Kind vor einem Ventilator
In Europa sind die meisten Länder vor allem auf das Heizen eingestellt, doch Methoden zur Abkühlung werden immer wichtiger.
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Rankings sind in Österreich beliebt: Topplätze waren in den vergangenen Jahren etwa für das unfreundlichste Land oder die nichtsdestoweniger lebenswerteste Stadt (Wien) reserviert. Mitunter bekommen bei solchen Listen auch ein paar österreichische Forschungseinrichtungen oder besonders häufig zitierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter Aufmerksamkeit. Unter die Top Ten gelangt das Land aber nun auch in einem anderen Bereich: Hier ist mit einem verhältnismäßig hohen Kühlbedarf im Zuge der Erderhitzung zu rechnen, wie eine aktuelle Studie im Fachjournal "Nature Sustainability" deutlich macht.

Darin wird international der Kühlbedarf aufgezeigt, der sich bei einer durchschnittlichen Erwärmung der Erde um zwei statt 1,5 Grad ergibt, schreibt die Forschungsgruppe um Nicole Miranda und Jesus Lizana von der Universität Oxford. In den vergangenen Jahren ging man davon aus, dass sich die Erde schon um etwa 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmt hat. Mittlerweile sorgt unter anderem der heiße Einfluss des El-Niño-Wetterphänomens dafür, dass neue Maximaltemperaturen gemessen werden, was diesen Wert weiter in die Höhe treibt.

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Verhältnismäßig mehr Hitze

Der Studie zufolge steigt in einigen eher kühlen Ländern die Anzahl der Tage, an denen Kühlungsbedarf besteht, relativ stark an. Für Österreich – auf Platz sieben des Rankings – heißt das: Es gibt um rund 25 Prozent mehr "unbequem hohe Temperaturen", wenn die Erderwärmung von 1,5 Grad bis auf zwei Grad fortschreitet. Berücksichtigt wurden Länder mit einer Bevölkerung von mehr als zwei Millionen Menschen (Stand 2020). Deutschland liegt mit etwa 20 Prozent auf Platz 14.

Dafür wurde der Indikator "Kühlgradtage" genutzt. 18 Grad Celsius gelten als Standardtemperatur, die mit der durchschnittlichen Außentemperatur eines Tages an einem bestimmten Ort verglichen und dann auf ein Jahr hochgerechnet wurde. Vor allen in den genannten Top-Ten-Ländern stehen normalerweise die Heizgradtage im Vordergrund, also die Tage, an denen geheizt werden muss.

Größter Temperaturanstieg

Außerdem wurde eine Rangliste jener Länder ermittelt, in denen der Temperaturanstieg dem Klimamodell zufolge den größten Unterschied in absoluten Zahlen ausmacht. Hier finden sich vor allem afrikanische Länder südlich der Sahara:

"Die Menschen in Afrika tragen dann die Hauptlast eines Problems, das sie nicht verursacht haben", wird das Forschungsteam in einer Aussendung zitiert. In diesen Ländern ist der CO2-Ausstoß pro Kopf im Gegensatz zu Ländern des globalen Nordens niedrig.

Gebäude wie Gewächshäuser

Bemerkenswert ist aber auch, dass die wirtschaftlich besser aufgestellten Länder mit einem hohen relativen Anstieg zu rechnen haben und den Fachleuten zufolge dafür "gefährlich unzureichend vorbereitet" sind. Studienautor Lizana sagt: "Im Moment wirken die Gebäude dort wie Gewächshäuser: Sie haben keinen äußeren Sonnenschutz, keine von außen abdunkelbaren Fenster, keine natürliche Belüftung und keine Deckenventilatoren." Änderungen an den Bauten würden dafür sorgen, dass nicht übermäßig viele Klimaanlagen zusätzlich eingesetzt werden müssen.

Schneller als in anderen Ländern müsse man in nordeuropäischen Ländern Anpassungen an Hitzeresilienz in großem Stil umsetzen, sagt Studienautorin Miranda. Extreme Hitze führe zu Dehydrierung und vor allem in vulnerablen Gruppen mitunter zum Tod: "Es ist eine gesundheitliche und wirtschaftliche Notwendigkeit, dass wir uns auf mehr heiße Tage einstellen."

Kühlbedarf so groß wie Stromerzeugung vieler Länder

Bei der Auswertung handelt es sich gemäß der britischen Forschungsgruppe um eine konservative Schätzung. Sie berücksichtige keine extremen Verhältnissen durch Hitzewellen, die zusätzliche Probleme verursachen.

Dass dabei nicht hauptsächlich auf nicht nachhaltigen Klimaanlagen mit hohem Energieverbrauch gesetzt werden könne, macht die leitende Autorin Radhika Khosla deutlich: "Bis 2050 könnte der Energiebedarf für die Kühlung so groß sein wie die gesamte Stromerzeugung der USA, der EU und Japans im Jahr 2016 zusammen." Wenn dadurch wieder Emissionen steigen, "könnten wir in einem Teufelskreis gefangen sein, in dem wir fossile Energieträger verbrennen, um uns abzukühlen, während wir die Welt draußen heißer machen".

Doppelt so schnelle Erhitzung Europas

Der Unterschied von 1,5 auf zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ist deshalb relevant, weil das angekündigte Pariser 1,5-Grad-Ziel kaum noch zu erreichen sein wird. Zwar betonen Fachleute, dass es nach einem Überschreiten dieser Grenze noch immer möglich sei, später zu einem Durchschnitt von 1,5 Grad zurückzukehren. Das ist jedenfalls denkbar, wenn schnell starke Maßnahmen ergriffen werden, die etwa die CO2-Emissionen auf die Netto-Null bringen und das Treibhausgas darüber hinaus aus der Atmosphäre genommen und gespeichert wird.

Auch das britische Forschungsteam hält es optimistischerweise für "unerlässlich, die Erwärmung unter 1,5 Grad Celsius zu halten", um die Auswirkungen abzumildern. Während der UN-Klimakonferenz in Dubai im Dezember will es die Ergebnisse vorstellen. Ein Ziel ist ein sogenanntes globales Abkühlungsversprechen (Global Cooling Pledge), das möglichst nachhaltig gestaltet sein soll.

Doch ob es zu einer Rückkehr zu Temperaturen unter dem weltweiten 1,5-Grad-Durchschnitt kommt, ist fraglich. Viele Fachleute gehen bei der derzeitigen Lage eher von einer globalen Erhitzung von zwei bis drei Grad aus. Das würde in Europa für einen noch stärkeren Anstieg der Temperaturen sorgen, weil sich der Kontinent doppelt so schnell wie der Rest der Welt erhitzt – eine globale Spitzenleistung. (Julia Sica, 13.7.2023)