Französische Polizisten während Ausschreitungen
Soziale Unruhen wie in Frankreich sollen zukünftig ausreichen, um Social-Media-Plattformen zu sperren, sagt EU-Kommissar Thierry Breton.
AFP/BERTRAND GUAY

Der EU-Digitalkommissar Thierry Breton ist nicht gerade für seine Zurückhaltung bekannt und stellte Plattformen wie Twitter oder Tiktok auch schon mal ein europaweites Verbot in Aussicht, falls sie die Regeln des Digital Services Act (DSA) nicht umsetzen sollten.

Jetzt droht der ehemaligen Chef der France Telecom mit der Abschaltung sämtlicher Plattformen im Fall von sozialen Unruhen. Demnach könne die EU-Kommission den Zugang zu sozialen Netzwerken wie Tiktok, Twitter, Facebook, Instagram, Youtube und Snapchat auf Grundlage des DSA vollständig sperren lassen, wenn die Betreiber nicht gegen rechtswidrige Inhalte bei sozialen Unruhen vorgehen. Dies erklärte Breton am Montag in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender France Info.

Breton: "Wenn es hasserfüllte Inhalte gibt, Inhalte, die beispielsweise zum Aufstand oder zum Töten oder zum Anzünden von Autos aufrufen, sind die Plattformen verpflichtet, diese zu löschen. Wenn sie dies nicht tun, werden sie sofort sanktioniert", berichtet "Heise" unter Berufung auf den Sender.

Heftige Verbotsdebatte in Frankreich

Man verfüge über Teams, die sofort eingreifen können, erklärte der 68-Jährige. Würden die Verantwortlichen bei den Social-Media-Plattformen nicht sofort handeln, dann könne man nicht nur eine Geldstrafe verhängen, sondern auch den Betrieb der Plattform in der EU verbieten, sagte Breton in dem Gespräch.

Damit ist Breton ganz auf der Linie mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. In Frankreich kommt es immer wieder zu Unruhen und Ausschreitungen infolge eines tödlichen Schusses eines Polizisten auf einen 17-Jährigen im Großraum Paris. Auch Macron stellte in der Vorwoche gegenüber Lokalpolitikern ein mögliches Social-Media-Verbot oder zumindest Nutzungseinschränkungen in den Raum: "Wir müssen über die Nutzung dieser Netzwerke durch die Jugend nachdenken" und dabei auch Verbote ins Auge fassen.

Macron will Netzwerke "abschneiden"

Denn Social Media verändere die Art und Weise, wie junge Menschen mit der Realität umgehen, erklärte der französische Präsident gegenüber 250 Bürgermeistern im Élysée-Palast und forderte Sanktionsmöglichkeiten gegenüber den Plattformen. Notfalls müsse man den Zugang zu den Netzwerken "abschneiden", wie Macron sagte.

Kurz darauf versuchte die französische Regierung zurückzurudern, nachdem Medien Vergleiche zwischen Macrons Aussagen und der staatlichen Zensur in China und dem Iran gezogen hatten und auch aus der eigenen Partei Kritik laut geworden war. Der Präsident habe lediglich gemeint, dass es technisch möglich sei, den Zugang zu sozialen Medien einzuschränken, nicht, dass er Zugangsbeschränkungen plane, richtete der französische Digitalminister Jean-Noël Barrot gegenüber "Politico" aus.

Neue Verbotsfantasien

Bislang war im Digital Services Act nie von Zugangsbeschränkungen bei Onlineplattformen die Rede. Bei Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit oder der Gesundheit kann die Kommission von sehr großen Plattformen verlangen, dringende Bedrohungen auf ihren Plattformen "zu begrenzen", wie es im DSA heißt. Diese besonderen Maßnahmen sind aber auf drei Monate begrenzt.

Neue Regeln ab Ende August

19 sogenannte sehr große Onlineplattformen, darunter Tiktok, Snapchat, Instagram und Twitter, müssen ab 25. August neue rechtliche Voraussetzungen erfüllen. Das soll die Verbreitung illegaler und schädlicher Inhalte eindämmen. Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU müssen der Kommission außerdem eine erste detaillierte Bewertung ihrer größten Risiken für die Nutzer vorlegen. Im Raum stehen Geldbußen von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes, wenn sie den Anforderungen nicht gerecht werden sollten.

Breton kündigte an, dass die Kommission nächste Woche einen "Stresstest" bei Tiktok durchführen werde, um zu prüfen, inwieweit das Unternehmen in der Lage sei, die neuen Regeln einzuhalten. Twitter hat bereits einen Test durchgeführt. Meta hat sich bereiterklärt, den Test noch in diesem Monat zu absolvieren. (pez, 11.7.2023)