Eine Schlappe vor Gericht mit vier Freisprüchen nach jahrelangen Ermittlungen: So eine Gelegenheit, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu kritisieren, lässt die ÖVP normalerweise nicht aus. Doch dieses Mal blieb es erstaunlich ruhig, obwohl das Urteil genug Anlass für Kritik gab – handelte es sich doch um eines der Verfahren, die die WKStA im Zuge des Verfassungsschutzkomplexes führte. Also jener skandalösen Ermittlungen, die durch FPÖ-nahe Beamte und das damals blaue Innenministerium rund um Ressortchef Herbert Kickl (FPÖ) angeschoben worden waren, um den Verfassungsschutz umzufärben.

Offenbar ist WKStA-Kritik unter schwarz-türkisen Politikerinnen und Politikern zumindest vorerst aus der Mode gekommen – lieber schießt man gegen die grüne Justizministerin Alma Zadić direkt, etwa rund um den späten Gerichtstermin in der Causa Teichtmeister, oder gegen investigativen Journalismus. Sprich: Als Problem sieht man nun (ein bisschen) weniger, dass ermittelt wird, sondern (ein bisschen mehr), dass darüber berichtet wird.

Strafantrag gegen Kurz steht bevor

Für die Korruptionsstaatsanwaltschaft dürfte es sich aber nur um eine kurze Verschnaufpause handeln. In wenigen Wochen wird vermutlich ein Strafantrag gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz, womöglich auch gegen seinen einstigen Kabinettschef Bernhard Bonelli und seine Vizeparteiobfrau, die Casinos-Managerin Bettina Glatz-Kremsner, eingebracht werden. Und dann wird wieder Feuer am Dach sein.

Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, heißt ein altes Juristensprichwort, das so natürlich nicht stimmt. Kann die Staatsanwaltschaft bei einem Mord die Tatwaffe mit dem Angeklagten in Verbindung bringen und hat dieser kein Alibi, dafür ein Motiv, dann spielen Gott oder andere übernatürliche Kräfte keine Rolle.

Kein Selbstläufer

In der Causa Sebastian Kurz ist hingegen nichts sicher. Eine vorsätzliche Falschaussage nachzuweisen ist schwierig. Da geht es um Syntax und Semantik ebenso wie um Umstände, etwa die hitzige Stimmung im U-Ausschuss. Das Verfahren gegen Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien, hat das gezeigt: Zuerst wurde er wegen Falschaussage verurteilt, das wurde dann gehoben, es folgte ein Freispruch, der noch nicht rechtskräftig ist.

Kurz selbst weist den Vorwurf, er habe das Parlament angelogen, strikt von sich. Folgt ein Einzelrichter seiner Verteidigung, kommen harte Zeiten auf die WKStA zu; womöglich wird sie dann auch im Nationalratswahlkampf 2024 Thema.

Wöginger, Sobotka, Sachslehner
Auch gegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger (links) und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka wird ermittelt.
Heribert Corn

Dauerbrenner Beschuldigtenrechte

Wenn die ÖVP könnte, würde sie die Behörde vermutlich neu aufstellen. Die große Frage bleibt, ob ihr das jemand ermöglicht. Die FPÖ schwört hinter den Kulissen jedenfalls Stein und Bein, dass man als Regierungspartei die WKStA nicht anrühren würde. Das gilt wohl auch für SPÖ und Neos. Aber in dieser Republik wurde bei Koalitionsverhandlungen schon so mancher unerwarteter Deal geschlossen.

Eine "Justizreform" steht bei der ÖVP jedenfalls ganz oben auf der Wunschliste. Verfahren sollen schneller abgewickelt werden, Ermittlungsmaßnahmen höhere Schranken haben oder nur mehr eingeschränkt angewandt werden dürfen. Statt die WKStA zu zerschlagen, will man ihr Zügel anlegen. Das dürfte mit dem Koalitionspartner nicht klappen, der wird deshalb auch auf die Einrichtung einer Generalstaatsanwaltschaft als neue Oberbehörde für Staatsanwaltschaften verzichten müssen. Ein etwaiger Freispruch für Kurz könnte der ÖVP aber einen neuen Hebel geben – für die Justiz wird es also ein heißer Herbst. (Fabian Schmid, 16.7.2023)