Bis einer lacht: Martin Bramah (Mitte) und House of All mögen das Schenkelklopfen nicht erfunden haben. Ihre Ruppigkeit macht aber Spaß.

Für eine glückliche Jugend ist es bekanntlich nie zu spät. Davor aber kann es hilfreich sein, Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Die späte, im Pensionsalter aktive gewordene Band House of All weist diesbezüglich eine teilweise gemeinsame, nicht immer leichte Geschichte auf: Bevor Mark E. Smith 2018 mit 60 Jahren an Krebs und zu vielen Nächten im Wirtshaus starb, saß er schon länger mit kaputter Hüfte im Rollstuhl und weinte seinen zweiten Zähnen nach. Nach vier Jahrzehnten im Zeichen eines unerbittlichen Zwiderwurzentums und einer mit Anlauf unternommenen Selbstzerstörung hinterließ der Mann aus Manchester schließlich ein großes Erbe.

Mit seiner Band The Fall hatte er von Ende der 1970er-Jahre an über 30 Studio- und an die 60 Livealben veröffentlicht. Darunter befinden sich große Werke des britischen Postpunk wie Hex Enduction Hour, Perverted by Language oder The Wonderful and Frightening World of The Fall. Sie pendeln gern zwischen der sturen Motorik des Krautrock, zerschossenem Rockabilly und die Rockmusik verhöhnendem Zwei-Akkord-Gerutsche, schielen aber auch manchmal heimlich in die Disco. Aber klar, irgendwann werden dann die Randalierer vom Türsteher hinausgeworfen werden.

Mark Brown

Auf diese heute schon fast wieder vergessene Musik des steten Verneinens und Widerstands berufen sich zahllose nachfolgende Bands von Sonic Youth herauf über LCD Soundsystem bis zu Dry Cleaning und den das große Anti von Mark E. Smith heute am besten weitertragenden Sleaford Mods.

Der stets höhnisch ins Mikrofon rotzende und deklamierende Mark E. Smith als einzige Konstante der Band sah in vier Jahrzehnten sage und schreibe 66 Musiker kommen und gehen. Von denen hielt es dank des meinungsstarken und vorwiegend an Flüssignahrung und Speed glaubenden Chefs ein Drittel nicht einmal ein Jahr lang in The Fall aus. Eine Spezialität von Smith war es ja zeitlebens, sich neben der lyrischen Praxis eines nordenglischen Arbeiterklasse-Mystizismus der sardonischen Beschimpfung anderer Musiker zu widmen. Aber keine schlechte Nachrede über den Chef!

Griechische Götter, zynisch im Pub

In einem Pub in Manchester beschloss Martin Bramah im Vorjahr, als eines der am längsten und geduldigsten in The Fall dienenden Mitglieder auch ein paar andere Veteranen aus den verschiedenen Phasen der Band nun zum Gedenkgottesdienst im House of All ins Boot zu holen. Bramah war Gründungsmitglied und der ursprüngliche Frontmann von The Fall. Allerdings tauschte er mit Mark E. Smith recht bald aufgrund dessen bescheidener Fähigkeiten als Gitarrist den Platz. Eine Demütigung, für die der Beleidigungen nur ungern auslassende Smith fortan das Publikum büßen ließ.

tiny global productions

Mit den Gebrüdern Paul und Steve Hanley, Simon Wolstencroft und Pete Greenway spielte der sonst mit den Blue Orchids aktive, so wie der alte Chef nicht ganz dem Sonnenschein zugeneigte Martin Bramah nun ein titelloses Debüt von House of All ein. Die acht Songs setzen dabei auf zwingende Weise eine Charakteristik von The Fall fort, die BBC-Radiolegende John Peel einmal so auf den Punkt brachte: "Always different, always the same."

Gekennzeichnet wird die Musik von zwei sturen Schlagzeugern, dem unvergleichlich kraftvoll-knackigen Bass von Steve Hanley und zwei sich ruppig ineinander so zeitlos schön wie damals verzahnenden Gitarren. Auf seine Klampfe legt Martin Bramah gern mit Effektgerät eine Deep-Purple-Orgel. Dazu passend geht es in den sprechgesungenen Stream-of-Consciousness-Texten um das Thema des Todes, griechische Mythologie – und Zynismus von der Schank im Pub aus. Das beste Album von The Fall – ohne The Fall! (Christian Schachinger, 14.7.2023)