Kinder laufen und spielen 
An vier verschiedenen Standorten bietet die Stadt Wien die Sommerdeutschkurse dieses Jahr an.
© Christian Fischer

Eine Schülerin ruft: "Alt und frisch!" Sie korrigiert sich direkt selbst: "Ich meine: alt und jung." "Sehr gut", antwortet ihre Deutschlehrerin Vanessa. Die zwölf bis 15 Jahre alten Schüler umkreisen sie und ihr Lehrerpult. Gemeinsam versuchen sie, möglichst viele gegenteilige Adjektive zu finden. Wem etwas einfällt, der darf direkt rausrufen – stimmt die Paarung, wird sie auf einen großen Plakatbogen geschrieben.

Eigentlich sind die Schulen im Sommer leer und verlassen. Doch im Bildungszentrum Sonnwendviertel im zehnten Wiener Gemeindebezirk sind die Sitzreihen gefüllt. Hier und an drei weiteren Standorten finden die Sommerdeutschkurse der Stadt Wien und der Integrationseinrichtung Interface statt. In dem sandfarbenen Gebäudekomplex befinden sich an diesem Tag mehr als 180 Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Schulen.

Freiwilliges Nachsitzen

Was sie verbindet? Sie alle haben Migrationshintergrund und sprechen noch nicht gut genug Deutsch, um am regulären Unterricht teilnehmen zu dürfen. Während des Semesters lernen sie daher in speziellen Deutschförderklassen. Allein in Wien besuchten 9000 Schülerinnen und Schüler zu Beginn des vergangenen Schuljahrs eine solche Klasse.

Diese Förderklassen sind Christoph Wiederkehr (Neos), Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister der Stadt Wien, seit langem ein Dorn im Auge. Bereits im April 2022 forderte er ein Aussetzen der Deutschförderklassen. Sie würden das Lehrpersonal zusätzlich belasten sowie die Integration der Kinder in den Regelunterricht erschweren und verzögern. Um die Kinder beim Deutschlernen zu unterstützen, setzt die Stadt auf ihre eigenen Deutschkurse während der Ferien – freiwillig.

Laut eigenen Angaben lässt sich die Stadt die Sommerschule mehr als eine Million Euro kosten.

Lehrerin teilt Kinder Übungszettel im Klassenzimmer aus
Der Unterricht soll Kinder mit Migrationshintergrund den Einstieg in reguläre Klassen ermöglichen.
© Christian Fischer

Spaß am Lernen

Die Kinder einer Volksschulgruppe sitzen zu dritt und zu viert in Halbkreisen um die grauen Tische und starren gespannt auf die Tafel. Eine der Lehrenden bringt ihnen das Thema Berufe näher. "Und wo arbeitet der Bauer?", fragt die Lehrerin laut. Nach kurzem Überlegen zeigen einige der Kinder auf, andere rufen bereits im Chor: "Am Bauernhof!"

Obwohl sich die meisten erst seit drei Tagen kennen, gibt es bereits so etwas wie eine Klassengemeinschaft. "Uns ist es wichtig, dass die Kinder Spaß haben und ohne Leistungsdruck lernen können", sagt Projektleiterin Ana Dimova. Der elfjährigen Anna gefällt es auf jeden Fall: "Ich habe hier schon neue Freunde gefunden, zwei Mädchen und einen Buben." Der elfjährige Tagaldin hat in der Pause den größten Spaß: "Ich fahre am liebsten mit dem Roller."

Bevor die Kinder in den großen Pausenhof dürfen, stellen sie sich in Zweierreihe vor der Klassentüre auf. Das erste Ziel: die Jausen-Ausgabe, wo schon zwei Betreuerinnen warten. Heute gibt es für jeden eine Banane, eine Wurstsemmel und ein kleines Saftpäckchen – wie immer kostenlos. Während und nach dem Essen wird Fußball gespielt, geschaukelt oder auf der grünen Wiese herumgetollt. Nach kurzer Zeit liegt die erste Wurstsemmel am Boden. Egal. Aufheben und weiter. Die vorherrschende Sprache im Hof: Deutsch.

Kinder spielen auf Karussell mit Jausensemmel
Auch beim Spielen wird die Jausensemmel genossen.
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Kleine Jause

Eine kleine Jause ist auch für die Lehrerinnen drin. Eine von ihnen ist Sarah. Sie ist Volksschullehrerin und hätte eigentlich Ferien, aber im Sommer ist sie hier. Ihr ist es wichtig, dass die Kinder Deutsch lernen und es diese Kurse gibt. "Hier funktioniert es besser als im regulären Schulbetrieb, weil es entspannter ist und ein bisschen freier gestaltet. Vor allem weil die Kinder alle auf demselben Niveau sind und dadurch voneinander mehr lernen können."

Bei den vielen verschiedenen Fremdsprachen würden sich die Lehrenden mit Englisch oder Händen und Füßen helfen, wenn ein Kind etwas nicht verstehe, erklärt eine andere Lehrerin.

Mundpropaganda und Flyer

Leichter fällt es da dem Betreuerteam von Interface. Sie sprechen alle vertretenen Fremdsprachen. In den Klassen stehen sie aber nicht. Ihre Aufgabe sei es, die Kinder in der Früh in Empfang zu nehmen und bei Bedarf, die Fragen der Eltern zu beantworten. Wie diese überhaupt zu den Sommerkursen gekommen sind? Mit Broschüren und Flyern hätten Lehrerinnen und Mitarbeiterinnen von Interface jene Kinder vor den Ferien angesprochen, denen ein Kurs helfen könnte. Der Rest sei Mundpropaganda gewesen, sagt Dimova.

Das gemeinsame Ziel der Schülerinnen und Schüler ist das Bestehen des Mika-D-Tests – eines standardisierten Tests zur Sprachstandfeststellung. Im September ist der nächste Termin. Das Ergebnis entscheidet dar­über, ob die Kinder in reguläre Klassen wechseln dürfen oder in Sonderklassen bleiben müssen.

Kinder spielen Memory
Spielend und ohne Leistungsdruck sollen die Kinder besser Deutsch lernen können.
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Verpflichtendes Sommerprogramm

Trotz der 91-prozentigen Auslastung der Kurse will Wiederkehr mehr. Gerade Schülerinnen und Schüler, die von zusätzlichen Un­terstützungsangeboten profitieren würden, würden diese nicht in Anspruch nehmen. "Im Sinne der Chancen dieser Kinder muss es verpflichtende Sommerkurse für sie geben", fordert Wiederkehr. Dafür müsse aber Bildungsminister Martin Polaschek endlich handeln.

Im Bildungsministerium verweist man darauf, dass die Stadt in ihrem Zuständigkeitsbereich – den Kindergärten – ein verpflichtendes Sommerprogramm einführen könne. Die freiwillige Teilnahme hätte sich bei Kursen des Ministeriums bewährt. (Luca Arztmann, 2.8.2023)