu meine Längen zu ziehen. Aber halt Brust schwimmend, weil ich seinerzeit, nämlich mit Kindesbeinen, genau das gelernt habe. "Da hast du nicht wirklich schwimmen gelernt", sagt Ruth. "Da hast du nur gelernt, nicht zu ertrinken."

Aber jetzt, kaum fünf Jahrzehnte später, will ich g'scheit schwimmen können. Kraulen können. Damit mein Kopf nicht aus dem Wasser kommen muss wie ein Schildkrötenkopf aus dem Panzer. Im Winter hab ich, um eine Basis zu kriegen, einen Anfängerkurs der Schwimmschule Steiner absolviert und vor allem am Anfang nicht fassen können, wie lang ein 25-m-Becken sein kann. Jetzt hab ich eine 50-m-Länge Kraul – immerhin – hinter mir, blase am Beckenrand aus, Ruth steht daneben und sagt: "Wirklich gar nicht so schlecht, deine Wasserlage."

Vier springende Punkte

Wir haben uns mehr oder weniger zufällig im Stadionbad getroffen, Ruth ist Ruth Pataki, eine der besten Mastersschwimmerinnen im Lande und auch international recht erfolgreich. Seit kurzem schwimmt sie in der Altersklasse 45, ihre Karriere ist insofern bemerkenswert, als sie keine Leistungsschwimmerin war, sondern selbst erst mit Mitte 30 g'scheit schwimmen vulgo kraulen lernte. Sie weiß, was der springende oder schwimmende Punkt ist, wenn ein Erwachsener im Wasser vom Fleck kommen will.

Eigentlich sind es vier Punkte. Erstens die Wasserlage, zweitens das Wassergefühl, drittens die Beweglichkeit, viertens die Technik. Eine gute Wasserlage, heißt es, ist die halbe Miete. Manche Menschen bringen sie von Haus aus mit, andere Menschen tun sich damit schwer. Gute Wasserlage, was heißt das? Deine Beine sacken nicht nach unten ab, deine Körperspannung bleibt erhalten, und du kannst nicht die Uhr an der Wand lesen, weil dein Kopf permanent über Wasser ist, wo er nicht hingehört.

Mein Freund, die Boje

Es gibt – an Land wie im Wasser – diverse Übungen, um die Bauch- und untere Rückenmuskulatur zu stärken und so die Wasserlage zu verbessern. Und es gibt den berühmten Pullbuoy, auf Deutsch "Ziehboje" und nicht mit dem Poolboy zu verwechslen. Den Pullbuoy klemmt man sich zwischen die Oberschenkel, er gibt Auftrieb, das erleichtert das Leben und vor allem das Kraulen immens. Der Pullbuoy war zuletzt mein bester Freund, mit ihm kraule ich schon eine Länge nach der anderen.

Ruth warnt mich freilich davor, den Pullbuoy überzustrapazieren. Das könnte dazu führen, dass ich meine Beine vergesse und zu viel Kraft aus meinen Schultern kommt. Das wiederum wäre meiner Beweglichkeit – wir erinnern uns: Punkt drei! – abträglich. "Da schwimmst du am Ende wie ein Hund", sagt Ruth. "Aber du sollst nicht nur aus den Armen schwimmen." Merke also: den Pull-buoy nur mit Maß und Ziel einsetzen.

Ruth ist keine fertig ausgebildete Trainerin, das betont sie, sie gibt mir aber gerne den einen oder anderen Tipp. Der wichtigste: üben, üben, üben. "Schwimmen ist, wenn man es wirklich lernen will, sehr komplex und damit sehr zeitintensiv." Es gibt so vieles, worauf zu achten ist. Die Geschichte mit der Atmung, für viele das größte Problem, bekomme ich ganz gut hin. Bei jedem dritten Armzug atme ich ein, also einmal links, einmal rechts, ich bin ein Typ, der auf Abwechslung steht, manchmal putze ich mir sogar mit der linken Hand die Zähne.

Was tun die Beine?

Wann und wo sollen die Arme eintauchen? "Wichtig ist", sagt Ruth, "was unter Wasser passiert." Je weiter ich nach vorne greife, umso mehr Wasser kann ich zurückschieben. Die Schulter ganz auszustrecken ist aber auch nicht die beste Idee, weil die Hand dann keinen Druck mehr ausübt. Meine größte Unsicherheit derzeit betrifft aber die Beinarbeit. Wie stark soll ich mit den Beinen schlagen? Wenn ich zu viel tue, geht mir flott die Luft aus. Vielleicht lass ich den Pullbuoy künftig wirklich öfter weg.

Ruth Pataki
"Du sollst nicht nur aus den Armen schwimmen", sagt Ruth Pataki. "Sonst schwimmst du am Ende noch wie ein Hund."
privat

Schwimmtraining wird nie fad, sagt Ruth. Es gibt ja neben Kraul und Brust auch Rücken und – eine Utopie – Delfin, all diese Lagen lassen sich schneller oder langsamer anlegen und kombinieren. Ruth zeigt ihren Trainingsplan von heute her, er umfasst 3,3 Kilometer – 66 Längen! Sie sind in zig Abschnitte unterteilt, und zwischendurch sind immer wieder Längen mit speziellen Übungen eingebaut.

Übungen? Ja, Übungen. Zum Beispiel Sculling oder Schneiden. Die Beine tun eh nichts, Kopf unter Wasser, nur die Unterarme arbeiten, zeichnen halbe Achter oder machen scheibenwischerartige Bewegungen. Auch so kommst du vom Fleck, wenn auch langsam, eine Länge zieht sich ordentlich. Doch die Übungen zahlen sich aus. Du bekommst ein Gefühl für das Wasser, wir erinnern uns: Punkt zwei! Die erste Länge Kraul nach zwei Sculling-Längen fühlt sich toll an, vielleicht auch aus lauter Erleichterung.

"Badeschluss" wird überhört

Neben dem Pullbuoy gibt es auch andere Tools fürs Training. Von Paddles für die Hände raten Experten vor allem Anfängern eher ab. Doch kleine Flossen, Schnorchel und Brett – zwecks Konzentration auf die Beine oder auf nur einen Arm – kannst du bald einmal brauchen. Bei mir persönlich kommen Ohrstöpsel dazu, Ruth zieht die Badekappe vor. Doch mir geht es nicht nur darum, kein Wasser ins Ohr zu kriegen. Mit den Stöpseln überhöre ich sehr gerne die "Badeschluss"-Ansage, die im Stadionbad aus den Lautsprechern kommt. Und dann kraule ich und kraule ich, ich kraule immer weiter. (Fritz Neumann, 12.7.2023)