Maria Sterkl aus Jerusalem

Die israelische Polizei hatte Dienstagmorgen wohl mit vielem gerechnet, aber nicht mit einem Campingplatz mitten auf der Autobahn. Unweit von Tel Aviv blockierten Demonstranten eine von Pendlern stark genutzte Schnellstraße, indem sie dort frühmorgens Barrikaden errichteten – in Form von Zelten und brennenden Autoreifen.

Wenige Stunden zuvor hatte die rechts-religiöse Koalition unter Benjamin Netanjahu im Parlament in Jerusalem einen wichtigen Teil der umstrittenen Justizreform in erster Lesung beschlossen. Sie setzte damit den ersten Schritt, um Regierungsentscheidungen künftig gegen richterliche Kontrolle zu immunisieren. Kritik daran kam aus allen Richtungen: von hohen Offizieren der Armee, von Rechtsanwälten, Ärzten, Managern der Hightech-Branche und vor allem von den Oppositionsparteien, die nach der Verkündung des Abstimmungsergebnisses in der Knesset in laute "Schande"-Rufe ausbrachen. Die Koalitionsabgeordneten applaudierten derweil sich selbst.

Israel Proteste.
Berittene Polizei im Einsatz gegen die Demonstrierenden.
AFP/MENAHEM KAHANA

Polizei war unvorbereitet

Der größte Protest aber von kam der Straße. "Tag der Disruption" – unter diesem Titel hatten die Protestplattformen ihre für Dienstag geplanten Aktionen angekündigt. Die Polizei erschien dennoch vergleichsweise unvorbereitet auf das, was sich morgens auf den wichtigsten Zufahrten nach Tel Aviv, Jerusalem und Haifa abspielte: Demonstranten riegelten Autobahnen mit Holzbarrikaden und anderen Hindernissen ab und kündigten auf Transparenten an, Israel "von seinen Zerstörern zu befreien".

Wasserwerfer Israel Proteste.
Der Einsatz der Wasserwerfer führte zu einem Regenbogen.
REUTERS

Schließlich fuhr die Polizei mit Wasserwerfern auf, nach und nach wurden die Überlandstraßen wieder geöffnet, untertags aber zum Teil erneut blockiert. Am späten Vormittag gewann dann eine Spontandemonstration in der Tel Aviver Kaplan-Straße rasch an Zulauf. Die nahe der Ayalon-Autobahn gelegene Straße hat sich als zentrale Adresse der Proteste gegen den Justizcoup der Regierung etabliert. Hier war die Polizei schnell und umso entschlossener vor Ort.

Protestierende wurden abtransportiert.
REUTERS/RONEN ZVULUN

Die Sicherheitskräfte setzten die Ankündigung des Nationalen Sicherheitsministers Itamar Ben Gvir, wonach man gegen die Demonstranten mit harter Hand vorgehen solle, in die Tat um. Gegen 15 Uhr gab es bereits über 60 Festnahmen, aber auch einige Verletzte.

Polizei setzt Gewalt ein

Immer wieder prügelten Polizisten auf Demonstranten ein, ohne dass dem eine sichtbare Provokation vorausgegangen wäre. Auf der Kaplan-Straße war die berittene Polizei sogar auf Gehwegen unterwegs, Passanten klagten über Verletzungen durch Pferdetritte und Wasserwerfer. Protestplattformen sprachen von "schrecklicher Polizeigewalt". Sie riefen die Polizeiführung auf, "sofort einzuschreiten, bevor es Menschenleben kostet".

Die Polizei ist in Israel zwar grundsätzlich von parteipolitischer Einflussnahme geschützt, Ben Gvir kann den Polizeikörpern keine Befehle erteilen.

Am Dienstagnachmittag setzten sich die Proteste gegen Justizreform auf dem Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv fort.
Am Dienstagnachmittag setzten sich die Proteste gegen Justizreform auf dem FlughafenBen Gurion bei Tel Aviv fort.
EPA/ABIR SULTAN

Der rechtsextreme Minister hatte seine Order in den vergangenen Tagen aber auf direktem Weg übermittelt – über TV-Stationen und soziale Medien. Dort stellte er wieder und wieder die faktenwidrige Behauptung auf, die Polizei gehe mit linken Aktivisten sachter um als mit rechten Demonstranten. Dies sei "inakzeptabel".

Mahnung aus Washington

Reaktionen auf die Polizeigewalt und Festnahmen kamen unterdessen aus den USA. Das Weiße Haus forderte Israel am Dienstag auf, das Recht auf friedliche Versammlung zu respektieren. "Wir fordern die Behörden auf, das Recht auf friedliche Versammlung zu schützen und zu respektieren", so ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses. "Es ist klar, dass es in Israel eine bedeutende Debatte über den beabsichtigten Plan gibt. Solche Debatten sind ein gesunder Teil einer lebendigen Demokratie." (Maria Sterkl aus Jerusalem, mae, Reuters, 11.7.2023)